SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Kleben und kleben lassen“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 26.05.2023 16:45 Uhr

Nr. 937

Nicht dass Sie denken, mir fehlte die Empathie für die Schwierigkeiten, mit denen natürlich auch politische Neueinsteiger:innen in wichtige Ämter zu kämpfen haben. So gilt mein Mitgefühl selbstverständlich auch der neuen Justizsenatorin Berlins, Felor Badenberg. Noch keinen Monat im Amt, also noch vollauf damit beschäftigt, sich den Standort der Kaffeemaschine, die Lage der Damentoilette und die Namen ihrer Mitarbeiter:innen zu merken – und schon wird sie mit nichts als ein paar Zetteln voller Sprachbausteine vor ein Mikrofon der Tagesthemen geschickt, um dort zur bundesweiten Razzia gegen Klimaaktivist:innen der Letzten Generation Stellung zu beziehen! Furchtbar.

Von den panisch-heimlichen Blicken auf die Briefing-Seiten vor jeder Antwort bis zum deutlich hörbaren Rascheln beim Umblättern der Unterlagen – ein Bild des Jammers. Und, wie es ein Twitter-Kommentierender formulierte, „dann hat sie auch noch so ein Pech beim Denken“: Hilfloses Herumrudern zwischen allen juristischen Begriffs-Untiefen von „Einzelfall“ über „Gewaltanwendung“ und „Nötigung“ bis hin zum ultimativen Schlagmichtot der „kriminellen Vereinigung“. Da kann man gut schon mal argumentativ auf Grund laufen. Und dafür sollte man mindestens ebenso diejenigen vorführen, die die Kollegin da sehenden Auges ins Kommunikations-Fiasko geschickt haben. Zumal die Sache mit der Razzia wegen krimineller Vereinigung in diesem Falle sowieso schon gewaltig wackelig daher hinkte.

Vielleicht hätte man doch einmal einen Blick in das vom Berliner Oberstaatsanwalt Holger Brocke verfasste Papier zum Thema riskieren sollen, bevor man die funkelnagelneue Justizsenatorin der Twitter-Meute zum Fraße vorwarf? Der hatte schon im Januar auf ganzen fünf Seiten klargemacht, warum der Vorwurf der kriminellen Vereinigung im Falle der Klimaaktivisten reichlich absurd ist. Sondern im Gegenteil die Aktionen der Letzten Generation sogar „im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) stehen.“

Aber darum ging es wohl gar nicht. Die drastischen Einsätze gingen ja von einer bayerischen Behörde aus, ein Bundesland, das ja schon bei der Vorbeugehaft für möglicherweise blockierwillige Aktivisten wacker voran geschritten war – und in dem im Herbst eine Landtagswahl droht. Ein Schuft, der Böses dabei denkt. Aber: Was sollte denn der Zweck der Razzien sein? Niemand hat sich versteckt oder drohte, zu verschwinden. Welche neuen Erkenntnisse erhoffte man sich von den Durchsuchungen bei einer Organisation, die ohnehin alles bis hin zu ihrer Buchhaltung transparent und öffentlich macht?

Und dann wurde auch noch die Webseite der „Letzten Generation“ aus dem Netz genommen und auf eine Adresse umgeleitet, auf der man dann lesen konnte: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar!“  Nein! Das festzustellen war doch erst angeblicher Zweck der Razzien! Außerdem kann das sowieso nur von einem Gericht bewertet werden. Meine Nachbarin Barscheck findet im Übrigen, dass die Tatsache, dass die Aktivisten bis heute 1,4 Millionen Euro an Spenden eingesammelt haben, doch irgendwie auf eine gewisse Unterstützung in der Bevölkerung hinweist, die doch angeblich dauernd „gewalttätig genötigt wird“, den Motor mal eine Zeitlang abzustellen.

Hauptsache ist wohl, wie Innenministerin Faeser sagt, zu zeigen, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“. Sondern sich stattdessen selbst munter im juristischen Eiertanz zur Kriminalisierung seiner Kritiker dreht. Was soll’s: Das Kleben geht irgendwie weiter. Muss ja.

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 26.05.2023 und in "Der Morgen" am 27.05.2023 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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