SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Komische Brüder“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 01.09.2023 16:45 Uhr

Nr. 951

Nicht dass Sie denken, ich wüsste mehr als Sie. Also natürlich mag das in einigen Teilbereichen so sein. Vielleicht interessieren Sie sich einfach nicht so dafür und wissen deshalb z.B. nicht, dass man hierzulande jährlich am 27. Januar die Eulersche Zahl feiert. Weil deren erste Stellen ja nun mal 2,7182818 lauten, und das Datum 27.1. davon wieder die ersten drei Stellen wiedergibt. So was weiß ich halt. Dafür wissen Sie vielleicht– oder zumindest einige von Ihnen – wie man die Volatilität von Wertpapieren beurteilt oder dass die Hauptstadt von Tuvalu Funafuti heißt.  Vielleicht weiß sogar jemand, wie man das korrekt ausspricht.

Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ich weiß auch nicht mehr über die Geschichte vom Aiwanger-Flugblatt als Sie. Ja, doch, trotz Unschuldsvermutung und allem: „Aiwanger-Flugblatt“ darf man sagen, weil ja der eine Aiwanger-Bub schon gesagt hat, dass er das widerliche Geschreibsel verfasst hat. Und selbst wenn sich nun doch noch herausstellen sollte, dass es doch der Aiwanger war, also der Bruder vom Bruder, wär’s ja immer noch richtig. Oder vielleicht auch grade. Wir wissen es halt nicht.

Welcher Bruder sich jetzt vor welchen schützend geworfen hat – damals vor 35 Jahren der Hubsi vor den Helmi, als er der Schule nicht verraten hat, dass eigentlich der Helmi den grauslichen Schmarrn verzapft hat. Oder jetzt der Helmi vor den Hubsi, indem er die Urheberschaft auf sich genommen hat, weil der Hubsi ja Politik macht und der Helmi nur einen Waffenladen betreibt. In der Szene ist der Imageschaden bei sowas halt wohl doch geringer. Jedenfalls ist der Hubsi damals schwer bestraft worden, indem er ein Referat über den Nationalsozialismus hat schreiben müssen. „Unter Druck“, wie er sagt.

Und jetzt schon wieder: Diesmal hat ihn der Söder Markus gezwungen, 25 Fragen schriftlich zu beantworten. Ebenfalls unter Druck, wie wir annehmen dürfen. Und ganz ehrlich: Was auch immer dabei herauskommen mag: Genug und glaubwürdig kann’s gar nicht mehr sein. Weil es halt wie immer unter stolpernden Politiker.innen ist: Nix wird von sich aus auf den Tisch gepackt, immer muss es irgendwer stückchenweise herausklauben und immer bleibt genug zum Spekulieren übrig. Wirklich: Ich könnte eher damit leben, dass da einer mit 17 so einen verblendeten Nazi-Dreck geschrieben und sich dabei wahrscheinlich noch wer weiß wie aufrührerisch vorgekommen ist, als dass er jetzt nicht den Schneid und die Ehrlichkeit hat, das zuzugeben und glaubhaft seine Scham und seine Entschuldigung zu formulieren.

Wenn er’s denn war. Weil, wie gesagt: Ich weiß es nicht. Ich hab nicht mal einen Bruder. Meine Nachbarin Barscheck versteht sowieso nicht so ganz, warum jetzt so ein Riesen-Remmidemmi um das alte Flugblatt gemacht werden muss. Wo sich doch der Hubsi Aiwanger auch in neuester Zeit redlich bemüht, sein verdrehtes Weltbild unters bayerische Volk zu pöbeln. So von wegen: „Die schweigende große Mehrheit des Landes muss sich die Demokratie wieder zurückholen“ und Klimakleber zu „vier Wochen Waldarbeit verurteilen“ und so. Das würde ihr, sagt Barscheck, durchaus schon reichen, um den Mann zumindest nicht in einem Spitzenamt zu belassen.

Aber auf meine Nachbarin hört ja in Bayern auch niemand. Dummerweise klebt halt auch der Söder-Markus am Hubsi wie der Klimakleber auf der Autobahn, und auch für die Bayernwahl ist da kein gutes Lösungsmittel in Sicht. Und wie dann Wählerin und Wähler entscheiden – auch das weiß ich nicht. Sicher ist nur: 2,7182 8182 8459 04… usw. Und das ist doch auch schon was.

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 01.09.2023 und in "Der Morgen" am 02.09.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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