Martina Behm: "Hier draußen"
Die Journalistin und studierte Volkswirtschaftlerin Martina Behm hat mit ihrem literarischen Debüt „Hier draußen“ einen überzeugenden Dorfroman vorgelegt. Peter Henning hat ihn gelesen.
Lange schon hatte Lara, eine der Hauptfiguren in Martina Behms Debütroman „Hier draußen“, von einem Leben auf dem Land geträumt, um ihren Alltag fernab vom stressigen Hamburg gemeinsamen mit ihrem Mann Ingo und den beiden gemeinsamen Kindern naturnah zu entschleunigen. Und auf den ersten Blick bietet ihnen der sogenannte Reuserhof in dem fiktiven 200-Seelen-Dorf Fehrdorf in Schleswig-Holstein, in den sie umziehen, alles, was Lara sich erträumte: viel Platz und jede Menge Natur.
Doch schon bald muss Lara sich eingestehen, dass das zunächst emphatisch von ihr romantisierte Ländliche und Ursprüngliche sich als bukolische Falle erwiesen hat. Denn während Ingo, der in Hamburg ein Startup-Unternehmen leitet, zunehmend unter der Pendelei zwischen Stadt und Land leidet, muss Lara erkennen, dass sie trotz aller Bemühungen, sich in die Dorfgemeinschaft zu integrieren, eine Außenseiterin bleibt. Und als Ingo obendrein eines Nachts auf der Rückfahrt von Hamburg eine weiße Hirschkuh anfährt und man ihr den Gnadenschuss verpassen muss, nimmt Behms Roman auf wunderbar orakelnde Weise Fahrt auf. Denn der Dorfaberglaube besagt: Wer ein solches Tier tötet, hat nur noch ein Jahr zu leben.
Ein Schatten am Straßenrand, die Augen rot leuchtend, und irgendwo in seinem Kopf sagte es: Achtung, Hirsch, auf die Bremse, und das tat sein Fuß dann auch, aber es war zu nah. Ein dumpfer, lauter Aufprall, eine Wucht, die den Passat kurz ins Schleudern brachte, Ingo lenkte gegen und bremste voll.
Anschaulich setzt die 1974 geborene Martina Behm all das in Szene. Und schnell spricht sich der Vorfall im Dorf herum, womit sie ihre erzählerische Perspektive nun weitet, indem sie nach und nach ein halbes Dutzend Figuren aus der Dorfgemeinschaft herauslöst – und jeweils genauer unter die Lupe nimmt. Da sind etwa der Geflügelbauer Söhnke, dem die täglichen Herausforderungen mit 3000 Zuchtküken einen veritablen Burnout bescheren. Und Tove und Enno, deren Ehe im täglichen Überlebenskampf auf der Strecke bleibt. Oder Christine und Olaf, die den Touristen nicht nur Alpaka-Touren anbieten, sondern ihnen auch perfekte Romantik vorzugaukeln verstehen.
"Hier können Sie ihre Träume verwirklichen!"
Maklergeschwätz, dachte Lara. Aber es klang so gut: Hier würde niemand den Zustand der Blumenbeete oder der Steinmauern kommandieren, und es würde keinem auffallen, ob die Fenster geputzt waren und wie oft die Kinder sich gegenseitig anschrien. Oder sie und Ingo. Hier gab es keine Kontrolle, aber auch keinen Schutz.“
Martina Behm, die den Alltag auf dem Land aus eigener Erfahrung kennt, lässt uns tief in die Seelen ihrer vom Hofalltag Gestressten blicken. Doch sie zeigt sie in all ihrer inneren Zerrissenheit, ohne sich an ihren Schicksalen zu weiden. Und dass Lara und Ingo über ihren erfolglosen Versuchen im Ländlichen Fuß zu fassen in eine Ehekrise geraten, als Ingo unter dem unguten Einfluss des Dorfjägers Uwe Hennemann im eigenen Garten mit dem Luftgewehr herum zu schießen beginnt – und eine Panikattacke erleidet, inszeniert Martina Behm als schlüssige Pointe eines Romans über Menschen, die sich zu spät eingestehen, dass ihre einst gehegten Wünsche sich schlussendlich als zu groß für Sie erweisen.
Und ... wisst ihr schon, was ihr mit dem Reuserhof macht?“ Das war doch die Frage, die alle hier im Dorf interessierte.
Lara schüttelte den Kopf.
„Vorläufig gar nichts. Wir müssen uns erst mal sortieren. Wir brauchen jetzt etwas Abstand. Und dann müssen wir eine Lösung finden, die uns allen entspricht.
Gewiss: die Erzählung von den Stadtflüchtlingen, die feststellen müssen, dass die erwartete Land-Idylle mit dem realen Leben vor Ort wenig zu tun hat, ist nicht neu. Gleichwohl aber rückt Martina Behm mit ihrem Buch ähnlich wie zuletzt Juli Zeh mit „Über Menschen“ ein Genre wieder in den Focus, um das bis zum Erscheinen von Dörte Hansens Überraschungs-Bestseller „Altes Land“ im Jahr 2015 viele jahrzehntelang einen Bogen gemacht hatten, war der sogenannte Dorf- und Heimatroman doch lange Zeit nur mehr in billigen Wegwerfheftchen publiziert worden.
Sie tut es in Form eines Romans über Menschen, die buchstäblich zusammenbrechen unter der Last ihres nur scheinbar selbstbestimmten naturnahen Lebens. Ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich unter Mühen wieder aufrichten und weitermachen, ist manchmal kein Vergnügen. Es hat aber auch etwas Animierendes. Denn es sind unsere alltäglichen Kämpfe, die Martina Behm da eindrucksvoll beschreibt. Und ganz gleich, ob wir in der Großstadt zu Hause sind oder auf dem Land: am Ende wollen wir sie gewinnen.
Martina Behm
"Hier draußen"
dtv Verlag
496 Seiten, 24 Euro
ISBN:978-3-423-28478-3
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 06.05.2025 auf SR kultur.