SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Suchet so werdet ihr“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 09.06.2023 16:45 Uhr

Nr. 939

Nicht dass Sie denken, ich würde nicht auch einmal Andersdenkenden Recht geben. Allerdings hätte ich bis vor kurzem nicht für möglich gehalten, dass das sogar rechtspopulistische, religiöse Fanatiker in den USA sein könnten. Aber bitte: In Utah, einem amerikanischen Bundesstaat, in dem kraft Gesetz seit 2022 als „anstößig“ zu gelten hat, was „ausdrückliche sexuelle Erregung, Stimulation, Masturbation, Geschlechtsverkehr, Sodomie oder auch nur Fummeln beinhaltet“ und wo demzufolge schon etliche anstößige Literatur für Schulen verboten wurde, ist den Sittenwächtern nun endlich aufgefallen, dass es im heiligen Buch der Bücher, der Bibel, auch und immer wieder um „Inzest, Onanie, Bestialität, Prostitution, Genitalverstümmelung, Fellatio, Dildos, Vergewaltigung und sogar Kindermord“ geht. Sogar recht explizit.

Und das stimmt! Zudem auch noch um alle Arten von nicht sexueller Gewalt. Warum das bis dahin niemand von den braven Christen bemerkt hatte, ist mir unklar. Schon lange keinen Blick mehr in die Heilige Schrift geworfen? Klar, auch jetzt haben sie es nicht von selbst gerafft. Eine Elterninitiative, die die Nase voll hatte von der beständigen Zensur des Schulunterrichts, hatte darauf hingewiesen. „Schafft diesen Porno aus unseren Schulen!“, hatten sie gefordert – natürlich satirisch gemeint, um auf die Dämlichkeit der Säuberungen hinzuweisen. Aber so ist das nun mal mit der Satire – sie braucht auch jemanden, der sie versteht. Ging schief bei den Hütern der kindlichen Unschuld in Utah – und nun ist dort die Bibel aus dem Unterricht zumindest der Grundschüler verbannt.

Wäre ja vielleicht ok, wenn man nun statt der alten Schöpfungsmythen Evolutionslehre unterrichten würde, aber das ist ja auch verboten, um Gottes Willen. So wie in Florida im Schulunterricht jedwede Erwähnung, dass es auch andere Möglichkeiten der Liebe gibt, als die zwischen Mann und Frau. Dieses sogenannte „Don’t say gay“- Gesetz haben die Bürger:innen Floridas ihrem Gouverneur Ron de Santis zu verdanken. Der ja möglicherweise demnächst Präsident der USA werden könnte. Himmel hilf!

Der Mann wirft sich jetzt schon in die ganz große Pose und tönt: „Davon rücken wir nicht ab. Mir ist egal, was die Medien sagen! Mir ist egal, was Hollywood sagt! Mir ist egal, was große Konzerne sagen! Hier stehe ich. Ich werde nicht nachgeben.“ Klingt ein bisschen nach Luther – auch wenn der von Hollywood noch nicht wusste. Dessen Schriften aber – und damit kommen wir zurück aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um vor dem eigenen Altar zu kehren – fielen ja auch sogleich der kirchlichen Zensur zum Opfer. Wie überhaupt alles,  was „aufrührerisch und schmählich oder der katholischen allgemeinen Lehre der heiligen christlichen Kirche ungemäss oder widerwärtig sei“. 

Gut, ist schon ein bisschen her, aber genügend Verdammenswertes fällt dem Vatikan ja auch heute noch ein. Und, meint meine Nachbarin Barscheck, was unsere Rechtspopulisten so alles abschaffen und wegsäubern wollen würden, wenn sie könnten – wer weiß das schon? Die schwafeln ja auch ständig von Frühsexualisierung unsere Kinder durch LGBTQ-Quatsch. Und kriegen so nach neuesten Umfragen, bis zu 19% der Wählerstimmen. Das aber liegt ja eindeutig am Gender-Wahnsinn! Erklärt uns jedenfalls der Möchtewohl-Kanzler der CDU Friedrich Merz auf Twitter: „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD.“ Oh je – dann sind’s ja jetzt schon wieder 100 mehr, liebe Hörer:innen.

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 09.06.2023 und in "Der Morgen" am 10.06.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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