Barbi Marković: "Piksi-Buch"

Barbi Marković: "Piksi-Buch"

Moritz Klein   07.05.2025 | 18:57 Uhr

"Piksi“ ist der Spitzname von Dragan Stojković, einer der großen Fußballer des ehemaligen Jugoslawiens. Barbi Marković nutzt den Namen als Titel für ihre autofiktionale Erzählung über das Aufwachsen im Belgrad der 80er- und 90er-Jahre.

Piksi-Buch ist in der Reihe „Ikonen“ erschienen, in der jedes Buch den Namen  – in diesem Fall den Spitznamen – einer Fußball-Persönlichkeit im Titel trägt. Barbi Marković nutzt das Reihenformat sehr eigenwillig, eigentlich muss man sagen: Sie kapert es. Für eine autofiktionale Erzählung über das Aufwachsen im Belgrad der 80er- und 90er-Jahre und eine schmerzhafte Vater-Tochter-Beziehung.

Die erste Halbzeit der Erzählung beginnt im Jahr 1989, an Barbis achtem Geburtstag. Sie verbringt ihn im Fußballstadion, wie viele ihrer Tage – ganz gegen ihre persönlichen Neigungen. Für die hat ihr Vater einfach keinen Sinn. Dieser Slobodan Marković ist eine markante Vater-Figur: ein Altbelgrader Original, zugleich wilder Kraftmensch und eigenwillig kultivierter Idealist, in manchem ganz untypisch für einen serbischen Mann seiner Generation. Und er ist ein Fußball-Enthusiast. Seine sozialistische Utopie ist der Amateurfußball als egalitäre und ehrgeizige Selbstvervollkommnungs-Kultur der kleinen Leute.

Jedes Mal, wenn Slobodan Marković Jungs mit einem Ball sieht, springt er rein und versucht, gegen sie zu dribbeln. Wie ein Botschafter des guten Willens motiviert er alle Kids dazu, ihr bestes Spiel an den Tag zu legen, und wenn ein besonders guter Move passiert, schreit er begeistert: „Es wird gespielt!“

Slobodan Marković ist aber auch ein ziemlich katastrophaler Vater: oft abwesend, keineswegs verlässlich, egozentrisch, unempathisch, verantwortungslos. Als „hedonistischen Exzentriker“ charakterisiert ihn die Tochter und Ich-Erzählerin. Eine Annäherung wäre, wenn überhaupt, ausschließlich auf seinemFeld möglich – er scheint unfähig und im Grunde auch desinteressiert, Barbi als eigenständige Person zu sehen.

Aus dieser traurigen Erinnerung an eine unfreiwillig am Rand des Fußballfelds verbrachte Kindheit macht Barbi Marković – den Hang der Fußball-Kultur zum Legendären parodierend – eine Ursprungslegende der eigenen Berufung zur Schriftstellerin. Aus schierer Langeweile und als Flucht aus der schmerzhaften Realität der Vernachlässigung entwickelt das Kind seine Fantasie.

Slobodan Marković war abwesend, darum leistete ich allein stundenlang großen Widerstand und hielt meinen Geist auf einem löblichen Niveau. Besonders wertvoll war ein Gedanke, […] nämlich dass Fußball nicht das einzige Spiel ist, das man spielen kann, und dass man selbst wählt, worin man gut werden will. Dies bleibt mein Motto. […] Somit wurde ich eine Erzählkünstlerin, und was für eine! Eine verzweifelte, eine, die in ihre Geschichte alles reinsteckt, weil sie sonst nichts hat.

Die auf dem literarischen Feld erworbene spielerische Virtuosität wird im Stil einer Sportreportage kommentiert:

Schön. Schöne Hintergrundinformationen. Schon wirkt die Geschichte frischer. Barbiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii, Barbi Marković, das ist ja unglaublich, im ersten Kapitel, in der 6. Leseminute so ein Treffer. Keine hat so viel gemacht. Meine Güte. Klasse geschrieben. Wie schön ist das denn?! Barbi Marković, eiskalt. Die Einzige, die über Fußball anders erzählt. Sensationell. Groß. Im Nachhinein durch das Erzählen so zu punkten, dort, wo man im Leben verloren hat.

Eine der spektakulären Pointen ist, wie der Titelheld Piksi – den die Erzählung über weite Strecken gänzlich links liegen lässt – in diese Künstlerinnenlegende eingeschrieben wird. Wie, soll hier aber nicht verraten werden.

Barbi Marković erzählt anhand des Fußball-Themas aber auch eine Vorgeschichte der Jugoslawienkriege – immer im Gattungsrahmen der Sportreportage. Ein Vorspiel zur historischen Gewalteskalation erlebt das Kind am Fernseher mit, an seinem neunten Geburtstag – der Vater ist wieder mal abwesend. Das Spiel Dinamo Zagreb gegen Roter Stern Belgrad im Mai 1990 fand gar nicht erst statt, weil es bereits vorher zu schweren Ausschreitungen zwischen kroatischen und serbischen Fangruppierungen kam. Viele der dort Beteiligten waren später in den paramilitärischen Freiwilligenverbänden im Kroatien- und im Bosnienkrieg. Doch die Vorzeichen macht Marković bereits deutlich früher aus, im Alltäglichen der Fußballkultur, im Maskulinismus der misogyn brutalen Sprache, die das Spiel umgibt. – Die zweite Halbzeit der Erzählung ist dann dem letzten WM-Spiel der gemeinsamen Nationalmannschaft beim Viertelfinale 1990 in Florenz gewidmet. Nachdem Jugoslawien gegen Argentinien beim Elfmeterschießen ausscheidet, wendet sich das Bedürfnis nach heroischen Großtaten und martialischen Mythen dem größeren Spielfeld des Krieges zu.


Barbi Marković
"Piksi-Buch"
Voland & Quist Verlag

108 Seiten, 12 Euro
ISBN:978-3863914240


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 06.05.2025 auf SR kultur.

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