Eine junge Frau steht mit geschlossenen Augen hinter einer Glasscheibe (Foto: IMAGO / Westend61)

Das Chronische Erschöpfungs-Syndrom

Reporterin: Julia Becker-Maleska / Onlinefassung: Raphael Klein   24.07.2023 | 09:45 Uhr

Rund eine Viertelmillion Menschen in Deutschland leiden am Chronischen Erschöpfungssyndrom. Das Problem: Obwohl die Krankheit seit den 60er Jahren anerkannt ist, erkennen viele Mediziner sie oft nicht. Wie das Leiden sich äußert und was man tun kann, erfahren Sie hier.

250.000 Menschen leiden in Deutschland an chronischer Erschöpfung. Der medizinische Fachausdruck ist myalgische Enzephalomyelitis, bzw. Chronisches Fatique-Syndrom - kurz "ME/CFS". Die Krankheit betrifft mehrere Organsysteme, die Menschen leiden an unterschiedlich ausgeprägten Schmerzen und Beeinträchtigungen.

Aktuell häufen sich Fälle des Erschöpfungs-Syndroms. Denn ausgelöst wird sie meistens durch Infektionen, wie beispielsweise auch Corona. Aber wirklich bekannt und gut erforscht ist die Krankheit immer noch nicht - und auch das macht den Betroffenen zu schaffen.

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Das Chronische Erschöpfungs-Syndrom - eine oft übersehene Krankheit
Audio [SR 3, Julia Becker-Maleska, 24.07.2023, Länge: 05:14 Min.]
Das Chronische Erschöpfungs-Syndrom - eine oft übersehene Krankheit

Zwei Leidenswege aus dem Saarland

Stephanie aus Bliesen. Seit gut zehn Jahren kämpft sie mit chronischer Erschöpfung - oder wie sie es nennt "ihrem Monster Pit". Wie das Monster wirklich heißt, wusste die 56-Jährige selbst lange nicht. Nach einer Infektion 2004 begannen die Symptome. Sie war dauerhaft krankgeschrieben, konnte ihrer Arbeit als Physiotherapeutin schließlich ab 2013 endgültig nicht mehr nachgehen.

Erst 2017 bekam sie die Diagnose "ME/CFS" von Spezialisten aus Berlin – dazwischen lagen viele Fehldiagnosen wie Wechseljahre oder einer Muskelkrankheit. Man habe ihr zu mehr Sport geraten - und das habe alles noch schlimmer gemacht, sagt sie.

Auch Nicole aus Ensheim leidet unter ME / CFS. Die Symptome bei ihr: Reizüberflutung, Geräuschempfindlichkeit und Schlafstörungen. Auch die 41-Jährige wurde von vielen Ärzten nicht ernst genommen Sie hat ihre Diagnose seit 2019, obwohl sie sich schon eine ganze Weile vorher krank, erschöpft und überfordert fühlte

Schon der Einkauf nach der Arbeit wurde für sie zu einer Tortur. Sie sei danach so erschöpft gewesen, dass sie sich am nächsten Morgen kaum anziehen und duschen konnte, erzählt sie. Inzwischen kann sie nicht mehr selbst Auto fahren, nicht weit gehen und muss sich nach einem Besuch von Freunden einen ganzen Tag erholen.

Beide Frauen nehmen Medikamente und brauchen Hilfsmittel, Nicole benutzt ein E-Mobil, sie hat es sich selbst gekauft. Stephanie hat lange für einen Rollator gekämpft. Damit kann sie wenigstens ein bisschen spazieren gehen, ohne sich von ihrem Mann stützen lassen zu müssen. Das Schlimmste für sie sei das Unverständnis auf Seiten der Ärzte gewesen, sagen sie. Viele hätten psychische Ursachen vermutet.

Wenig professionelle Hilfe

Die Betroffenen müssen oft ohne professionelle Hilfe einen Weg finden, mit "ME / CFS"  zu leben. Nicole ist in einer Selbsthilfegruppe und tauscht sich online mit anderen Betroffenen aus dem Saarland aus - über Renten- und Pflegeanträge zum Beispiel. Vor allem gehe es aber um das Gefühl, mit der Krankheit nicht alleine zu sein, sagt sie.

Stephanie schreibt auf, was ihr durch den Kopf geht, führt Tagebuch, dichtet und hofft, dass, die Krankheit mit der sie leben muss, eines Tages besiegt werden kann.

Problem Diagnose

Doch was steckt hinter der Krankheit und was kann man tun? Noch ist relativ wenig bekannt. Man vermutet, dass Infektionen oder psychische Traumata die Krankheit auslösen können.

Doch die erste Hürde ist die Diagnose. Wenn Betroffene wie Nicole und Stephanie sich überfordern und sich beispielsweise von einem Einkauf tagelang erholen müssen, erleiden sie einen sogenannten "Crash". Diese langen Erschöpfungszeiten nach einer Anstrengung seien das entscheidende Kriterium bei der Krankheit, erklärt Doktor Michael Jelden aus Homburg. Er ist einer der wenigen Ärzte, die "ME / CFS" erkennen.

Was Betroffene und er immer wieder feststellen: Obwohl die Krankheit seit Ende der 60er Jahre anerkannt ist, können viele Mediziner sie nicht diagnostizieren: Jelden erklärt sich das so: "Viele Mediziner denken, eine Krankheit kann nur dann existieren, wenn ich einen objektiven Nachweis bringen kann - zum Beispiel durch eine Blutdruckmessung oder durch einen Laborwert." Das gelte für das Chronische Erschöpfungssymdrom aber nicht - ähnlich wie bei Depressionen, so Jelder.

Behandlungsmöglichkeiten

Da auch die Ursachen der Krankheit noch nicht genug erforscht sind, kann Jelden nur die schlimmsten Symptome behandeln. Eine Heilung gibt es nicht: Stephanie und Nicole nehmen Medikamente gegen Nervenschmerzen und Reizüberflutung .

Was noch hilft, ist das sogenannte "Pacing". Das bedeutet, sich seinem eigenen Tempo anzupassen, also nicht zu viele Termine nehmen und viele Auszeiten und Ruhezeiten einhalten.

Patienten oft pflegebedürftig

Das chronische Erschöpfungs-Syndrom verschlechtert das Leben der Betroffenen grundlegend: Viele sind pflegebedürftig, Stephanie hat Pflegestufe 2. Viele verlassen wochenlang nicht das Haus: Wie auch Nicole. Sie hätte zum Beispiel Anspruch auf einen Behindertenausweis: Doch für die Beantragung fehlt ihr die Kraft. Eine Bekannte von ihr habe zwei Jahre gekämpft und mithilfe eines Anwalts die Anerkennung ihres Behindertenstatus eingeklagt, erzählt sie.

Statt ihre Energie für Formulare aufzubringen, ist sie eine seltene Ausnahme und arbeitet Vollzeit im Home-Office als Sachberarbeiterin. Sie kenne niemanden, der so krank sei und noch voll arbeite. Doch sie sei froh - denn dass sie arbeiten kann, bedeute für sie wenigstens ein bisschen Lebensqualität.

Wo findet man Hilfe bei ME / CFS?

Informationen und Hilfe zum chronischen Erschöpfungssyndrom findet man hier:

"CFS Saar Selbsthilfe"
Kontakt: cfsselbsthilfesaar@web.de,
www.selbsthilfe-saar.de/cfs/

Weitere Informationen auch unter:
www.mecfs.de
www.fatigatio.de

Ein Thema in den "Bunten Funkminuten" am 24.07.2023 auf SR 3 Saarlandwelle.

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