saartalk. mit Viviane Reding und Jo Leinen

Die EU steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Was auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs als große Friedensidee begann, ist heute in vielfältiger Weise von innen wie von außen bedroht. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fliehkräfte sind so groß geworden, dass es immer schwieriger erscheint, den Bund aus inzwischen 28 Staaten zusammenzuhalten.

Terroranschläge

Die schweren Terroranschläge von Frankreich und Belgien und die daraus folgenden Sicherheitsmaßnahmen sind nur eines von vielen Alarmzeichen. Miserable technische und logistische Zusammenarbeit der Behörden zwischen und sogar innerhalb der Einzelstaaten macht es radikalen Gruppen leicht, sich lange im Verborgenen zu halten. Wenn schon manche Computersysteme der deutschen Bundesländer nicht zueinander passen, wie soll es dann in ganz Europa funktionieren?

Aber das ist nur eines von vielen Problemen: Soziale Verwerfungen, nationalstaatliche Egoismen, die Folgen einer falsch angelegten Währungsunion und der Vormarsch europafeindlicher rechter Parteien gefährden das gesamte Projekt Europa.

Krisenflüchtlinge

Der Umgang mit den Krisenflüchtlingen hat gezeigt, wie zerrissen die EU nach innen wie nach außen ist. Die Unfähigkeit, sich auf einen menschenwürdigen Umgang mit den Opfern von Krieg und Verfolgung zu einigen, hat zu einem wackeligen Deal mit der Türkei geführt. Einem Land, das bereits über drei Millionen Flüchtlinge beherbergt und mit dem umstrittenen Regierungschef Erdogan alles andere als ein verlässlicher Partner ist.

Finanzmärkte

Auch die Eurokrise ist noch längst nicht überwunden. Die vor allem von Deutschland erzwungene Kürzungspolitik hat die Lage in den Krisenstaaten dramatisch verschärft; die Bevölkerung soll ausbaden, was die Finanzmärkte angerichtet haben. Die Europäische Zentralbank hat in ihrer Not die Märkte mit immer mehr Geld geflutet und die Zinsen abgeschafft. Das erhoffte Anschieben der Konjunktur kommt nur mühsam voran, aber die Altersvorsorge einer ganzen Generation ist schon jetzt komplett ins Wanken geraten.

Und als wäre das noch nicht genug, stimmt die Bevölkerung von Großbritannien im Juni darüber ab, ob sie die EU nicht besser ganz verlassen soll.

Dabei hätte die EU immer noch viele Chancen, eine zentrale und friedensstiftende Rolle auf der Weltbühne zu spielen. Über eine halbe Milliarde Menschen gehören heute zum größten Binnenmarkt der Welt. Sie blicken auf den Gräbern ihrer Großväter auf über 70 Jahre Frieden zurück.

„Europa im Alarmzustand – Wie kann es weitergehen?“ Da liegen viele spannende Fragen auf der Hand, die Norbert Klein und Peter Stefan Herbst, die Chefredakteure von SR und SZ, diskutieren wollen – mit zwei Gästen, die sich ganz der europäischen Idee verschrieben haben und die EU-Institutionen so gut kennen wie fast niemand sonst.

Viviane Reding

Viviane Reding hatte ihre Karriere als Journalistin in Luxemburg gestartet und war von 2010 bis 2014 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Ihr großes Ressort umfasste die Themen Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Heute ist sie wieder CSV-Abgeordnete im EU-Parlament und tritt auch verstärkt in Luxemburg im Erscheinung.

Jo Leinen

Jo Leinen zählte in Deutschland zu den Umweltaktivisten der ersten Stunde. Oskar Lafontaine holte ihn als Umweltminister in sein SPD-Kabinett. Schon seit 1999 vertritt er das Saarland im EU-Parlament. Seit 2011 ist Jo Leinen Präsident der Europäischen Bewegung International und damit dem Gedanken der europäischen Einigung besonders verpflichtet.