Horst Bienek: Es gibt nur die Kunst, die Liebe und den Tod. Dazwischen gibt es nichts“

Peter Henning   25.11.2024 | 10:06 Uhr

Horst Bienek war Ende der Siebziger, Anfang der Achtzigerjahre weit über Deutschlands Grenzen bekannt. Bei seinen neu veröffentlichten Tagebüchern, "Es gibt nur die Kunst, die Liebe und den Tod. Dazwischen gibt es nichts“, handelt es sich um intime Chroniken eines Mannes, der mit seiner Homosexualität ringt, während er sie hemmungslos auslebt. Peter Henning hat sie gelesen.

Es ist die Geschichte eines bis zuletzt von seinen sexuellen Obsessionen und dem Wunsch nach öffentlicher Anerkennung Getriebenen, welche die nun publizierten Tagebücher des 1990 verstorbenen Schriftstellers und Übersetzers Horst Bienek erzählen. Und man schwankt bei der Lektüre der 1700  Seiten abwechselnd zwischen Bestürzung, Bewunderung und Bedauern. Denn das Maß an schonungsloser Direktheit, mit dem Bienek aus den Maschinenräumen seines Denkens und Fühlens berichtet, ist immens. Dass das rasende, und offenbar unstillbare Verlangen Bieneks nach immer neuen schnellen Sex-Bekanntschaften mit Männern am Ende in eine tödliche HIV -Erkrankung mündete, erscheint wie die finster-logische Pointe seines am Ende Literatur-gewordenen Lebens. Bis zuletzt oszillierte es kompromisslos zwischen Kunst und Liebe.  Mal mit klotzigen Sprüchen auftrumpfend, dann wieder mit bewundernswerter Zartheit berichtet er in seinen Tagebüchern bis zum tödlichen Ende davon. 

Es schien, als habe hier noch niemand etwas von AIDS gehört...

...notiert der Schriftsteller im März 1985 in sein Tagebuch. Bienek ist zu Besuch in Amsterdam, und das Wissen um das sich rasant ausbreitende HIV-Virus ist inzwischen auch bei ihm angekommen; sein Sexualverhalten aber ändert er deswegen nicht.

…die Sauna war voll, und es wurde allerorten gefickt wie eh und je, und zweimal sah ich auch Poppers-Ekstasen.

Im September 1951 beginnt der gebürtige Oberschlesier mit dem was er seine „Buchführung“ nennen - und am 1. August 1990 mit dem 35. Tagebuch beenden wird. In der Auftaktnotiz vom 17. September 1951 heißt es:

Ich habe mich immer gewehrt gegen das Schreiben eines Tagebuchs... Doch den besonderen Reiz eines Tagebuchs macht wohl die Lektüre nach Jahren aus, wenn damit eine Vergangenheit heraufbeschworen wird, die man dann von einer ganz anderen Warte aus betrachtet.

Und Bienek macht im folgenden Ernst mit seinen Notizen, die sich in fast 40 Jahren zu einer Art Spiegel aus Worten zusammensetzen, in dem er sich immer neu betrachtet und hinterfragt; darüber hinaus kommentiert er die Entstehungsprozesse seiner Roman-Werke darin ebenso klug und süffisant, wie er sich über Kollegen mokiert.

So wachsen sich seine „Tagebücher“ im Schatten seiner Romane, der Lyrik und der literaturkritischen Arbeiten zu einem gewaltigen  „Werk hinter dem Werk“ aus. In unzähligen Anläufen umkreist er darin die eigene und weiß Gott wechselvolle Biografie, zu der das für ihn zentrale Thema des Schwulseins ebenso gehörte wie seine Verurteilung wegen angeblicher anti-sowjetischer Propaganda zu zwanzig Jahren Arbeitslager Workuta durch die Stasi 1952. Nachdem er nach viereinhalb Jahren wieder frei kommt und in den Westen abgeschoben wird, arbeitet er zunächst als Redakteur beim hessischen Rundfunk - und später als Chef-Lektor bei dtv in München.

Einem breiteren Lesepublikum bekannt aber wurde Bienek mit seiner zwischen 1975 und 1982 entstanden Gleiwitzer Tetralogie, mit welcher er im Zuge des Booms der sogenannten „Bewältigung-Literatur“ reüssierte. Trotzdem bleibt er eine in sich gespaltene Persönlichkeit. Exemplarisch belegt dies eine Eintragung aus dem Jahr 1981, welche sein Gefühl des inneren Gefangenseins zwischen seiner ständigen Jagd nach Sex und der Hoffnung auf den internationalen Durchbruch als Schriftsteller anschaulich macht, wenn es da heißt:

Vielleicht werde ich noch ein großer Schriftsteller, wenn diese verfluchte Sinnlichkeit von mir abfällt… Und zwar nicht nur die sexuelle, der ich ausgeliefert bin...

Doch dann erhält er am 20. März 1987 das positive Ergebnis des Aids-Tests. Und natürlich weiß er, was das bedeutet. Drei Jahre später stirbt er an der zu diesem Zeitpunkt noch nicht therapierbaren HIV -Infektion.

Horst Bieneks Leben verlief bis zuletzt kompromisslos zwischen Kunst und Liebe - etwas dazwischen gab es für ihn nicht. Das macht ihn als schwulen Mann im 20. Jahrhundert aus heutiger Sicht zu einer exemplarischen Gestalt der neueren queeren Literaturgeschichte. Seine in ihrer brutalen Offenheit großartigen, und nun erstmals vollständig veröffentlichten „Tagebücher“ bringen ihn uns auf faszinierende  Weise näher.

Horst Bienek
"Es gibt nur die Kunst, die Liebe und den Tod. Dazwischen gibt es nichts."

Hanser Verlag, 1.712 Seiten, 58 Euro
ISBN: 978-3-446-27744-1

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 26.11.2024 auf SR kultur.

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