„Blau beruhigt“
Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören
Sendung: Freitag 16.06.2023 16:45 Uhr
Nr. 940
Nicht dass Sie denken, ich verfolgte regelmäßig gebannt die Auftritte unserer Politiker.innen bei der Bundespressekonferenz. Auch meine Leidensfähigkeit ist begrenzt, ebenso wie meine Resilienz gegenüber Langeweile. Aber diese Woche bot sich vor der gähnenden Bläue des BPK-Hintergrundes doch ein erstaunlicher Aufmarsch: Bundeskanzler Olaf Scholz, begleitet von gleich vier Minister:innen seines Kabinetts – namentlich Außenministerin Annalena Baerbock, Finanzminister Christian Lindner, Verteidigungsminister Boris Pistorius und Innenministerin Nancy Faeser!
Um ein Werk der erstaunten Öffentlichkeit zu präsentieren, an dem die Koalitionäre seit 2020 gearbeitet haben und das nichts weniger als historisch ist: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik werde eine Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland vorgelegt, so der Kanzler, die diese Sicherheit integriert denke. Heißt, dass nunmehr alle Sicherheitsprobleme von militärischen Bedrohungen über Naturkatastrophen bis zur Cybersicherheit zusammen gedacht würden. Um eben eine „Integrierte Sicherheit für Deutschland“ – so lautet der Titel des Papiers – zu erreichen. Mit einem Wort: „Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig.“
Ja, sind drei Worte. Na und? Immer noch knackiger als beispielsweise das Wort „Gebäudeenergiegesetz“. Nun hätte man statt des Sicherheitskonzeptes auch ein gemeinsames Kochbuch vorstellen können – die eigentliche Botschaft war doch: Seht her, wir haben etwas zusammen fertig bekommen, wir können das sogar gemeinsam auf einem Podium präsentieren, ohne dass es zu Bisswunden kommt. Wir sind als Regierung handlungsfähig. Auch wenn das 70-seitige Sicherheitsheft nicht gerade eine Ansammlung konkreter Handlungsaufträge darstellt. Eher so eine Zusammenfassung dessen, was man sich so wünschen würde, dass darüber nachgedacht werden könnte, weil ja die Situation in der Welt doch zunehmend kompliziert geworden ist.
Aber nochmal: Dieses Schaulaufen der Ampelkoalition als einiger Truppe fand ja nicht zufällig einen Tag vor der ersten Lesung des Habeckschen Heizungsgesetzes im Bundestag statt. Beziehungsweise dessen, was die FDP davon übriggelassen hat. Weswegen Liberalen-Chef Lindner auch seit der sogenannten Einigung so ein unterschwelliges Grinsen im Gesicht klebt, wie einer Katze, die die Sahne geschleckt hat, nachdem sie die darin paddelnden Kröten an die Grünen zum Verzehr weitergereicht hat. Und der arme Habeck, zerknautscht wie immer, im ZDF-Gespräch als Erfolg verkaufen muss, dass seine Partei die Blockade in der Koalition aufgelöst habe - durch mutiges auf die FDP-Zugehen.
Nicht schön, das alles, da schauen wir doch lieber wieder ins Hochglanzheft der gemeinsamen Sicherheitsstrategie. Ist aber auch nicht schön, was es da zu lesen gibt: Umgeben sind wir von lauter potentiellen Katastrophen! „Auf absehbare Zeit“ bleibt Russland die „größte Bedrohung“, China ist, so die abgesprochene Worthülse, „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“, dazu kommt die Klimakatastrophe mit neuen Fluchtbewegungen und Hitzewellen und Überschwemmungen, ferner Terrorismus, Extremismus, Organisierte Kriminalität und illegale Finanzflüsse, ebenso Cyberangriffe und Bedrohungen unserer kritischen Infrastruktur.
Was also tun? Denn wir alle müssen etwas tun, jede und jeder einzelne, so steht’s geschrieben. Wehrhaft sollen wir sein, resilient und nachhaltig. Meine Nachbarin Barscheck meint aber, ich brauchte mir keine großen Sorgen zu machen, dass man noch auf meine tätige Wehrhaftigkeit zurückgreifen werde. In meinem Alter. Schön, kann ich weiterhin in Ruhe Bundespressekonferenz gucken. Blau beruhigt.
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 16.06.2023 und in "Der Morgen" am 17.06.2023 auf SR 2 KulturRadio.
Brunners Welt
Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!
Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.
