Eichen im Wald (Foto: picture alliance/Julian Stratenschulte/dpa)

„Keine Bäume mehr zu fällen, ist keine Lösung“

Das Interview führte Sandra Schick   24.10.2019 | 06:30 Uhr

Martin Haupenthal war 40 Jahre seines Lebens als Förster tätig, die meiste Zeit davon im Saarland. Im Interview mit SR.de erzählt er, wie sich das Leben und Arbeiten mit dem Wald über die Jahrzehnte verändert hat und verrät, warum es keine Lösung ist, nur noch auf Urwald zu setzen.

SR.de: Herr Haupenthal, Sie waren 40 Jahre lang Förster, davon 25 Jahre lang in Quierschied. Dieses Revier wird seit Mitte der 90er Jahre besonders naturnah bewirtschaftet. Wenn Sie zurückblicken: Welche Unterschiede gibt es zwischen der Art, wie wir früher mit unserem Wald umgegangen sind, und wie wir es heute tun?

Martin Haupenthal (Foto: privat)
Martin Haupenthal

Martin Haupenthal: Die Unterschiede sind immens. Bis Mitte der 80er Jahre wurde der Wald noch ähnlich bewirtschaftet wie ein Acker. Ich habe das selbst noch erlebt in meiner Ausbildung. Da wurden mehrere Hektar kahl geschlagen. Man hat das Holz, das man verwerten konnte, von der Fläche heruntergeholt und was übrig geblieben ist, wurde verbrannt, damit man eine saubere Fläche hat. Auf der Fläche wurde dann neu gepflanzt. Statt Laubbäumen wurden oft Fichten und Douglasien angebaut, weil das Nadelholz schneller wächst und mehr Erträge bringt.

In meinen ersten Arbeitsjahren habe ich auch noch mit „Agent Orange“ - dem Gift aus dem Vietnamkrieg - im Wald gearbeitet, oder auch mit Glyphosat. Haupteinsatz war die Kulturpflege. Wenn Fichten und Douglasien auf eine Freifläche gepflanzt wurden, konkurrierten sie mit vielen wildwachsenden Pflanzen wie Gräsern, Farnen, Brombeeren und anderen. Man wollte aber, dass die Fichte und die Douglasie überleben und nicht die Brombeere. Also wurden diese Pflanzen chemisch bekämpft.

SR.de: Ende der 80er Jahre kam dann die naturnahe Waldwirtschaft. Was hat sich da geändert?

Martin Haupenthal: Das Saarland war das erste Bundesland, das auf naturnahe Waldwirtschaft umgestellt hat. Das muss 1988 gewesen sein. Kahlschlag war ab dann verboten, es durften nur noch Einzelbäume geerntet werden. Kahlflächen gab es ab dann nur noch nach Stürmen, nicht durch reguläre Ernte. Auch Gift wurde ab dann im Staatswald nicht mehr eingesetzt. Im Privatwald wurde das noch länger gemacht.

Was ist "Prozessschutz-Waldbau"

Der integrative Prozessschutz-Waldbau wird als eine Art der Waldbewirtschaftung verstanden, die so minimal wie möglich [...] im Rahmen der forstlichen Bewirtschaftung eingreift und den Schutz der ökosystemaren Entwicklungen in den Vordergrund stellt. Ziel des integrativen Prozessschutz-Waldbaus ist die Verbesserung der Naturnähe in Wirtschaftswäldern bei einer gleichzeitigen Produktion von hochwertigen Holzsortimenten.
(Greenpeace)

SR.de: In den 90ern kam dann mit dem „Prozessschutz-Waldbau“ von Greenpeace ein Konzept, das noch weiter geht. Was hatte das im Saarland für Folgen?

Martin Haupenthal: Greenpeace hat damals ein Konzept für eine moderne Waldbewirtschaftung in Auftrag gegeben. Dieses „Prozessschutzkonzept“ hat ein Kollege gemacht, der mal eine gewisse Zeit im Saarland gearbeitet hat. Er hat dann beim hiesigen Forst Überzeugungsarbeit geleistet: Das Saarland beschloss - als einziges Bundesland in Deutschland - das Konzept auszuprobieren. Ich wurde gefragt, ob ich das übernehmen möchte. Ich habe zugesagt, obwohl ich damals noch nicht wirklich eine Idee davon hatte, was damit auf mich zukommt. 1996 wurde dann das Revier in Quierschied auf das Prozessschutzkonzept umgestellt. Seitdem wird das Revier extensiv bewirtschaftet. Also noch naturnaher als der sonstige Wald im Saarland.

SR.de: Erklären Sie uns doch mal den Unterschied. Was macht man im Wald in Quierschied anders als bei der normalen naturnahen Waldwirtschaft?

Martin Haupenthal: Im Revier in Quierschied wird deutlich weniger Holz eingeschlagen, etwa ein Drittel der üblichen Menge. Dadurch können die Bäume älter und stärker werden. Das Ziel ist, dass der Wald in einigen Jahrzehnten ähnliche Eigenschaften wie ein Urwald hat. Wenn dies der Fall ist, kann wieder mehr geerntet werden, weil dann der Wald vital und reich an Holzvorräten ist. Wenn dann auf einer Fläche alle zehn Jahre einige, wenige starke Bäume gefällt werden, merkt das der Wald kaum. 

Ein weiterer Unterschied ist die Zusammensetzung der Baumarten. Von Natur aus hätten wir im Saarland so gut wie keine Nadelbäume. Die Forstwirtschaft aber will einen gewissen Nadelholzanteil haben, um das Holz anbieten zu können. Gewünscht sind 20 bis 25 Prozent. Es herrscht die Meinung vor, man bräuchte das Nadelholz, weil damit das meiste Geld verdient wird. Das ist aber zu kurzfristig gedacht, denn die Fichte als Brotbaum der deutschen Forstwirtschaft leidet unter dem Klimawandel. Sie würde von Natur aus gar nicht im Saarland wachsen. In der normalen Forstwirtschaft setzt man deshalb jetzt auf die Weißtanne. Sie hat ähnliche Holzeigenschaften, aber kommt besser mit dem Klimastress zurecht.

Baumartenverteilung:

Das Saarland hat mit über 70 Prozent Laubbaumanteil den naturnächsten Wald in der Bundesrepublik. Insbesondere die in Mitteleuropa natürlicherweise dominierende Baumart Buche hat im Saarland den höchsten Anteil gefolgt von der Eiche. Bei den Nadelbäumen dominiert die Fichte.

Im Prozessschutzwald machen wir das nicht. Wir überlassen den Wald mehr sich selbst – mit den einheimischen Baumarten, wie sie da sind. In Quierschied haben wir nur noch fünf Prozent Nadelwald. Die Nadelbäume werden nicht mehr gefördert, das heißt nicht nachgepflanzt oder geschützt, weil sie von Natur aus nicht hierher gehören.

SR.de: Und wie sieht es mit den Laubbäumen aus?

Martin Haupenthal: Unsere heimische Baumart, die von Natur aus zu zwei Drittel in Deutschland wachsen würde, ist die Buche. Aber da ist die Holznachfrage leider sehr schlecht. Die schönen, dicken Stämme will keiner mehr haben. Die gehen heute überwiegend nach Asien. Sie werden direkt auf die passende Länge geschnitten, damit sie in Container passen. Dann werden sie mit dem Lkw nach Amsterdam, Hamburg, Antwerpen oder Rotterdam gefahren und von dort nach Asien verschifft.

Statt jetzt aber gezielt andere Arten anzupflanzen, überlassen wir im Prozessschutzwald der Natur die Baumartenwahl. Es kann sein, dass sich im Zuge des Klimawandels die Eiche nun eher gegen die Buche durchsetzt. Eichen kommen besser mit Trockenheit klar. Aber man würde im Prozessschutzwald nicht regulierend eingreifen.

SR.de: Aber geschlagen werden die Bäume auch im Prozessschutzwald?

Martin Haupenthal: Ja, sicher. Aber erst später und weniger. Die Bäume können dort älter und dicker werden. Der normale Umlauf ist, dass ein Nadelbaum nach 80 Jahren erntereif ist und ein Laubbaum nach 140 Jahren. Im Prozessschutzwald spielt das keine Rolle, die Bäume können dort auch mal 200 Jahre alt werden. Von Natur aus wird eine Buche etwa 200 bis 300 Jahre, eine Eiche etwa 600 Jahre. Das ist der Kompromiss, den man eingeht: Bevor bei dem Baum der Absterbeprozess beginnt, wird er auch genutzt.

SR.de: Wäre es keine Lösung, angesichts des Klimawandels möglichst ganz auf den Holzeinschlag zu verzichten und unsere Wälder komplett sich selbst zu überlassen, Stichwort Urwald?

Martin Haupenthal: Naturschutz im Extrem würde bedeuten, dass wir den Wald überall wachsen lassen, wo er will, und ihn unberührt lassen. Aber als Menschen wollen wir auch Holz nutzen und wir müssen Kompromisse eingehen. Im Grund geht es immer nur um die Frage: Wie groß sind die Kompromisse? Hat die Natur Vorrang oder hat der Mensch Vorrang? Wie weit sind wir bereit, die Natur sich selbst zu überlassen und wie weit wollen wir unseren Wohlstand erhalten?

Zunächst mal braucht unsere Gesellschaft Holz. Der Bedarf bei uns ist größer als das, was der deutsche Wald zur Verfügung stellt. Wir müssen also Holz importieren. Es ist aber sinnvoller, dass wir das Holz regional wertschöpfen, als es aus irgendwelchen Ländern der Welt zu importieren. In Deutschland die Käseglocke über den Wald zu hängen, zu sagen: „Wir machen nur noch Urwald und das Holz holen wir dann alles von außerhalb“ - das wäre auch keine Lösung. So naturnah wie möglich das Holz zu ernten und auch so regional wie möglich – das ist die Lösung.

SR.de: Wäre dann Ihrer Meinung nach das Konzept „Prozessschutzwald Quierschied“ ein Modell, das man auf das ganze Saarland ausweiten sollte?

Martin Haupenthal: Ja, es wäre aus meiner Sicht wünschenswert, dass die prozessschutzorientierte Waldbewirtschaftung im gesamten saarländischen Staatswald und auch in vielen Kommunalwäldern Einzug fände. Die Erfahrungen in Quierschied, aber auch in den Stadtwäldern von Lübeck und Göttingen, zeigen, dass bei diesem Konzept ökonomische und ökologische Interessen optimal miteinander verknüpft werden können.

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