Ralf Rothmann: „Museum der Einsamkeit“.
Ralf Rothmann hat neben vielen Romanen auch immer wieder Erzählungen veröffentlicht. Der Thomas-Mann-Preisträger legt nun einen neuen Erzählungsband vor: „Museum der Einsamkeit“. Knut Cordsen hat sie gelesen und mit dem Autor gesprochen.
Ralf Rothmann hat nicht umsonst 1986 mit einer Erzählung debütiert. Mit „Museum der Einsamkeit“ legt er schon seinen fünften Erzählungsband vor und straft jene, denen diese Gattung seltsamerweise als Kassengift gilt, ein weiteres Mal Lügen.
"Eine Erzählung hat eine andere Dioptrie. Wie erleben ja keine Romane, wir erleben Erzählungen, und zwar zig Erzählungen jeden Tag. Und der Blick auf diese Episoden, die dann Erzählungen werden können, der ist ein genauerer. Und man kann in einer Erzählung so komplex sein wie in einem Roman. Irgendwo steht bei mir auch der Satz: Eine wirklich wahre leuchtende Kurzgeschichte wirft einen romanlangen Schatten.“
Der mittlerweile 72-jährige Schriftsteller ist ein Meister der kurzen Form. In der ersten seiner neun neuen Erzählungen – über einen jungen Maurerlehrling wie Ralf Rothmann selbst einst einer war im Ruhrgebiet - fällt das Wort „Handwerkerstolz“. Erfüllt ihn ein solcher Handwerkerstolz manchmal, wenn er eine Erzählung beendet hat?
„Wenn ich das Gefühl habe, ja, es ist gut, dann gibt es schon mal so einen kurzen Moment des Stolzes, aber letztlich auch wieder nicht, also meine wahre produktive Kraft ist der Selbstzweifel. Selbst eine scheinbar gelungene Erzählung, wenn man genau hinguckt, da gibt es immer noch was zu verbessern. Man ist ja nie fertig mit einem Text, das hat Helmut Heißenbüttel mal gesagt. Man hört nur auf – irgendwann hört man auf, sich damit zu beschäftigen.“
Seine Leser aber beschäftigen diese Erzählungen noch lange nach der Lektüre: die Geschichte von der alten Mutter und ihrer unverheirateten Tochter z.B., die einander in inniger Hassliebe verbunden sind. Die Mutter soll nach dem Tod ihres Mannes in eine Seniorenresidenz an der Ostsee ziehen, man inspiziert zusammen das triste Wohnsilo in Travemünde, aus dem sich verzweifelte Alte schon mal in den Tod stürzen. Der Buch-Titel „Museum der Einsamkeit“ entstammt eben dieser Erzählung.
„Naja, das klingt vielleicht schon im Titel an, dass die Menschen in diesen Erzählungen natürlich einsame Menschen sind, auch wenn sie mit anderen Menschen zusammenleben. Ich habe diese Geschichten eigentlich geschrieben so wie sie im Buch stehen eine nach der anderen, und das ist bei mir eine Schreiberfahrung, dass, wenn ich anfange mit Erzählungen, wenn ich in diese sprachliche – ich sage jetzt mal – Hochstimmung gerate, die es braucht, denn die Sprache in einer Erzählung ist ja viel dichter als in einem Roman, wenn ich in diese sprachliche Hochstimmung gerate, dann ergibt sich meistens eine Geschichte aus der anderen und ich weiß selbst nicht, wie die zustande kommen. Ja, das ist so.“
So wenig, wie der von Gewissensbissen geplagte Maler in einer von Ralf Rothmanns Geschichten seinen Pinselstrich „wirkungsgeil“ setzen will, so wenig sind diese Kleinode auf einen Effekt hin komponiert, sondern skrupulöse Seelenerkundungen. Die Geschichten spielen an unterschiedlichsten Orten zu unterschiedlichsten Zeiten, in der unmittelbaren Gegenwart genauso wie in der näheren Vergangenheit. Geschrieben hat sie der gebürtige Schleswiger Rothmann, der schon seit langem in Berlin lebt, in einem Hotel in der Lübecker Bucht, wohin er sich gern zurückzieht.
„Jaja, auch dieses letzte Buch habe ich da geschrieben in Travemünde. Da habe ich mittlerweile schon vier Bücher geschrieben, im 29. Stock. Bei klarer Sicht bis nach Dänemark kann man da schauen, und das ist eine schöne Sache - außerhalb der Saison allerdings nur. Dann ist kein Mensch da, man hat seine Ruhe und da entsteht dann etwas. Ja, ich glaube, ich brauche den Horizont. Fast alle Bücher, die ich geschrieben habe, die erste Fassung ist immer am Meer entstanden.“
Ralf Rothmann
"Museum der Einsamkeit"
Suhrkamp Verlag
268 Seiten, 25 Euro
ISBN: 978-3-518-43230-3
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 20.05.2025 auf SR kultur.