SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Absehbares Ende“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 15.12.2023 16:45 Uhr

Nr. 966

Nicht dass Sie denken, ich könnte mich nicht freuen. Da haben Sie mich noch nicht erlebt, wenn meine Nachbarin Barscheck mich zu ihren handgeschabten Spätzle mit Linsen einlädt. Aber ganz so leicht mit der Freude wie bei EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra klappts bei mir dann doch nicht.

Der Mann hat es geschafft nach Abschluss der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai zu jubeln: "Zum ersten Mal nach 30 Jahren könnten wir jetzt den Anfang vom Ende der fossilen Energieträger erreichen"! Ich will ja niemandem die Laune verderben, schon gar keinem Holländer, aber das finde ich doch eher deprimierend. Es hat also geschlagene drei Jahrzehnte und 28 Mega-Events in allen Teilen der Erde gebraucht, um jetzt „den Anfang vom Ende“ der Umweltzerstörung durch Erdöl- und Gasverbrennung zu erreichen? Genauer: Vielleicht zu erreichen. Wow!

Und auch bei Annalena Baerbock und ihrer Delegation herrscht „große Freude“. Nämlich darüber, wie sie sagt, „dass die Welt das Ende des fossilen Zeitalters beschlossen hat“. Was hat unsere Außenministerin da für einen Text gelesen? In der Abschlusserklärung heißt es, die Staaten würden „ersucht“, zu einem Übergang weg von fossilen Kraftstoffen in Energiesystemen „beizutragen“. Wahrlich, das Ende ist nahe!

Nicht das der fossilen Energiesysteme, klar, aber dafür das Ende etlicher Inselstaaten im Pazifik, deren Untergang aufgrund des Klimawandels wohl nicht mehr aufzuhalten sein wird. So kann man auch mit kleinen Sachen, der Annalena Freude machen. Die ja immerhin den bedrohten Ländern versichert hat, sie sei bei Ihnen. Wahrscheinlich nicht, wenn’s dann ans Absaufen geht, aber vielleicht irgendwann vorher, zum Badeurlaub.

Auch auf dem Podium freute sich der Konferenzpräsident Sultan al-Dschaber wie Bolle – oder wie immer man sich als Sultan so freut - über das „historische Paket“, das man da in langen Nachtsitzungen noch schnell geschnürt hat. Und was ist da drin?  „Ein robuster Aktionsplan, um das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten.“ Ja super. In Reichweite. Aber nun konkrete Vereinbarungen mit konkreten Zielen zu konkreten Zeitpunkten zu vereinbaren, das war dann wohl doch ein bisschen zu… konkret. Stattdessen beschwört das Papier mal wieder Gas und Kernkraft als „Übergangstechnologien“ und hofft auf Zukunftstechnologien, die das CO2 irgendwie wieder aus der Atmosphäre rausholen und ebenso irgendwie in der Erde verschwinden lassen.

Ja, ich weiß, dass das schon gemacht wird – nur halt weder ökonomisch noch ökologisch mit vertretbarem Aufwand. Aber: Kann ja noch werden! Und solange können wir ja ruhig noch weiter die CO2-Sau rauslassen. Ohne Zweifel war es eine organisatorische Glanzleistung, dass bei 77.000 Teilnehmer:innen überhaupt eine Schlusserklärung zustande gekommen ist. Da kann man nicht auch noch so scharf auf den Inhalt gucken.

Und wundern über das insgesamt doch recht dünne und wenig zupackende Ergebnis braucht man sich auch nicht wirklich. Meine Nachbarin zitiert da Mark  Twain: Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, sollte man nicht die Frösche damit beauftragen. Sprich: Wer Ernst machen will mit der Bekämpfung der Klimakatastrophe, sollte nicht dem CEO eines Ölkonzerns die Leitung einer solchen Klimakonferenz anvertrauen. Aber lassen wir das – Weihnachten naht. Oder zumindest könnten wir nach vier Wochen den Anfang vom Ende des Adventsrummels zeitnah erreichen. Das ist die frohe Botschaft. Und jetzt: Jubel

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 15.12.2023 und in "Der Morgen" am 16.12.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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