SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Fragenstellerei“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 28.07.2023 16:45 Uhr

Nr. 946

Nicht dass Sie denken, ich glaubte jeder Umfrage. Gerade bei Wahlen haben wir da ja schon jede Menge Überraschungen erlebt – je nach Standpunkt erfreulich bis Wahlnacht-verderbend. Dass allerdings zwei Umfragen zum selben Thema quasi zu genau gegensätzlichen Ergebnissen kommen, das ist auch im weiten Feld der datengestützten Spökenkiekerei eher ungewöhnlich.

Nahezu zeitgleich fragten in der letzten Woche sowohl das Forsa-Institut als auch die online-Meinungserheber Civey bei der Bevölkerung nach, wie man’s denn nun mit dem Asylrecht halte. Anlass waren natürlich die jüngsten Vorstöße des CDU-Mannes Thorsten Frei zur Änderung des Asylrechtes. Ergebnis: Laut Forsa wollen über 60% der Deutschen nicht, dass das geltende Recht da geändert wird. Moment, sagt da Konkurrent Civey: Im Gegenteil, 59% fänden Freis Vorschlag gut, nur 33% lehnen ihn ab. Hmm! Falls Sie es gerade nicht mehr auf dem Schirm haben: Herr Frei schlug vor, statt des individuellen Rechts auf Asyl ein zahlenmäßig bestimmtes Kontingent von etwa 300-400 000 Geflüchteten jährlich EU-weit festzulegen.

Sind wir da nun gegen oder für? Und zu welchen Prozentsätzen? Welche Umfrage hat Recht? Weiß ich auch nicht. Die Unterschiede könnten an der Methode liegen: Forsa arbeitet mit ausgewählten Zufallsgruppen, Civey veranstaltet ausschließlich online-Umfragen, an denen jede und jeder teilnehmen kann und gewichtet die Antworten später. Zu Risiken und Nebenwirkungen sprechen Sie mit Ihrer Mathelehrerin oder einem Statistiker.

Vielleicht liegt’s aber auch einfach an den Fragen? "Wie bewerten Sie den Vorschlag von Thorsten Frei (CDU), das individuelle Recht auf Asyl durch eine jährliche Obergrenze von Schutzbedürftigen zu ersetzen, die auf EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden?" wollte Civey wissen. Forsa fragte – nach einem erklärenden Vorspann der vorgeschlagenen Änderungen: „Fänden Sie es richtig, wenn in Zukunft nicht mehr jeder einzelne politisch Verfolgte Asyl in der Europäischen Union beantragen darf oder sollte dieses Recht beibehalten werden?" Finden Sie diese Fragestellungen gleichwertig oder klingt der Griff nach dem Asylrecht bei dem einen doch etwas freundlicher? Kreuzen Sie bitte an und diskutieren das Ergebnis dann mit ihrem Partner oder Ihrer Partnerin, falls nicht vorhanden gehen auch Stammtischfreunde oder Skatbrüder und -schwestern.

Nicht viel zu diskutieren gibt es übrigens bei der Frage nach der Umsetzbarkeit solcher Ideen. Das ginge wohl alles nicht ohne Grundgesetz- bzw. EU-Recht-Änderung oder gar einem Austritt der BRD aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention. Sie können ja schon mal überlegen, wie Sie das fänden – bevor der nächste Meinungsforscher an Ihrer Tür klingelt oder sich beim Online-Shopping auf Ihrem Bildschirm breitmacht.

Meine Nachbarin Barscheck merkt an, dass das individuelle Recht auf Asyl gerade wegen des Versagens der Kontingentlösung in unsere Verfassung gekommen ist. Diese Kontingentlösung hat etliche z.B.von den USA abgewiesene Asylbewerber:innen aus Nazi-Deutschland damals das Leben gekostet. Kontingent war halt schon verbraucht, sorry for that!

Frei, Merz und auch Saar-CDU-Chef Toscani wollen aber nicht zurück- sondern nach vorn schauen. Bzw. „neu denken“, wie Toscani das formuliert. Oder wie es Jens Spahn sagt: Flüchtige müssten eben „zu der Küste von der sie kommen“ zurückgeschleppt werden. „Das machen Sie konsequent zwei, drei, vier, fünf Wochen. Dann ist die Botschaft klar: Dieser Weg funktioniert nicht.“ Die Politikwissenschaft nennt so etwas „verrohte Bürgerlichkeit“. Wollen wir die? Die Frage kann man sich ja mal stellen.

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 28.07.2023 und in "Der Morgen" am 29.07.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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