Brexit (Foto: dpa)

Die Europa-Krise als Chance

Ein Interview mit dem Wirtschaftshistoriker Prof. Werner Abelshauser

Audio: Kai Schmieding Marmit / Onlinefassung: Rick Reitler   01.07.2016 | 08:45 Uhr

Der Wirtschaftshistoriker Prof. Werner Abelshauser sieht den Brexit-Schock vor allem als Chance, alte Fehler des EU-Selbstverständnisses zu korrigieren - zum Beispiel, den Kapitalmarkt wieder unter Kontrolle zu bringen, den Euro zu überdenken und sich auf die traditionellen Stärke der Vielfältigkeit des Kontinents zu besinnen.

Mit einer Woche Abstand vom Brexit-Schock hat SR 2 KulturRadio mit dem Bielefelder Wirtschaftshistoriker Prof. Werner Abelshauser gesprochen. Er sieht den politischen Paukenschlag vor allem als Chance, alte Fehler des EU-Selbstverständnisses zu korrigieren.

"Klar werden, was wir eigentlich wollen in der EU"

Gerade für Deutschland sei es nämlich durchaus von Vorteil, den "übermächtigen britischen Kapitalmarkt" nicht mehr in der EU zu haben, so dass nun die Chance bestehe, "endlich mal den Kapitalmarkt unter Kontrolle zu bringen".

Auch für die gesamte EU sei der Brexit-Schock eine gute Gelegenheit, innezuhalten und sich zu überlegen, was die Gemeinschaft eigentlich wirklich brauche. Ein Einheits- oder Superstaat jedenfalls sei nach seiner Aufassung nicht nötig, um erfolgreich zu sein: "Das ist ein Denkfehler, den viele Europäer machen", so Abelshauser, "als Wirtschaftshistoriker weiß man, dass Europa immer stark war - und ich glaube, immer noch ist - weil es unterschiedliche Wettbewerbsvorteile hatte, das heißt, auf unterschiedlichen Märkten jeweils unterschiedliche Voraussetzungen mitgebracht hat, um sich dort auf diesen Märkten durchzusetzen".

Prof. Dr. Werner Abelshauser (Foto: dpa)
Prof. Dr. Werner Abelshauser (Foto: dpa)

Den Euro überdenken, Unterschiede zulassen

Mit der Einführung des Euro seien die unterschiedlichen Wirtschaftskulturen des Kontinents allerdings nicht mehr zum Vorteil genutzt worden: "Der Euro bedeutet ja, dass man zu dieser Austeritätspolitik gezwungen wird. Man kann ja die Währung nicht abwerten. Von daher geht das gegen die Praxis, die auf dem Balkan, am Mittelmeer und insbesondere auch in Griechenland bisher gehandhabt wurde - dass man nämlich Wirtschaftprobleme mit Hilfe der Währungspolitik, Wechselkursmanipulationen usw. bekämpft hat. Das ist jetzt nicht mehr möglich."

Abelshauser fordert deshalb von der EU, sich wieder zu den verschiedenen Wirtschaftskulturen ihrer Mitgliederländer zu bekennen und diesen Ländern zu gestatten, "ihre ureigenen Wettbewerbsvorteile zu entwickeln - und dazu muss nicht alles harmonisiert werden". Europa brauche zwar einen Binnenmarkt, aber eben auch ein Selbstverständnis als ein "Europa der mehreren Wege".


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