Tarifverhandlungen an Theatern: "Verträge schon knapp 100 Jahre alt"

"Tarifverträge schon knapp 100 Jahre alt"

Längst überholte Arbeitsregelungen an deutschen Bühnen

Reportern: Alice Kremer/ Onlinefassung: Nadja Schmieding   29.04.2025 | 08:25 Uhr

Dauerhafte Erreichbarkeit, eine frei verhandelbare Gage und das ständige Risiko, den Job zu verlieren – für Menschen, die am Theater arbeiten, ist das ganz normal. Gewerkschaften wollen die Situation nun verbessern.

Festgehalten sind die Arbeitsbedingungen im sogenannten Normalvertrag Bühne, kurz NV-Bühne. Unter diesen fallen alle künstlerisch Mitarbeitenden an deutschen Theatern, also Schauspielerinnen und Schauspieler, Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer, aber auch Beschäftigte aus angrenzenden Bereichen, wie etwa Maskenbildnerinnen und Maskenbildner oder Dramaturginnen und Dramaturgen.

Verträge sind veraltet und überholt

Der NV-Bühne-Vertrag wirkt im Prinzip sehr willkürlich und ist in weiten Teilen schon in den 1920er-Jahren geschrieben worden, ist also knapp 100 Jahre alt und heute in vielerlei Hinsicht überholt.

Der Kunstfreiheit wird in Deutschland ein hoher Rang eingeräumt. Das spiegelt sich im Vertrag wider: etwa daran, dass Befristungen über sehr lange Zeiträume – bis zu 19 Jahre – zulässig sind. Diese Befristungen werden mit künstlerischen Gründen gerechtfertigt, was allerdings willkürliche Entscheidungen möglich macht. Letztlich liegt es allein in der Hand der Intendanz, zu entscheiden, ob eine Zusammenarbeit aus „künstlerischen Gründen“ endet oder weiterbesteht. Solche Gründe fallen unter die Kunstfreiheit und sind weder überprüfbar noch anfechtbar.

Ein anderer Punkt: Bis heute existieren für künstlerisch Beschäftigte auf der Bühne keine verbindlichen Regelungen zur Arbeitszeiterfassung, keine festgelegten Ruhezeiten zwischen Proben und Vorstellungen und kein verlässlicher Wochenarbeitsplan.

Raphael Westermeier, Vizepräsident der GDBA und Verhandlungsführer, schildert, was das bedeutet:

„Ich weiß von Kolleg*innen, die manchmal erst am Vortag erfahren haben, ob sie am nächsten Tag lang proben, d. h. vormittags und nachmittags, oder geteilt, also am Vormittag und am Abend. Das macht ja zum Beispiel ein Leben mit einer Familie nahezu unmöglich, wenn man Betreuung organisieren muss. Genau aus diesem Grund haben wir gesagt: Da ist so viel zu regeln, da müssen wir jetzt als Erstes ran.“

Situation muss verbessert werden

Die Zustände ändern will die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA). Sie setzt sich gemeinsam mit ihren Schwestergewerkschaften – dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) und der Vereinigung Deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) – für bessere Arbeitsbedingungen ein. Die Gewerkschaften verhandeln darüber in Koblenz mit dem Deutschen Bühnenverein.

Die Gewerkschaften hoffen, mit diesen Verhandlungen einen ersten Teilabschluss zu erreichen. Auf beiden Seiten besteht ein großes Bedürfnis, jetzt eine Lösung zu finden, mit der alle Beteiligten leben können.

Klare Regelungen

Der Schwerpunkt der aktuellen Verhandlungen liegt jetzt erst einmal auf der Einführung klarer und verbindlicher Arbeitszeitregelungen, um künstlerisch Beschäftigten mehr Entlastung und Planbarkeit zu ermöglichen. Zum Beispiel mit einem Ausgleichstag für das Arbeiten an einem Wochenfeiertag, elf Stunden Nachtruhe ohne Einschränkung und regelmäßig planbaren freien Wochenenden.

Ein zentrales Problem war, dass die Gewerkschaften bis Ende letzten Jahres an die sogenannte „Friedenspflicht“ gebunden waren. Das bedeutet: Solange ein Tarifvertrag nicht gekündigt ist, besteht kein Streikrecht. Veränderungen konnten also nur erbeten werden. Die Argumente wurden hin- und hergeschoben, ohne dass echter Druck aufgebaut werden konnte.

Das ändert sich, sobald ein Tarifvertrag gekündigt wird – dann besteht die Möglichkeit, mit Streiks mehr Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Genau diesen Schritt haben die GDBA und der BFFS zum 31. Dezember des vergangenen Jahres getan und den NV-Bühne-Vertrag gekündigt.

Symbolfoto: Theaterbühne mit Vorhang (Foto: pixabay/ulma93)

Seit diesem Jahr ist die Kündigung des NV-Bühne-Vertrags wirksam. Mitte März wurde dann auch für eine halbe Stunde gestreikt. Über 100 Theater haben sich an diesem Streik beteiligt. Aus Sicht der Gewerkschaften ist damit jetzt endlich eine Verhandlung auf Augenhöhe möglich.

Ein weiterer Verhandlungstermin ist für den 7. Mai angesetzt – mit dem Ziel, dass die NV-Bühne-Beschäftigten schon ab der kommenden Spielzeit von einem Großteil der neuen Regelungen profitieren können. Danach sollen dann die nächsten großen Themen angegangen werden, wie etwa die Reform der Nichtverlängerungsklausel oder die Einführung zusätzlicher Bezahlstufen. Die Arbeitszeitregelung wäre damit der erste Schritt in einem umfassenden Reformprozess.

Ein Thema in der Sendung "Der Morgen" am 29.04.2025 auf SR kultur.


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