Joachim Meyerhoff: "Man kann auch in die Höhe fallen"

Joachim Meyerhoff: „Man kann auch in die Höhe fallen“

Katja Weise   14.11.2024 | 18:00 Uhr

Bestsellerautor Joachim Meyerhoff hat seiner autobiographisch inspirierten Romanreihe „Alle Toten fliegen hoch“ einen sechsten Band hinzugefügt: „Man kann auch in die Höhe fallen“. Katja Weise hat Joachim Meyerhoff getroffen und stellt das Buch vor.

Um Krisen geht es fast immer bei Joachim Meyerhoff, und diese hat es wirklich in sich:

Mit Mitte fünfzig zog ich für mehrere Wochen zu meiner Mutter aufs Land nach Schleswig-Holstein. Ich redete mir ein, sie bedürfe dringend meines Beistands, dabei war sie kerngesund, offensiv vital, sah mit ihren sechsundachtzig Jahren fantastisch aus und kam bestens allein zurecht. Ich hingegen war derjenige, der nicht mehr klarkam und dem viele Fäden gerissen waren.

In Berlin, nach Wien der neue Lebensmittelpunkt, ist Meyerhoff nicht wirklich angekommen. Außerdem hat er mit den Nachwirkungen des Schlaganfalls vor einigen Jahren zu kämpfen und fühlt sich antriebslos und leer; auch das Schreiben will nicht mehr gelingen. Der Alltag wird zur Strapaze. Deshalb flieht er zu seiner Mutter, die im Gegensatz zu ihm mitten im Leben steht. „Mutter isst“, „Mutter taucht“, „Mutter heilt“ sind die ersten Kapitel überschrieben.

" Meine Mutter hat das gelesen, und ich war sehr aufgeregt, habe sie dann angerufen.. Und dann hat sie den schönen Satz gesagt: Ich wusste gar nicht, dass ich so eine wilde Hummel bin. Ich bin ihr sehr dankbar. Mich hat das sehr bereichert, diesen Text zu schreiben. Weil ich mich natürlich in den Geschichten, im Schreiben an diese Lebendigkeit andocke wie so eine Mistel…"

Auch in diesem Roman sind viele anrührende Geschichten versammelt, viele oft auf Kosten des Erzählers wunderbar unterhaltende Anekdoten - nicht nur über das Gesunden unter der Obhut der Mutter, sondern auch über Spielerfahrungen am Theater. Und doch ist dieses Buch anders, offener in der Form. Wir, die Leserinnen und Leser begleiten den Entstehungsprozess. Denn lange ist nicht klar, ob Meyerhoff überhaupt ein Buch schreiben wird. Er sitzt vor dem leeren Blatt, probiert, verwirft, liest der Mutter vor und kommt erst ganz allmählich in Form.

" Es war für dieses Sujet, für diesen Stoff die adäquate Form. Alles andere hätte nicht der Unsicherheit entsprochen, in die der Erzähler gerät und aus der heraus er erzählt. Der ist schon bedroht von einem gewissen Zerfall und dadurch entspricht dieses etwas Losere des Buches diesem Zustand eigentlich sehr gut."

In all seinen Büchern schreibt Meyerhoff über Verluste, den des Vaters, Bruders, der Großeltern: „Die Toten waren meinem Schreiben immer wohlgesonnen, vielleicht auch schutzlos ausgeliefert, aber die Lebenden müssen in Ruhe gelassen werden.“ Das war lange seine Devise. Doch mit seinem Schlaganfallbuch „Hamster im hinteren Stromgebiet“ war er dann in der Gegenwart angekommen.

" Das macht es auf eine Art und Weise viel komplizierter und brisanter, aber für mich ist es auch eine neue Herausforderung gewesen, tatsächlich einen zeitgenössischen Roman zu schreiben, das ist auch was Neues für mich."

Vor allem hat Meyerhoff mit „Man kann auch in die Höhe fallen“ jedoch einen anrührenden, in Teilen herzzerreißend schönen Roman über seine Mutter geschrieben. Und eine Hommage an Schleswig-Holstein, dieses Land zwischen den Meeren, in dem er groß geworden ist. Herrlich die Treffen des Chores, in dem seine Mutter singt, fein beobachtet und mit liebevoll spitzer Feder beschrieben. Sich selbst schont Meyerhoff wie gewohnt nicht, erwächst daraus doch ein Großteil der Komik.

" Ich glaube eigentlich, dass fast jeder seiner eigenen Geschichte, seiner eigenen Biographie gegenüber ein Gefühl der Seltsamkeit in sich trägt, dass das jetzt das eigene Sein ist. Es gibt immer Erlebnisse, die ich auch schildere, die ganz individuell sind, aber im Grunde ist ein Mann Mitte fünfzig, der sich in der Großstadt nicht wohlfühlt, nicht so etwas Besonderes. Ich schreibe immer über Dinge, die einen ganz allgemeinen Charakter haben, sonst könnte man sich damit gar nicht verbinden."

Nicht alle Anekdoten aus dem Theaterfundus hätte es gebraucht, und es dauert wegen der offenen Form eine Weile, bis der Roman Fahrt aufnimmt, doch es lohnt unbedingt, dabeizubleiben, denn Meyerhoff bleibt sich treu: Leichtfüßig, melancholisch und selbstironisch erfindet er sein Leben, Ernst und Komik liegen dabei wie immer dicht nebeneinander. Und seine Mutter, die muss man einfach kennenlernen.    


Joachim Meyerhoff
„Man kann auch in die Höhe fallen“

KiWi Verlag, 368 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-3-462-00699-5

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 14.11.2024 auf SR kultur.

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