Wirtschaftsforscher Michael Hüther blickt auf die Situation in Deutschland

Wirtschaftsforscher Michael Hüther: „Woher soll das Wachstum denn kommen?“

Yvonne Schleinhege-Böffel   13.10.2023 | 21:40 Uhr

Es geht wieder um, das Wort vom „kranken Mann Europas“, wenn von Deutschland die Rede ist. Und tatsächlich ist die Lage momentan so schwierig wie in kaum einer anderen großen Industrienation. Das Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr wohl um rund 0,5 Prozent schrumpfen. Immerhin, die Erwartungen für 2024 sind vielerorts besser. Doch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, zeigt sich im SR-Interview der Woche skeptisch.

Die deutsche Wirtschaft steckt in Schwierigkeiten. Das ist nicht nur der allgemeine, gefühlsgesteuerte Tenor, sondern das zeigen auch die Zahlen. Die Prognosen für 2023 wurden nochmal nach unten korrigiert – Deutschland ist die einzige große Volkswirtschaft weltweit, in der die Entwicklung negativ ist.

Doch die Zahlen gelten für dieses Jahr. „Die eigentliche Frage ist: Was ergibt sich daraus als Startrampe für 2024?“, sagt der Volkswirt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft im SR-Interview der Woche. Immerhin: Die Bundesregierung erwartet für das kommende Jahr ein Wirtschaftswachstum von deutlich über einem Prozent. Doch Hüther ist deutlich skeptischer als viele seiner Kollegen.

„Wir haben eine große Unsicherheit auf den Weltmärkten, wir haben eine hohe Belastung durch die Zinsentwicklung, wir haben nachwirkende Effekte durch die Inflation und auch der Staat ist zurückhaltend“, sagt er, „also woher soll das Wachstum denn kommen?“

Der Blick von Wirtschaftsforscher Michael Hüther auf die Lage in Deutschland
Audio [SR 3, Yvonne Schleinhege-Böffel, 13.10.2023, Länge: 03:10 Min.]
Der Blick von Wirtschaftsforscher Michael Hüther auf die Lage in Deutschland

Brückenstrompreis richtig

Neben den ganz aktuellen Problemen setzt der klimaneutrale Umbau, die Transformation, die heimische Wirtschaft massiv unter Druck. Und besonders in der energieintensiven Industrie wie der Stahlindustrie ist dieser Druck noch einmal deutlicher zu spüren.

Die saarländische Landesregierung setzt sich mit fast allen anderen Bundesländern für die Einführung eines Industriestrompreises ein. Dafür plädiert auch der Wirtschaftswissenschaftler Hüther – zumindest zeitlich befristet. Die Probleme auf dem Energiemarkt seien ja auch eine Folge der Fehler der Politik: „Zu spät gehandelt, falsch gehandelt.“ Wenn es – wie versprochen – ab 2030 genug erneuerbare Energien geben soll, dann müsse die Bundesregierung einen Brückenstrompreis eigentlich auch wollen.

Video [aktueller bericht, 18.09.2023, Länge: 03:00 Min.]
Saar-Fraktionen fordern günstigen Industriestrompreis

Zeit drängt – auch im Saarland

In vielen Branchen drängt die Zeit. Die Beschäftigen der saarländischen Stahlindustrie waren in den vergangenen Wochen für einen solchen Brückenstrompreis auf der Straße. Kommenden Donnerstag haben sie erneut zum Stahlaktionstag aufgerufen. Die Bundesregierung müsse endlich die Milliarden-Förderung für den Umbau hin zu einer klimafreundlicheren Produktion freigeben, so die Forderung.

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft hält diese Förderung, auch entgegen anderer Meinungen aus der Wirtschaft, für grundsätzlich den richtigen Weg: „Ob die Frage der individuellen Schecküberreichung der richtige Weg ist, könnte man auch anders sehen. Aber im Grunde müssen wir jetzt auch einfach vorankommen.“ Noch in diesem Jahr sollen die Förderbescheide für die saarländische Stahlindustrie kommen, und die Zeit drängt.

Chancen in der Wasserstoffwirtschaft

Ähnlich ist die Situation in der Autoindustrie. Auch hier ist der Transformationsdruck groß. Immer noch sind die saarländischen Autozulieferer stark vom Verbrennungsmotor abhängig. Doch selbst wenn die Automobilproduktion im Land keine Zukunft haben sollte, es gebe durchaus Chancen für die Beschäftigten, sagt Hüther: „Weil wir feststellen, dass Beschäftigte in der Autobranche hohe Kompetenzen mitbringen für Elektrolyseure. Also da gibt es Potenziale, man muss nur einfach viel großräumiger denken.“

Auch chinesisches Geld gibt Hoffnung

Auch mit Blick auf das Ford-Werk sieht der Kölner Wirtschaftswissenschaftler eine Zukunft für Saarlouis. Noch laufen die Gespräche mit einem potenziellen Investor, der nach SR-Informationen wohl aus China kommt.

Geopolitisch sei das tatsächlich nicht einfach, wenn ein chinesischer Investor im Autoland Deutschland Autos bauen würde, so der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Aber, es bleibe die Frage nach den Alternativen: "Die Weltwirtschaft und die deutsche Wirtschaft ohne China zu denken ist auch sehr schwierig. Und wenn es einen Investor gibt, der dieses Werk transformiert, ist das erstmal ein Hoffnungspunkt.“

Über dieses Thema hat auch die SR 3-Sendung "Region am Nachmittag" am 13.10.2023 berichtet.


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