SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Vorsichtig leben!“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 18.08.2023 16:45 Uhr

Nr. 949

Nicht dass Sie denken, ich machte mir keine Gedanken über Ihr Wohlergehen. Doch. Aber nicht genug anscheinend. Kürzlich drückte man mir im Theater vor Aufführungsbeginn einen Zettel in die Hand, der mich vor möglicherweise verstörenden Inhalten des Stückes warnen sollte. Triggerwarnung! Das verbreitet sich zunehmend. Vor Serien, Museumsbesuchen, Filmen, Theaterstücken wird auf Themen oder gezeigte Bilder aufmerksam gemacht, die möglicherweise bei Personen in besonderen Situationen Auslöser für Ängste, Panikattacken oder erneutes Durchleben traumatischer Erlebnisse sein könnten. Also beispielsweise… halt, das geht ja auch schon nicht ohne.

Also: Triggerwarnung: Dieser Beitrag spricht von Warnungen vor bestimmten Triggern und nennt deshalb auch diese Trigger. Falls sensible Thematiken (z. B. Gewalt, Depression, Suizid, Trauma) Ihnen gerade nicht gut bekommen würden, hören Sie diesen Beitrag bitte nicht weiter. Keine Idee von mir, diese Triggerwarnung stand so nahezu wörtlich über einem Online-Aufsatz über das Thema Triggerwarnungen. Und in meinem Falle reichte das ja längst noch nicht aus! Stets kann es hier unvermittelt zu wörtlichen Zitaten von amtierenden oder ehemaligen Verkehrsministern kommen! Ferner werden Klarnamen wie Markus Söder oder Christian Lindner häufig genannt und auch Baerbock, Habeck oder Merz sind gelegentlich vertreten. Oder gar Putin,Trump, Alice Weidel  … hören Sie am besten überhaupt nicht mehr hin.

Verstehen Sie mich nicht falsch - natürlich kann man darauf aufmerksam machen, dass ein Film beispielsweise besonders drastische Gewaltszenen enthält. Aber muss das englische Globe-Theater wirklich eine solche Warnung vor einer „Romeo und Julia-Inszenierung“ bringen? Muss explizit davor gewarnt werden, dass in einer Sendung über Essstörungen möglicherweise über Essstörungen gesprochen wird? Ist übrigens nicht neu das Ganze: Schon Goethes „Werther“ wurde bei Erscheinen in einigen Landstrichen verboten, weil es angeblich zu Suiziden verleiten würde. Wobei bis heute nicht klar ist, ob und wenn ja zu wie vielen Selbsttötungen es wegen dieses Romanes überhaupt gekommen ist.

Klar ist es gut, wenn in der Presse nicht sensationsgeil über Suizide berichtet wird. Aber wie sinnvoll ist es, wenn nach einem Artikel über den Tod einer prominenten Person, von der viele vermuten, dass sie sich selbst getötet hat, was aber im Artikel mit keinem Wort erwähnt wird, am Ende zu lesen ist: Generell berichten wir nicht über Selbsttötungen, damit solche Fälle mögliche Nachahmer nicht ermutigen.

Und ehrlich: Was könnte unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch ohne vorausgestellte Warnungen auskommen? Die Bibel? Scherz, oder? Nachrichtensendungen? Ich bitte Sie! Grimms Märchen – niemals! Meine Nachbarin Barscheck berichtete kürzlich von einem Krimi, in dessen Verlauf etliche Frauen unter mehr als unschönen Umständen zu Tode kamen. Im Abspann hieß es dann: „In diesem Film kamen keine Tiere zu Schaden.“ Gottseidank. Sollten Sie ganz sicher gehen wollen, empfehle ich die Webseite „doesthedogdie.de“. Dort können Sie nicht nur nachschauen, wie es dem erwähnten Hund ergeht, sondern auch, ob im Film etwa ein Drache stirbt oder eine Spinne durchs Bild krabbelt. Sorry für die unvorbereitete Erwähnung der Achtbeiner.

Traumaexperten halten diesen inflationären Umgang mit Warnungen übrigens eher für kontraproduktiv. Aber  manchmal wären sie schon angebracht. Beim Konzert von Barschecks Chor „Wilde Weiber“ neulich hätte mir eine vorherige Warnung doch geholfen: „Kann einzelne Passagen sehr hoher Sopranstimmen enthalten“. Da bin ich ein bisschen empfindlich.

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 18.08.2023 und in "Der Morgen" am 19.08.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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