Peter Scholl-Latour: „Der Saarländische Rundfunk war mein Heimatsender“

Sein journalistisches Handwerk hat er im Saarland gelernt, ausgeübt hat es der welt-erfahrene Welterklärer fast überall. Kaum ein Land, das Dr. Peter Roman Scholl-Latour (9. März 1924 – 16. August 2014) nicht bereist hätte. Und kaum ein größerer Krieg oder Konflikt, über den er nicht aus eigener Erfahrung berichtet hätte. So wurde er in über 65 Berufsjahren zu einem der renommiertesten deutschen Journalisten und erfolgreichsten Sachbuchautoren. Seine familiären und beruflichen Wurzeln im Saarland vergaß der gebürtige Bochumer nie. Trotz seiner Wohnsitze in Paris, Südfrankreich, Berlin und Bad Godesberg.  

Von Axel Buchholz

Nach Kriegsende 1945 hatte Scholl-Latour als Beruf eher „Abenteurer“ im Sinn. An Journalismus jedenfalls dachte er noch nicht. Als Freiwilliger bei der regulären französischen Fernostarmee nahm er als Elitesoldat in einem Fallschirmjäger-Kommando am Indochina-Krieg teil. Bei der Fremdenlegion war er nie, auch wenn das immer wieder geschrieben wurde. Zurück in Europa, bekam er zu seiner deutschen auch die französische Staatsbürgerschaft und ging ins Saarland.
Daher stammte seine Familie väterlicherseits. Also erhielt er auch die damalige saarländische Staatsbürgerschaft. Seine Mutter war eine Jüdin aus dem Elsass.

An der Saar nahm der nun ehemalige „Lieutenant Pierre Latour“ gleich Kontakt zur französischen Besatzungsmacht auf. Er ließ sich vom französischen Geheimdienst für eine Erkundungsreise in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands (SBZ) engagieren. Danach begann er mit einem Stipendium der französischen Militärregierung an der Saar ein Studium der Politischen Wissenschaften in Paris. Weil er dabei „knapp bei Kasse war“, schrieb er auf, was er in Ostdeutschland erfahren hatte – und was ihm dort widerfahren war. Mehreren Zeitungsredaktionen in Paris bot er den Text erfolglos an. Die wohl angesehenste französische Tageszeitung „Le Monde“ aber fand sein journalistisches Erstlingswerk „très intéressant“ und machte daraus eine kleine Serie. Sie begann mit einem Artikel „in großer Aufmachung auf der ersten Seite“, erinnert sich Scholl-Latour in seiner Autobiographie („Peter Scholl-Latour. Mein Leben“, erschienen 2015 – ein Jahr nach seinem Tod).

Mit dem „Le-Monde“-Artikel, schreibt er, habe sich seine „berufliche Ausrichtung auf Lebenszeit entschieden“. Und mit dieser Serie in der Hand sei es ihm nicht schwergefallen, dann bei der Saarbrücker Zeitung eine Anstellung Volontär zu finden.

Die Zeitung gehörte mehrheitlich (über ihre Anteile an der Verlagsgesellschaft) den Franzosen. Neben diesem französischen Einfluss unterlag sie – wie alle Saar-Zeitungen – der Nachzensur durch das saarländische Innenministerium. Wegen der Papierknappheit erschien die SZ nur dreimal in der Woche. Zudem gab es zu wenige fähige und demokratisch zuverlässige Journalisten, die auch auf der Linie der französischen Saar-Politik lagen. Geeigneten journalistischen Nachwuchs zu finden, war deshalb ein wichtiges Anliegen der Pressepolitik der französischen Militärregierung. Die Bewerbung des frankreichaffinen Peter Scholl-Latour dürfte ihnen deshalb sehr gelegen gekommen sein. 

Am dritten Tag seines Volontariats (wohl ab 1. August 1948) habe er bereits seinen „ersten Leitartikel über irgendeine Krise in Indonesien“ verfasst, heißt es in seiner Autobiographie. Dem damaligen Chefredakteur, Albrecht Graf Montgelas, verdanke er seine „dauerhafte Bindung an das … Regionalblatt“.

Dass er trotz solcher Erfolge nach der wohl zweijährigen Ausbildung dort nicht als Redakteur geblieben ist, lag offenbar an einem Chefredakteurswechsel. Der neue, ein Luxemburger, habe in ihm „trotz meiner Jugend – wohl einen eventuellen Rivalen“ gesehen. „Diesem Mißtrauen“, schreibt Scholl-Latour in seiner Autobiographie etwas vage, „verdanke ich in dem folgenden Jahrzehnt, dass ich fast ununterbrochen zu weltweiten Auslandsreportagen aufbrechen konnte – von Mexiko bis Usbekistan.“ Der SZ-Justitiar Mussfeld habe ihm dabei geholfen, einen „Bauchladen“ von Zeitungen (darunter der Berliner „Tagesspiegel“, die „Stuttgarter Zeitung“ und das „Heidelberger Tageblatt“) aufzubauen, um „spärlich aber ausreichend meine unermüdlichen Expeditionen zu finanzieren“. „Die Grundlage meines Schaffens“, sagte er bei der Verleihung des Siebenpfeiffer-Preises 2003 in Homburg/Saar sei aber „zunächst einmal die Saarbrücker Zeitung gewesen“, die ihm auch die ersten Reisen ermöglicht habe.

Schon während seines Volontariats und neben der anschließenden Arbeit als freier Korrespondent war Scholl-Latour auch für das Informationsamt der Regierung des Saarlandes tätig. Der langjährige Redakteur und Auslandskorrespondent der Süddeutschen Zeitung Klaus Brill schrieb in der Zeitschrift „saargeschichte/n“ (3/2014), dass Scholl-Latour am 23. September 1948 eine Namens- und Anschriftenliste der 20 hauptberuflichen Redakteure und Mitarbeiter der Saarbrücker Zeitung angefertigt habe.
Außerdem recherchierte Brill im Landesarchiv Saarbrücken: Während eines siebenmonatigen Aufenthalts 1952/53 in den USA und in Südamerika hat sich Scholl-Latour „offenbar nicht nur als Journalist, sondern auch als Diplomat und Lobbyist für das Saarland“ betätigt.

Dabei habe er sehr eng mit der französischen Botschaft in Washington zusammengearbeitet und über seine Aktivitäten „jede Woche an die ,Mission Diplomatique Française en Sarre' berichtet“, also an die von Gilbert Grandval geleitete französische Botschaft in Saarbrücken. Brill vermutet, dass die Mission Scholl-Latour „möglicherweise entsandt“ haben könnte. In Scholls Autobiographie findet sich dazu nichts.

Ab 1. Januar 1954 arbeitete Scholl-Latour dann für zwei Jahre hauptberuflich als Pressereferent für das „Amt für Europäische und Auswärtige Angelegenheiten“ der Saarregierung. Brill schreibt, dass dies „wohl auf Betreiben von Gilbert Grandval, dem Statthalter Frankreichs an der Saar“ geschehen sei. (Grandval war nach 1945 an der Saar erst Militärgouverneur, dann Hoher Kommissar und ab 1952 Botschafter.) Dazu passt, dass der Zeitzeuge und Saar-Historiker Klaus Altmeyer Scholl-Latour für einen Vertrauten von Gilbert Grandval hält. Altmeyer war zeitweise Mitstudent von Scholl-Latour, von 1957 bis 1961 Saar-Regierungssprecher und ab 1961 langjähriger SR-Pressechef.

In seiner Autobiographie schreibt Scholl-Latour allerdings, dass sich seine Kontakte zur französischen Protektoratsbehörde „im Wesentlichen“ auf Beamte des französischen Außenministeriums an der Saar beschränkt hätten. Gilbert Grandval beurteilt er eher skeptisch, nennt ihn einmal auch „selbstherrlich“.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit als angestellter Volontär, die er „bald als außenpolitischer Redakteur ausübte“, und den dann folgenden Aktivitäten, setzte Scholl-Latour sein Studium in Paris fort. Er schloss es im Januar 1954 mit einer Promotion über den deutschen Schriftsteller Rudolf G. Binding ab. Zuvor hatte er die „Licence ès lettres“ an der Sorbonne und das Diplôme des Sciences Politiques am „Sciences Po“ erworben.

Beim Saarländischen Rundfunk lernte Scholl-Latour erst die Arbeit für den Hörfunk, später auch fürs Fernsehen. Der SR bot seine Radio-Beiträge allen anderen bundesdeutschen Sendern zur Übernahme an. Dem Saarländischen Rundfunk blieb er sein Berufsleben lang als gelegentlicher Mitarbeiter eng verbunden. Immer wieder wies er auf seine SR-Vergangenheit hin.

Der SR habe ihn in die ARD eingebracht, sagte er 2003 bei der Verleihung des Siebenpfeiffer-Preises. Als er 2004 „Saarlandbotschafter“ wurde, bezeichnete Scholl-Latour den SR als seinen „Heimatsender“ – trotz seiner späteren steilen Karriere beim WDR und dem ZDF.

Die älteste von Scholl-Latour beim SR archivierte Hörfunk-Aufnahme stammt vom 4. Mai 1954. Da nahm er, als einer von mehreren Gesprächspartnern, an der Sendung „Europa hat viele Gesichter“ teil. Eingeladen war er als Journalist und Lehrbeauftragter am Europa-Institut der Universität des Saarlandes. Hauptberuflich arbeitete Scholl-Latour damals allerdings als Pressereferent im „Amt für europäische und auswärtige Angelegenheiten“ der Saarregierung. Dort war es seine Aufgabe, für die europäische Lösung der Saarfrage zu werben.

SR-Fundstücke: Scholl-Latour zur Saar-Politik

Ab wann Peter Scholl-Latour als Journalist für den Saarländischen Rundfunk gearbeitet hat, lässt sich aufgrund bisher gefundener Quellen nicht ganz genau sagen. Zuerst tat er dies jedenfalls als Hörfunk-Auslandskorrespondent neben der Berichterstattung für die SZ und seine übrigen Zeitungen. Anfangs war der SR sein einziger Sender. Nach und nach übernahmen aber immer mehr Rundfunkanstalten seine Beiträge. Klaus Altmeyer ist überzeugt davon, dass Scholl-Latour 1956, nach seiner Zeit als Pressesprecher in Regierungsdiensten also, die Mitarbeit beim SR begann. Mit Sicherheit war dies jedenfalls schon 1957 der Fall. Denn 1958 war er bereits, wie es in seiner Autobiographie heißt, „zunehmend auch für diverse Radiosender der ARD“ tätig. In den Hörfunk-Winterprogramm-Heften der Jahre 1959/60 und 1960/61 wird er als Korrespondent für „Nah-Ost und Afrika“ des Saarländischen Rundfunks aufgeführt.

„Die Berichterstattung aus dem Schwarzen Erdteil“ habe ihm „beruflich zum Durchbruch verholfen“, schreibt er in seiner Autobiographie. Seine Zeitungstexte schickte er zuerst per Einschreiben mit der Post (später per Telex/Fernschreiben) zur Saarbrücker Zeitung – was eine Woche dauerte. Von Saarbrücken aus wurden sie an die übrigen Blätter seines „Bauchladens“ verteilt.

Zuerst erreichten seine Manuskripte auch den SR per Post oder Telefax. Dort wurden sie dann von Sprechern gelesen, wie der damalige SR-Hörfunktechniker Ernst Becker erzählt. Je mehr Scholl-Latour aber zur „Hörfunktätigkeit überging“, musste er sich „anderen Methoden“ anpassen: „Eine Art Koffer, „Maihak“ genannt, schwer wie ein Eimer Wasser, wurde mir zum Aufnehmen meiner Stimme mitgegeben.“ Dazu habe eine Kurbel gehört, mit der das Gerät „aufgeladen“ worden sei, erinnert er sich nicht ganz richtig. Denn mit einem Federwerk wurden nur die Spulen bewegt. Zusätzlich gab es Batterien für die Schall-Aufzeichnung. „Nach und nach“ habe sich zudem die Möglichkeit geboten, von „Radiostationen eine direkte Leitung zu den deutschen Sendern herzustellen.“

Leitungsverbindungen nach Afrika, noch dazu in Bürgerkriegsländer, waren Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre allerdings ein kleines technisches Kunststück. In afrikanischen Krisengebieten gab es zu wenige dafür geeignete Rundfunksender. In seinem Buch „Mord am großen Fluß“ (1986, DVA) gibt Scholl-Latour dafür ein Beispiel. In Elisabethville (heute: Lubumbashi), der Hauptstadt der abtrünnigen kongolesischen Provinz Katanga, seien die Gebäude der Post- und Radiostation von Granat- und Raketeneinschlägen gezeichnet gewesen. „Von hier zu telexen oder gar eine Hörfunkleitung nach Europa herzustellen, war ein langwieriges und meist vergebliches Bemühen.“ Deshalb habe er es vorgezogen, zweimal in der Woche mit seinem klapprigen Auto auf immer neuen Schleichwegen in drei Stunden nach Kitwe in Nordrhodesien (heute: Sambia) zu fahren. Stets mit dem Risiko, dabei unter Beschuss durch Katangesen oder schwedische Uno-Posten zu geraten, die gleichermaßen „trigger-happy“ (schießwütig) gewesen seien. In Kitwe habe es nie Pannen oder Verzögerungen bei der Überspielung seiner Hörfunkreportagen aus dem Studio der „Rhodesian Broadcasting“ gegeben.

Vom 14. Februar 1961 stammt das älteste (und einzige) Korrespondentenstück von Peter Scholl-Latour im SR-Hörfunkarchiv. Darin berichtet er aus Léopoldville (heute Kinshasa), der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, über die Ermordung Patrice Lumumbas, des ersten Premierministers der seit 1960 unabhängigen ehemaligen belgischen Kolonie. „Als die Kongo-Krise die Welt erregte“, erinnert er sich in seiner Autobiographie, hätten „die diversen Radiostationen der ARD … jeden Tag einen Bericht“ angefordert.

Auf die Texte seiner Rundfunkreportagen griff Scholl-Latour wiederholt auch für seine Bücher zurück. In „Mord am großen Fluß“ schrieb er, dass er „bei der Schilderung der ersten Monate nach der Unabhängigkeit von Kongo-Zaire Notizen und Rundfunkreportagen“ verwendet habe, „die unter dem Eindruck des turbulenten Tagesgeschehens entstanden und damals unter dem Titel „Matata am Kongo“ zusammengefasst“ worden seien. Dieses erste seiner mehr als 30 Bücher erschien 1961.

Durch den Hörfunk, heißt es in seiner Autobiographie, habe er – „man stelle sich das heute vor“ – seinen „journalistischen Durchbruch endlich im Alter von sechsunddreißig Jahren erzielt“ und sei „offiziell zum Afrikakorrespondenten sämtlicher ARD-Sender ernannt worden.“ Das war 1960. Und das hatte er dem Saarländischen Rundfunk zu verdanken. Der SR hatte als federführender Sender für die ARD mit ihm einen Vertrag als Afrika-Reisekorrespondent für Hörfunk und Fernsehen ausgehandelt. Am 6. Dezember 1960 war er von Intendant Dr. Franz Mai unterschrieben worden. Scholl-Latour war damit der einzige ARD-Korrespondent für den geamten afrikanischen Kontinent. Als sein Dienstsitz wurden die sich am Kongo gegenüberliegenden Städte Leopoldville (Kinshasa) und Brazzaville festgelegt. Vertragsbeginn war der 1. Januar 1961.

Wie es zu diesem ARD-Vertrag für Scholl-Latour gekommen war, daran erinnerte der spätere Intendant des Westdeutschen Rundfunks Friedrich Nowottny, der von 1962 bis 1967 beim SR Hauptabteilungsleiter Wirtschaft und Soziales und zeitweise stellvertretender Chefredakteur gewesen war. Dr. Peter Scholl-Latour habe für verschiedene Zeitungen und für den SR aus dem Kongo berichtet, in dem nach dem Ende der belgischen Kolonialherrschaft 1960 Bürgerkrieg herrschte. Mit den Zeitungen habe Scholl-Latour Ärger bekommen, weil seine Berichte ja immer schon einen Tag zuvor im Radio zu hören waren. Der SR allein hatte aber nicht das Geld, um Scholl-Latour zu bezahlen. Was tat man? Man „sammelte das Geld in der ARD“ für einen gemeinsamen Korrespondenten Scholl-Latour, dessen Beiträge andere ARD-Sender ohnehin schon gern übernommen hatten. „Beim SR ging damals alles unkompliziert“, hat Nowottny in Erinnerung. „Der Sender war im Aufbruch.“ Peter Scholl-Latour auch. Nach dem Durchbruch mit dem Radio kam die große Karriere im Fernsehen. Auch sie begann beim SR. In einem weiteren „Fundstück zur SR-Geschichte“ wird darüber zu lesen sein.

(Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche), Klaus Altmeyer, Michael Fürsattel, Sven Müller und Hans-Ulrich Wagner. Der AK SR-Geschichte bedankt sich beim WDR für Recherchehilfe.)

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