Ulf Erdmann Ziegler: "Es gibt kein Zurück"
Der Schriftsteller, Essayist und Journalist Ulf Erdmann Ziegler beschäftigt sich immer wieder mit den Medien und ihren Veränderungen. Im aktuellen Buch schildert er den Wandel des Hörfunks. Katrin Hillgruber hat den Roman „Es gibt kein Zurück“ gelesen.
Aldus Wieland Mumme: Allein dieser Name verheißt bereits eine kraftvolle Satire, eine in der deutschen Gegenwartsliteratur leider seltene Gattung. Zufällig erfährt der beim sogenannten Bundesradio tätige Hörfunkjournalist Aldus Wieland Mumme, dass sein ausladender Name im Sender mit AWM abgekürzt wird. Von diesem Moment an hält er sich für einen gemachten Mann. Im Pass lässt er A.W. Mumme als Künstlernamen eintragen.
Der Protagonist von Ulf Erdmann Zieglers Roman „Es gibt kein Zurück“ ist als Radiomensch de facto unsichtbar. Wie der Fachmann für anspruchsvolle Essays aussieht, der in seiner sonntäglichen Halbstunden-Sendung „Gedanken zur Zeit“ über Themen wie Universalismus nachdenkt, verrät der Autor nicht – nur dass er einen graukarierten Mantel trägt. Stattdessen ist im Rückblick viel über die Stimmbildung und damit über den Reifeprozess des jungen Radiomannes zu erfahren:
Ihre Stimme ist gut, aber sie verlesen sich zu oft, hatte ein Studiotechniker zu ihm gesagt, vor mehr als dreißig Jahren, in Münster oder in Hannover. Besser als andersherum, hatte sich Mumme damals gedacht. […] So steckte Aldus Wieland Mumme das Feld ab zwischen dem geschriebenen Wort und der Stimme und entdeckte die Rhetorik als riesigen Schauplatz, ein Schlachtengemälde, auf dem er hoch zu Ross mit einer Lanze in der Rechten durch die Diagonale jagte.
Und doch plagt den scheinbar so selbstsicheren Mumme immer ein gewisses akustisches Unbehagen:
Nur selten hörte Mumme seine eigenen Sendungen nach. Seine Stimme gefiel ihm nicht. Hinter dem elaborierten Affentheater des öffentlichen Vortrags hörte er den Jungen, der er gewesen war, ein Kind ohne Vater, das Schmusekind seiner Mutter, den gehänselten Intelligenzler in seiner Schule.
Mehr als siebzig bedeutsame Radioessays und unzählige Reportagen über die Unterschiede und das Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland hat Zieglers Romanfigur, der Soziologe A.W. Mumme, geschrieben und produziert. Ulf Erdmann Ziegler, der nach wie vor auch als Journalist arbeitet, liefert mit dem „Bundesradio“ ein treffliches Porträt des Deutschlandradios mit seinen Standorten in Köln und Berlin. Mummes Wohnort Berlin wiederum leidet wie er selbst an chronischer Überheblichkeit:
Die Proletarier, unterwegs in der Linie 7, ahnten nichts vom Kampf der Kulturen, sie lebten von Tag zu Tag. Die große Menschwerdung war aufgeschoben bis irgendwann, die Verwandlung Wielands in einen Mann mit Einfluss, einen Denker mit Aura, eine schwebende Stimme im Äther.
Mit 64 glaubt Aldus Wieland Mumme diesen Status erreicht zu haben. Umso heftiger trifft ihn sein Rentenbescheid, der ihm 1183 Euro im Monat verkündet. Wäre da nicht das Einkommen seiner Frau Brita, einer hohen Beamtin, müsste sich Mumme seiner arroganten Lesart nach doch noch zu den Berliner Proletariern zählen. Noch mehr erschreckt ihn die Nachricht seiner langjährigen Redakteurin beim Bundesradio, dass er mit Rentenbeginn nicht mehr weiterbeschäftigt werde. Außerdem sei seine Sendung „Gedanken zur Zeit“ gefährdet – wie so viele anspruchsvolle Radioformate.
So muss Mumme schmerzhaft erkennen, dass auch Markenzeichen außer Mode geraten. Er, der eigentlich unsichtbar bleiben wollte, entschließt sich, eine Autobiografie zu schreiben. Von dem üppigen Vorschuss von 20.000 Euro kauft er sich ein rotweißes Retro-Motorrad der Marke Bonneville. Dem Namen entsprechend zieht es ihn zunächst nach Paris und dann in die Provence, der späten großen Freiheit entgegen.
Hatte er nach Paris reisen müssen, um sich einzugestehen, aus der Welt gefallen zu sein? Dieses war, gemäß seiner Soziologie des Radios, unerwünscht, wenn nicht untersagt: Angst, Ekel, Ressentiment. Dies waren alles Rutschen in die Unterwelt der Irrationalität. Woran er nie gedacht hatte, war die Angst vor der Angst.
Die Initialen AWM stehen nicht nur für Aldus Wieland Mumme, sondern ebenso für den vielgescholtenen Alten Weißen Mann. Das lässt Ulf Erdmann Ziegler seine Romanfigur sehr direkt erfahren. Doch statt mit seiner treffenden und sprachlich genussvollen Satire auf unsere kulturell zunehmend desinteressierte Gegenwart fortzufahren, entledigt sich der Autor unsanft des Protagonisten. Das hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck und ist hoffentlich nicht als Fingerzeig für das Medium Radio gemeint.
Ulf Erdmann Ziegler
"Es gibt kein Zurück"
Wallstein Verlag
216 Seiten, 22 Euro
ISBN:978-3-8353-5860-7
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 07.05.2025 auf SR kultur.