Asylbewerber in der Landesaufnahmestelle in Lebach (Foto: Pasquale D'Angiolillo)

Die Migrationsdebatte in Deutschland

Interview: Simin Sadeghi/Onlinefassung: Dagmar Scherer   16.10.2023 | 12:45 Uhr

Der aktuelle Deutschlandtrend zeigt: Viele Menschen sind unzufrieden mit der Migrationspolitik. Fast zwei Drittel wollen, dass Deutschland weniger Geflüchtete aufnimmt. Migrationsforscher Marcus Engler sieht den Hauptgrund darin, dass von Parteien aus Kalkül das Thema in den Fokus gerückt worden sei. Unser Aufnahmesystem sei zwar wirklich an der Belastungsgrenze, doch das hänge weniger an den Asylsuchenden, als vielmehr an den vielen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine.

Laut Prognose werde es bis zum Ende des Jahres rund 300.000 Asylanträge bei uns geben, sagt Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. "Das ist schon ein höherer Wert, aber weit entfernt von den Höchstständen, die wir 2015/2016 hatten". In der Prognose nicht enthalten seien die Menschen aus der Ukraine, da für sie besondere Regeln gelten. Zwar würde inzwischen kaum noch jemand aus der Ukraine zu uns kommen, aber es habe eben vorher viele ukrainische Kriegsflüchtlinge gegeben.

Das Problem heute sei, dass unser Aufnahmesystem deshalb inzwischen insgesamt überlastet sei, sagt der Migrationsforscher. Die politische Debatte, die aktuell in Deutschland geführt werde, konzentriere sich aber nur auf Asylsuchende aus Drittländern, also Menschen, die nicht aus der Ukraine kommen. Er halte das für problematisch. "Eigentlich sollte man über alle Flüchtlinge sprechen, wenn wir über unsere Aufnahmekapazität sprechen."

Thema "Migration" aus politischem Kalkül

Dass die Menschen in Deutschland das Thema "Migration" Deutschland so stark beschäftigt und dass es von vielen so negativ gesehen wird, wie Umfragen zeigen, hält Engler u.a. für eine Folge der politischen Diskussion, aber auch der medialen Berichterstattung. "Die allermeisten Menschen in Deutschland, die sich an solchen Umfragen beteiligen, haben wahrscheinlich fast keinen Kontakt zu Flüchtlingen", sagt er. Aber gerade im Vorfeld der Landtagswahlen in Hessen und Bayern hätten die Parteien - vor allem die AfD und die CDU - das Thema aus strategischen Gründen in den Fokus gerückt. Die Ampel-Koalition in Berlin habe dem nicht wirklich was entgegen gesetzt, sondern sei immer mehr auf diesen Kurs eingeschwenkt.

Die Ursachen sind andere

Der Migrationsforscher sagt: "Die Herausforderungen sind groß, aber wir könnten damit völlig anders umgehen." Er räumt ein, dass die in Deutschland schon lange bestehenden Probleme - in den Schulen, in der Verwaltung, auf dem Wohnungsmarkt - sich durch den Zuzug weiterer Menschen noch verstärken würden. "Die Ursachen sind aber andere", sagt er. Es gehe nun darum, Lösungen zu finden, die für alle funktionierten.

Mehr Sachlichkeit in der Diskussion

Engler plädiert dafür, dass in die Diskussion um die Migration viel mehr Sachlichkeit kommen sollte. Statt politischer Forderungen, die gar nicht umsetzbar seien, sollten viel mehr wissenschaftliche Expertisen als Grundlage genommen werden.

Migration - auch eine Chance für Deutschland

Und es sollte mehr Ausgewogenheit in der Betrachtung geben, sagt Engler. Migration sei ja nicht nur Herausforderung, sondern in ihr lägen auch große Chancen. "Ohne Einwanderung - auch von Flüchtlingen - hätten wir schon jetzt größere Engpässe in den Arbeitsmärkten und die Sozialsysteme würden schon jetzt längst nicht mehr funktionieren." Seine Forderung lautet: Die Aufnahme - und Integrationssysteme stärken, denn das sei eine Investition in die Zukunft.

Ein Thema in der "Region am Mittag" am 16.10.2023 auf SR 3 Saarlandwelle

Artikel mit anderen teilen


Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja