?Gute Karten?

„Gute Karten“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 15.03.2024 16:45 Uhr

Nr. 979

Nicht dass Sie denken, ich traute der FDP nichts zu. Im Gegenteil, den derzeitigen Vertretern angeblich liberaler Politik traue ich fast alles zu. Allerdings hat mich die Chuzpe, mit der die FDP in persona ihres Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr sich nun über die Grünen beschwert, schon überrascht. Mit tief empfundener Empörung klagt der Mann Treue zu gefassten Koalitionsbeschlüssen ein. Das von einer Partei, die seit geraumer Zeit so gut wie alle Koalitionsbeschlüsse torpediert oder zumindest ausbremst, die der neoliberalen Agenda nicht in den marktgläubigen Kram passen. Ich erinnere nur an das Aus für Verbrenner oder das Lieferkettengesetz…

Und worum geht’s jetzt? „Ich rufe alle Koalitionspartner auf, dass das Thema Bezahlkarte so schnell wie möglich rechtssicher abgeschlossen wird.“ Ja, so. Das eilt natürlich, schließlich stehen Wahlen vor der Tür und da muss man dem Wahlvolk beweisen, dass man als Demokrat, schon gar als Freier, allzeit willens und in der Lage ist, den AfD-Forderungen zuvorzukommen. Offiziell soll die Bezahlkarte für Asylsuchende natürlich nicht etwa dazu dienen, Geflüchtete enger an die Kandare zu nehmen, nein: Es gehe, so der offizielle Sprech, um Bürokratieabbau, Vereinfachung, Modernisierung. Das hat der dürre Christian aber anscheinend vergessen. Er sagt deutlich: „Wir müssen dafür sorgen, dass Pullfaktoren wie Bargeld abgeschafft werden, damit wir die Zahl irregulär Einreisender senken.“

Da sind sie wieder, die guten alten Pullfaktoren, die uns die ganzen leidigen Flüchtenden ins Land ziehen wie ein Magnet die Münzen aus dem Gulli. Eben diese Pullfaktoren, von denen der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schon 2020 schrieb, die These sei grob vereinfachend, „mittlerweile vielfach empirisch widerlegt“ und „nicht dazu in der Lage, die wechselhafte Dynamik des Migrationsgeschehens zu verstehen“. 2020, bitte, da steckte ja noch Flüchtlingskanzlerin Merkel im dienstlichen Hosenanzug. Und schließlich will man ja gar nicht irgendeine „Dynamik des Migrationsgeschehens“ verstehen – man will sie eindämmen.

Weswegen auch bereits das Aussprechen des Triggerwortes „Pullfaktoren“ sofort CDU-Stimmen auf den Plan ruft. In diesem Falle tutet Gitta Connemann, Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, ins populistische Hörnchen: „Mit einer bundesweiten Bezahlkarte ließen sich illegale Migration und der Missbrauch von Asylleistungen bekämpfen“. Und dabei ist Eile geboten, weiß sie, denn: „Die Kommunen rufen um Hilfe. Viele Bürger haben Sorge vor Verlust ihrer Heimat.“ Da rief sie Heimat, süße Heimat..! Ist doch allemal besser, wenn die Migranten gar nicht erst in unsere Heimat migrieren, als wenn die AfD sie dann wieder per Remigration rausschaffen muss. Die Landtagswahlen rücken heran, und die Grünen stehen mal wieder auf der Bremse!

Meine Nachbarin Barscheck hat noch einen anderen Tipp, warum es gerade der FDP jetzt so eilt. In den neusten Einträgen des Bundestags-Lobbyregister findet sich eine Publk GmbH aus Niedersachsen, die Systeme für Bezahlkarten anbietet. „socialcard“ nennt sie ihr Plastikgeld, maßgeschneidert für Sozialleistungen. Als Inhalt der Lobbyarbeit hat das Unternehmen angegeben: „Vortrag von Sachargumenten hinsichtlich Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens.“ Die Firma hat bei der FDP bestimmt gute Karten für ihr Anliegen. Die Liberalen haben doch immer ein Ohr für vorgetragene Sachargumente.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 15.03.2024 und in "Der Morgen" am 16.03.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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