Jakob Hein: "Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste"

Jakob Hein: "Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste"

Holger Heimann   05.03.2025 | 18:00 Uhr

Jakob Heins Romane sind meist witzig und verhandeln Themen und Tücken des Alltags. So ist es auch mit seinem neuen Buch, das zurückführt in die Endzeit der DDR: „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“. Holger Heimann hat es gelesen.

Es war eines der erstaunlichsten Geschäfte des Kalten Krieges. Ausgerechnet der als strammer Kommunisten-Feind bekannte CSU-Chef Franz Josef Strauß vermittelte völlig überraschend einen Kredit von einer Milliarde DM an die DDR. Das kurz vor dem Bankrott stehende Land bekam so 1983 noch einmal eine Galgenfrist.

Jakob Hein hat zu dem historischen Deal, bei dem der Westen über den Tisch gezogen wurde, nun eine ganz eigene, abenteuerliche, irrwitzige und irre lustige Geschichte erfunden. Es ist die Geschichte einer Erpressung und die nimmt ihren Anfang im Büro eines frischgebackenen, unterbeschäftigen Assistenten der Staatlichen Planungskommission. Der ambitionierte Grischa Tannberg soll sich um die wirtschaftlichen Beziehungen zu Afghanistan kümmern. Das gravierende Problem dabei ist, wie ihm sein offenherziger Chef erklärt: „Die Afghanen haben nichts.“

Und darum, mein lieber Tannberg, werden Sie sich in den ersten Wochen Ihrer beruflichen Tätigkeit mit einem sehr wichtigen Teil von angestellter Tätigkeit vertraut machen müssen: dem kunstvollen Warten.
Was heißt das
Sie warten darauf, dass etwas zu tun ist, und bleiben dabei in innerer Spannung. Keinesfalls dürfen Sie aber Ihren Kollegen zu erkennen geben, dass Sie kunstvoll warten, denn dann werden Sie mit Arbeit überschüttet.

Grandios, wie Hein die Atmosphäre einer Angestelltengesellschaft einfängt, in der man morgens schon auf die Mittagspause wartet und vor allem in der Kantine zu großer Form aufläuft. Ansonsten gilt es, emsigen Tatendrang vorzutäuschen. Grischa aber ist wirklich fleißig. Er überlegt, wie der wirtschaftliche Austausch mit den Afghanen vorankommen könnte und hat eine Idee. Die Afghanen nämlich haben doch etwas: gigantische Hanf-Felder. Der Stoff ist zwar in den meisten Ländern verboten, so auch in der BRD. Aber sind nicht Alkohol und Nikotin frei verfügbar? Und schließlich müsse sich die DDR wohl kaum die Haltung des Klassenfeindes zu eigen machen, argumentiert Grischa.

Wir könnten unsere ganz eigene Position zum Thema Medizinalhanf bestimmen, eine fortschrittliche, auf die Unterstützung der afghanischen Bauern in ihrem Freiheitskampf gerichtete.

So geschieht es. Grischa und Genossen reisen nach Afghanistan und kaufen dort kiloweise Cannabis ein. An einer Grenzübergangsstelle nach West-Berlin gibt es bald einen Deutsch-Afghanischen Freundschaftsladen mit landestypischen Produkten aus dem sozialistischen Bruderstaat: Keramik, Textilien, landwirtschaftliche Produkte. Nach kurzer Anlaufzeit stehen die Kunden aus der ganzen Bundesrepublik Schlange. Denn gegen Quittung und ganz legal bekommen sie hier den allerbesten Stoff. Für die DDR wird der Freundschaftsladen zur sprudelnden Devisenquelle, für die BRD zum Problem.

Es war das reinste Chaos. Täglich kam nun auch die Polizei zum Grenzübergang. Es war natürlich unvermeidlich, dass auch sie irgendwann Wind von der Sache bekommen hatte. Aber sie traute sich nicht den ganz großen Zugriff, das musste politisch viel weiter oben gelöst werden. Stattdessen schikanierten die Beamten die Wartenden mit Strafzetteln für falsches Parken oder machten sich zum Gespött, indem sie Fußgängern Verwarnungen aussprachen, die falsch die Straßen überquerten.

Und weiter oben gerät man in hektische Betriebsamkeit, vorbei ist es mit der schönen Geruhsamkeit im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen in Bonn. Jakob Hein entwirft genüsslich einen Büroalltag, der dem ostdeutschen durchaus gleicht. Auch in Bonn gibt es nicht viel zu tun. Hier ist es eine junge, ehrgeizige Referendarin, der es schwerfällt, Geschäftigkeit nur vorzutäuschen und die einen Plan entwickelt, wie die Bundesrepublik der drohende Cannabis-Schwemme aus dem Osten Herr werden könnte. Die Lösung ist Geld: Für eine größere Summe würden die Ostler den Verkauf sicher einstellen.

Das Ende inszeniert Jakob Hein als mit Haschisch gewürzten Showdown. In Bayern treffen sich zwei hochrangige, bald ziemlich zugedröhnte Verhandlungsgruppen – historische Figuren wie Stasichef Mielke und Wirtschaftsminister Lambsdorff inklusive –, die sich erstaunlich gut verstehen. Jakob Hein hat einen herrlich bekifften, abgedrehten Roman geschrieben. Es gibt viel zu lachen, zugleich begreift man, warum der Kredit für die DDR nur ein Aufschub vor dem Ende sein konnte.


Jakob Hein
"Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste"

KiWi Verlag
254 Seiten, 23 Euro
ISBN:  978-3-462-31349-9


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 05.03.2025 auf SR kultur.

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