Das Große Spiel von 1974

Gerade sind einige spannende Graphic Novels in Deutschland herausgekommen, die Geschichte mit Sport verbinden. Eine davon ist "Das Spiel der Brüder Werner" von Philippe Collin und Sébastien Goethals: Die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte und der Mauerfall gespiegelt in der Geschichte zweier fußballspielender Brüder - auf dem Hintergrund des berühmten Spiels DDR-BRD 1974.

Von den Trümmern der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum legendären Spiel 1974 - bei dem es um so viel mehr ging: "Das Spiel der Brüder Werner" erzählt deutsch-deutsche Geschichte. Ein ausführliches Dossier vervollständigt die Beschäftigung mit einer Zeit, die uns heute manchmal schon sehr weit weg vorkommt. Die Journalistin Klara Fröhlich hat über ihre Arbeit bei einer französischen Produktionsfirma direkt mit den Autoren zusammengearbeitet für die deutsche Ausgabe.  Aber sie ist auch persönlich in die ganze Geschichte eingebunden - denn ihr Opa war ein "roter Fußballer".

SR.de: Frau Fröhlich, wie kam der Autor darauf, Geschichte und Sport zu vermengen?

Klara Fröhlich: Philippe Collin ist Fußballnarr und hat eine Sendung bei dem sehr beliebten französischen Radiosender France Inter, die Sport und Kultur verbindet. Das ist sein Ding: Sport durch die kulturhistorische Brille zu betrachten. Und ich hatte zu der Zeit eine eigene Recherche über die Fußballerlaufbahn meines Großvaters laufen, über die wir viel gesprochen haben. Der spielte für die DDR-Nationalmannschaft in den ersten beiden Länderspielen Anfang der 50er Jahre und dann 15 Jahre lang in der DDR-Oberliga. Wir waren also beide eh tief in dem Thema drin. Ich glaube, den Anstoß hat dann letztendlich diese Faszination für das außergewöhnliche WM-Spiel 1974 in Hamburg gegeben, wo so viel zusammenkam aus politischer, sportlicher und gesellschaftlicher Sicht. Dazu hat er mir erzählt:

"Man könnte denken, es handelt sich um zwei feste Blöcke, die sich gegenüberstehen. Aber das ist nicht richtig. Innerhalb der Mannschaften gibt es Brüche. Das Westdeutschland der 60er Jahre ist ein vielfältiges Land. Ein Spieler wie Paul Breitner brüstet sich damit die Mao-Bibel gelesen zu haben. Er verkörpert eine deutsche Jugend, die sich zugleich antimilitaristisch und maoistisch versteht, die gegen den Vietnam-Krieg ist und sich lustvoll ausleben will." Philippe Collin

SR.de: Sie haben für die Geschichte von Leipzig aus recherchiert?

Fröhlich: Ja, ich habe ja das große Glück, dort eine der beiden deutschen Nationalbibliotheken zu haben. Dort habe ich mir Bücher über den Mauerbau, die Nationale Volksarmee, über Mode in der DDR und BRD der 60er, 70er Jahre und alles mögliche Sonstige ausgeliehen. Ich habe aber auch im Internet recherchiert. Es gibt Webseiten mit unglaublich viel historischem Fotomaterial, wie die deutsche Fotothek oder auch das Digitale Bildarchiv des Bundesarchivs. Da habe ich allein mehrere Tage damit zugebracht - ein Haus im Speckgürtel Hamburgs zu finden, das zur gehobenen Mittelschicht Mitte der 70er Jahre passt, um damit ungefähr den Status der Figur Konrad Werner darstellen zu können. 

SR.de: Gab es bei diesen Recherche etwas, was Sie überrascht hat?

Fröhlich: Durch Zufall bin ich während meiner Recherche in der Nationalbibliothek auch auf Fotografien aus dem Jahr 1959 gestoßen. Aufnahmen von der Einweihung der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Ravensbrück. Damals hieß es noch „Nationale Mahn- und Gedenkstätte“. Ich wusste bisher nicht, dass es eine Einweihung unter der SED-Regierung gab. Die Webseite der Gedenkstätte bildet die Veränderung des Gedenkens ab und das auf ganz transparente Weise – das ist wichtig, finde ich. Das macht natürlich eine ganz andere Thematik auf: Wie wurden die Stätten des Nazi-Terrors von der kommunistischen Führung für ihre politischen Zwecke genutzt?

Witzig waren natürlich auch die Fotos von den Fußballern dieser Zeit. Das ist einfach spannend, sich die Trikots, die Frisuren, die Gesichter anzuschauen.

SR.de: Ein Mann wie Philippe Collin ist sicher besonders an der historische Genauigkeit interessiert?

Fröhlich: Ja genau, dafür hat er auch mit einem französischen Historiker für zeitgenössische Geschichte zusammengearbeitet. Fabien Archambault. Die beiden sind ein gutes Team und machen das echt richtig gut, diese oft erzählte Geschichte immer wieder neu zu beleuchten und auf die Gegenwart zu übertragen!

SR.de: Was war dem Autor denn noch wichtig?

Fröhlich: Er wollte – das hat er mir kurz vor der Veröffentlichung in Deutschland erzählt – ursprünglich die Geschichte zweier jüdischer Kinder erzählen, die auf der Flucht sind. Zwei heimatlose Kinder, die nach dem 2. Weltkrieg alles verloren hatten. Er orientierte sich dazu an den sogenannten „Wolfskindern“, die der deutsche Historiker Christopher Spatz ausführlich beschreibt. Er hatte aber auch ein ideelles Ansinnen: Völkerverständigung. Er möchte zu einer Annäherung an die ehemaligen sowjetischen Staaten einladen. Dass wir, die westliche Welt, sie auf Distanz halten, hält er für einen Fehler. Letztendlich steht aber auch das Bedürfnis Zwischenmenschliches zu fassen dahinter. Ein Motiv, das allen guten Geschichtenerzählern bekannt ist: Verrat.

„Denn die Geschichte der Brüder Werner ist auch eine Geschichte des Verrats. Das ist eine der wichtigsten Fragen für mich, zu verstehen, welches Risiko wir eingehen, jemandem zu vertrauen, wohlwissend, dass uns diese Person verraten kann.“ Philippe Collin

Philippe Collin / Sébastien Goethals
Das Spiel der Brüder Werner
Splitter ISBN 9-783962195441

auf Französisch:

La Patrie des Frères Werner
Futuropolis

Die Geschichte des "roten Fußballers" - des Opas von Klara Fröhlich - im Radio: https://www.deutschlandfunkkultur.de/fussball-in-der-ddr-mein-opa-der-rote-fussballer.966.de.html?dram:article_id=462516

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