Leeres Wartezimmer in einer Arztpraxis (Foto: dpa/Daniel Karmann)

Wenn aus einer kleinen Verletzung Knochengewebe wird

Steffani Balle   07.02.2022 | 09:45 Uhr

Menschen, die unter einer Seltenen Krankheit leiden, haben meist ein Leben lang damit zu kämpfen. Nicht nur, dass es oft lange dauert, bis die Krankheit überhaupt identifiziert ist, häufig gibt es auch keine vernünftige Therapie. Eine dieser Krankheiten ist FOP. Weltweit gibt es nur 800 erfasste Fälle - einer davon ist im Saarland.

Laut Definition sei eine Seltene Erkrankung eine Krankheit, die seltener als 1:20.000 auftritt, sagt Robert Bals. Er leitet an der Uniklinik Homburg das Zentrum für Seltene Erkrankungen. Da eine solche Erkrankung so selten auftrete, hätten die meisten Ärztinnen und Ärzte auch keine Erfahrungen mit der Diagnostik und der Behandlung einer solchen Erkrankung.

Zusammenarbeit vieler Disziplinen und weltweite Vernetzung

Obschon die einzelne Krankheit selten ist, sieht die Uniklinik Homburg jedes Jahr rund 5000 Patienten, die eine seltene Erkrankung haben. Das Zentrum für Seltene Erkrankungen ist dabei keine Station innerhalb der Klinik, sondern der Zusammenschluss vieler einzelner Disziplinen zu einer Konferenz.

Chirurgen aller Bereiche, Innere Medizin, Augen-, Haut- und Kinderärzte, aber auch Psychotherapeuten gehören mit zu diesem Zusammenschluss. Außerdem ist das Zentrum in Homburg mit denen anderer Unikliniken vernetzt, bundes- und europaweit.

Firmen, die sich spezialisiert haben

Einzelschicksale sind dann schwierig, wenn es noch keine Therapie für eine Seltene Erkrankung gibt. Aber der Chefarzt der Kinderklinik Michael Zemlin ist zuversichtlich, weil Medikamente zunehmend auch dann von der Pharma-Forschung entwickelt werden, wenn die Chance auf massenhafte Anwendung nicht gegeben ist. Zum Glück gebe es seit einigen Jahren für bestimmte Erkrankungen, die selten seien, spezielle wirtschaftliche und administrative Abläufe, wie dafür Medikamente entwickelt werden können, so Zemlin. "Dadurch ist das riesengroße Problem - wir haben ja nur wenige Patienten, da lohnt sich die Entwicklung der Therapie nicht - deutlich abgemildert ist." Es gebe inzwischen Firmen, die auf seltene, genetische Erkrankungen spezialisiert seien und mit Unterstützung dafür Medikamente entwickeln.

FOP: Aus kleinen Verletzungen wird Knochengewebe

Eine solche seltene genetische Krankheit ist Fibrodysplasia Ossificans Progressiva (FOP). Weltweit gibt es 800 erfasst Fälle.

Einer davon ist der vierjährige Felix aus St.Wendel-Bubach. Bei dieser Erkrankung wandele sich Bindegewebe fortschreitend in Knochen um, so Zemlin. Wenn man sich beispielsweise einen Muskel stoße, entstehe durch die Zerstörung von ein paar Muskelzellen eine minimale Entzündung. Diese werde von einem gesunden Körper korrigiert und es entstehe wieder Muskelgewebe. Bei Personen, die an FOP leiden, "entsteht aus der kleinen Entzündung eine größere Entzündung und daraus werde erst eine knorpelige und dann eine knöcherne Struktur entwickelt."

Die Ursache

Das Chromosom 26, das bei gesunden Menschen dafür sorgt, dass sich beim Wachsen die Knochen mit verlängern, ist bei FOP-Kranken so verändert, dass es nur einen kleinen Anreiz braucht, um aus Weichteilen Knochen nachzubilden - und zwar auch dort, wo im menschlichen Körper gar keine Knochen hingehören.

Jeder Stoß kann zu Verknöcherung führen

Jeder Sturz oder Stoß, ein Schnitt in die Haut oder schon eine Impfung in den Muskel kann dieser Anreiz zur Knochenbildung sein. "Die Patienten entwickeln im Laufe ihres Lebens quasi einen zweiten Knochenpanzer und können sich immer weniger bewegen", so der Chefarzt der Kinderklinik.

Eine OP scheidet aus, da dadurch nur neue Knochenstrukturen entstehen würden. Und eine wirksame Therapie gibt es auch noch nicht. Den Betroffenen bleibt deshalb zurzeit nur die Möglichkeit, sehr, sehr vorsichtig zu leben.

Selbsthilfegruppen

Der Zusammenschluss zu einer weltweiten Selbsthilfegruppe kann nach Ansicht Zemlins helfen, besser mit den Einschränkungen umzugehen. Und Ärzten und Forschern können sie dabei unterstützen, die Behandlung der Patienten nach und nach zu verbessern. "Insofern ist es wichtig, dass möglichst viele Patienten identifiziert werden und dass sie sich melden, wenn sie an der Entwicklung neuer Heilmethoden teilnehmen wollen", sagt Zemlin.

Ein Hoffnungsschimmer am Horizont

Studien in den USA gehen in die Richtung einer Gentherapie, mit der FOP an der Wurzel gepackt und dann eines Tages vielleicht tatsächlich auch geheilt werden könnte. Die Studien befinden sich aber noch in einem Stadium, das derzeit keine breite Anwendung erlaubt.

Ein Thema in den "Bunten Funkminuten" am 07.02.2022 auf SR 3 Saarlandwelle

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