Georgi Demidow: „Zwei Staatsanwälte. Eine Geschichte aus dem Großen Terror“.

Georgi Demidow: „Zwei Staatsanwälte"

Stefan Berkholz   02.05.2025 | 14:13 Uhr

Georgi Demidows Roman „Zwei Staatsanwälte“ enstand in den 1970er Jahren und wurde nun ins Deutsche übersetzt. Der Autor erzählt vom Wahnsinn unter Stalins Großem Terror und der Ohnmacht des Einzelnen. Eine Rezension von Stefan Berkholz.

Michail Alexejewitsch Kornew ist ein junger Staatsanwalt, Parteimitglied, einst ein Musterschüler, „erzbraver Student“, wie es heißt, gläubig, redlich, wahrhaftig. Und doch an der Schwelle zum Zweifel angelangt, denn sein engster Freund, sein Kommilitone Andrej Jurowski, „ein Mann mit einem völlig anderen Geist und Charakter als er selbst“, wie es heißt, ist verschwunden.

Kornew erinnerte sich daran, wie Jurowski einmal mit dem für ihn typischen galligen Sarkasmus anmerkte, dass das Wort ‚Justiz‘ als Bezeichnung für eine Abteilung des staatlichen ‚Unterdrückungsapparates‘ aus dem Gebrauch genommen werden sollte. Vom Standpunkt der marxistischen Staatstheorie aus gesehen, wäre sie inkonsequent. Von welcher Art von Gerechtigkeit, zum Teufel, kann man reden, wenn Klassengewalt die Hauptrichtung und das Leitprinzip aller politischen Aktivitäten ist?

Kornew aber will seinen Weg als Staatsanwalt gehen. Er soll die Haftanstalten in seiner Provinzstadt im Blick behalten, er soll sie staatlicherseits tatsächlich überwachen. Aber was bedeuten solche Worte in einer rechtlosen Zeit? Aufgrund eines Kassibers aus dem Gefängnis beantragt Kornew einen Besuch. Hinter den Stahltüren begegnet er einem geschundenen, sterbenskrank gefolterten Häftling, erfährt ungeheuerliche Dinge.

Geheime Faschisten vom NKWD!‘ Der Verhaftete sprach aus und benannte mit Namen, was Staatsanwalt Kornew, der noch keine direkten Beweise hatte, nur vage vermutete. Das Wort ‚Faschisten‘ gab auch die Art der Verbrechen vor, derer der alte Bolschewik die örtlichen Organe der Staatssicherheit beschuldigte.

Ein System wird von innen zerfressen, behauptet der Gefangene. Und obwohl Staatsanwalt Kornew weiß, in welche Gefahr er sich bringt, möchte er Rechtlosigkeit aufdecken. Er begibt sich, ohne Reisegenehmigung, in die Hauptstadt, nach Moskau, zum Generalstaatsanwalt. In die Höhle des Löwen, um Bericht zu erstatten und Gerechtigkeit zu fordern.

In den Tiefen des riesigen Büros, hinter einem großen, fast leeren Schreibtisch, saß ein Mann, dessen aufmerksamen, gleichsam studierenden Blick Kornew sofort spürte, als er die Tür öffnete. Schon durch die Erscheinung des unbekannten Besuchers wollte sich der Inhaber des Büros offenbar ein Bild von ihm machen.

Dieser Mann hinter dem Schreibtisch ist Andrei Wyschinski, eine historische Figur. In den 1930er Jahren Generalstaatsanwalt in der Sowjetunion, Technokrat, Massenmörder - und Diplomat, von 1949 bis 1953 sowjetischer Außenminister unter Stalin. In langen Passagen schildert Demidow zunächst einige Lebensstationen dieses führenden Stalinisten.

Wyschinski schaute ein wenig finster, obwohl man nicht sagen kann, dass er es zu direkt und mit unhöflicher Offenheit tat. Aber selbst das reichte aus, um bei dem Besucher den Eindruck von etwas Stacheligem und Zähem zu hinterlassen.

Wir befinden uns bereits im letzten Drittel des Romans. Es ist die Zeit des Großen Terrors, 1937 in Moskau. Das Duell zwischen den titelgebenden „zwei Staatsanwälten“ hat begonnen. Einer allein gegen die Willkür des Staates, ein „unerfahrener Jurist“, wie es heißt…

…der sich in seiner Jugend naiv einbildete, dass das Gesetz in ‚Stalins Staat‘ das Gesetz ist und nicht ein Instrument, um Gesetzlosigkeit zu vertuschen.

Großartig ist dieser Roman, beklemmend, beängstigend, schauerlich. Am Ende steht die sogenannte Selbstkritik, die Selbstdenunziation, die Unterwerfung, das Geständnis erfundener Delikte, die Enthauptung eines Gläubigen und Zerrüttung des letzten Anstands. Ein mörderisches System voller Denunziationen und Willkür, heutzutage in Putins Regime fortgeführt. Es gibt kein Entkommen und auch wenig Möglichkeiten, auszuweichen. Schließlich kommt einem das Schicksal von Nawalny in den Sinn, der sich so sehend wie die Romanfigur Kornew dieser staatlichen Willkür auslieferte.


Georgi Demidow
"Zwei Staatsanwälte. Eine Geschichte aus dem großen Terror"
Galiani Verlag

240 Seiten, 23 Euro
ISBN: 978-3-86971-306-9


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 30.04.2025 auf SR kultur.

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