SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Zähne zeigen!“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 29.09.2023 16:45 Uhr

Nr. 955

Nicht dass Sie denken, ich ginge gerne zum Zahnarzt. Oder zur Zahnärztin. Aber natürlich bin ich froh, dass ich Zugang zur Behandlung habe, wenn ich sie brauche. Allerdings habe ich seit jüngstem doch verstärkte Bedenken, mich in die Praxis des Zahnmediziners zu begeben. Offenbar bestehen gewisse Chancen, dort, auf den Hartplastikstühlen im nervenschonend resedagrünen Wartezimmer, auf Herrn Merz zu treffen. Ja, ich meine den Friedrich, der ja, wie wir seit dem Struwwelpeter wissen, „ein arger Wüterich“ ist. Und anscheinend zumindest soviel Zeit im dentalen Bereich zubringt, dass er feststellen konnte, dass dort 300.000 abgelehnte Asylbewerber sitzen, sich „die Zähne neu machen lassen“ und nebendran die Deutschen hocken und keine Termine kriegen. Weswegen sie, laut Herrn Merz, „wahnsinnig werden“.

Also dringend auch noch einen Termin beim Psychotherapeuten brauchen, der ja noch schwerer zu bekommen ist, als ein Date mit dem Dentisten. Wo soll das alles noch hinführen, fragt sich der deutsche Michel und hält sich die schmerzende Backe. Zum Untergang der deutschen Heimat zweifellos, durch unverschämtes Bohren in fremdländischen Kiefern. Dem zahnwehgeplagten Patienten wollen wir gar nicht anlasten, dass er solcherlei Unfug glauben mag. Denn wie sagt schon Wilhelm Busch: „Kaum fühlt man das bekannte Bohren, das Rucken, Zucken und Rumoren, und aus ist's mit der Weltgeschichte. Vergessen sind die Kursberichte, die Steuern und das Einmaleins.“ Kennen wir.

Der wütende Friedrich aber schien keineswegs vom Zahnschmerz gepeinigt, als er im WELT-Talk sein Schauer-Szenario ausbreitete. Aber trotzdem ist ihm entweder das Einmaleins aus anderen Gründen vergangen oder er verbreitete absichtlich Fake News. Asylbewerber kriegen nicht einfach so Zahnersatz bei uns, schon gar nicht bekommen sie schneller Termine und dürfen ohnehin nur in dringendsten Fällen zum Zahnarzt. Hätte Herr Merz wissen können, wenn er statt bei der AfD im Asylbewerberleistungsgestz nachgelesen hätte. Übrigens haben von den rund 300.000 abgelehnten Asylbewerbern im Lande fast 250.000 eine Duldung – und die aus gutem Grunde.

Und es gibt auch keine „illegale Migration“. Stattdessen gibt es das sogenannte „Asylparadox“: Dass nämlich ein Mensch, um Asyl zu beantragen, dafür meist erstmal irregulär die Grenze überqueren muss. Das könnte man ändern, wenn zum Beispiel legale Fluchtrouten installiert  oder das gute alte Botschaftsasyl wieder eingeführt würde. Aber wer will das schon – Herr Merz jedenfalls nicht. Der will hauptsächlich Kalif werden anstelle des Kalifen, also Kanzler anstelle des Kanzlers, und glaubt deshalb, dass er das Volk aufstacheln müsste gegen die gegenwärtige Regierung. Und das ist, sagt Frau Faeser, „erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten“. Ein Statement, dem ich mich gerne anschließen möchte.

Meine Nachbarin Barscheck musste wegen heftigem Zähneknirschen ihre Dentistin aufsuchen, nachdem sie Friedrich Merz mit seinem Statement gehört hatte. Wo sie mit ihrem Symptom nicht alleine war, wie das überfüllte Wartezimmer zeigte. Die Zahnärztin jedenfalls versicherte meiner Nachbarin glaubhaft ihre Bereitschaft, Herrn Merz jederzeit zur Behandlung anzunehmen. Sie weiß aus Erfahrung, dass selbst die verstocktesten Mitbürger unterm Bohrer zu sehr aufmerksamen Zuhörern werden. Und, so sagt sie, Herrn Merz hätte sie einiges zu sagen. Alte Devise: Das Übel an der Wurzel packen!

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 29.09.2023 und in "Der Morgen" am 30.09.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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