SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Leitkultur 23“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 24.11.2023 16:45 Uhr

Nr. 963

Nicht dass Sie denken, ich dächte nicht auch mal über Deutschland nach. Nicht so gerne in der Nacht. Weil: Dann bin ich um den Schlaf gebracht. Kennen wir ja von Altmeister Heine. Aber bei Licht betrachtet: gerne mal. Gerade auch über die Kultur. Zu deren Kanon besagter Heinrich Heine ganz zweifellos zu rechnen ist. Wenn auch nicht ganz so feste wie Schiller oder Goethe. Aus dessen Gänsekiel allerdings auch der West-Östliche Divan geflossen ist. Und zwar in der Absicht, wie der Dichterfürst notierte, „ehrfurchtsvoll jene heilige Nacht [zu] feiern, wo der Koran vollständig dem Propheten von oben her gebracht ward“. Au weia – aber zum Glück weiß das ja so gut wie niemand.

Ist halt so: Je tiefer man sich auf die kulturellen Gewissheiten einlässt, umso mehr bröckelt einem das sicher geglaubte Fundament unter den Füßen weg. Dabei brauchen wir ja besonders in diesen Krisen- und Kriegszeiten einen sicheren Stand. Dachte sich bestimmt auch die BILD am Sonntag, als sie vor zwei Wochen ihr Manifest unters Volk warf. Unter der Überschrift: „Deutschland wir haben ein Problem!“. Seitdem schlaf ich auch tagsüber nicht mehr gut. Schon Punkt 4 der Liste könnte zu einer Massenausweisung aus der Republik führen. Denn da heißt es: „Wer bei uns dauerhaft leben möchte, muss Deutsch lernen.“ Und das von einer Zeitung, die Schlagzeilen zu verantworten hat wie damals das unvergessene „Klinsi, jetzt darfst du grinsi!“. Das sollte tatsächlich für eine sofortige Abschiebung reichen. Und was ist mit all denen, die ohne jeden Migrationshintergrund „Gehstu Bahnhof, Digga?“ für einen deutschen Satz halten?

Aber das BILD-Manifest wendet sich ja erkennbar eher an die Nicht-Deutschen im Lande. Die erstmal lernen müssen „Bitte und Danke“ zu sagen (Punkt 9) und zu Begrüßung und Abschied die Hand zu geben (Punkt 10). Bevor es dann unter Punkt 12 endgültig um die Wurst geht. Und um den Krustenbraten, das Nackenkotelett und das Eisbein. Da steht: „Viele Deutsche essen Schweinefleisch.“ Ist halt die christlich-abendländische Kultur. Nee, sagt meine Nachbarin Barscheck, is es nicht. Und zitiert: „Alles, was die Klauen spaltet und wiederkäut unter den Tieren, das sollt ihr essen. ... Und ein Schwein spaltet wohl die Klauen, aber es wiederkäut nicht; darum soll's euch unrein sein“. Also sprach der Herr zu Moses. Doch Moses sprach zum Herrn: „Ich ess das aber gern!“ Entschuldigung.

Kommen wir lieber zu Punkt 25: „Wir verwenden Böller nur zu Silvester, also wenn es erlaubt ist.“ Und schon müssen wir uns leider auch von den Fankurven der Bundesligavereine verabschieden. Und was ist mit Nummer 34: „Messer gehören bei uns in die Küche und nicht in die Hosentasche“? Wer überbringt Herrn Aiwanger den Abschiebe-Beschluss für seinen Satz: „Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte.“? Aber Nummer 47! „Deutschland hat ein Herz für Kinder. Sie werden nicht geschlagen, sondern gefördert.“  Oder umgebracht – wie im letzten Jahr 101 Kinder. Oder sexuell missbraucht, wie 48 Kinder täglich. Gerne auch von Angehörigen der Kirchen, die jenes Kreuz zu ihrem Zeichen erkoren haben, dass Markus Söder seit nunmehr fünf Jahren im Eingangsbereich jedes bayrischen Dienstgebäudes zwangsweise aufhängen lässt. Deutschland hat ein Problem? Schön wärs.

 

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 24.11.2023 und in "Der Morgen" am 25.11.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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