Ein altes Radio mit gedrücktem UKW-Knopf (Foto: IMAGO / Steinach)

Das Saarbrücker Gespräch - Eine Brücke in den Westen

 

Obwohl Lutz Rathenow bis zuletzt DDR-Bürger war, baute ihm das Radio mit seiner Vielzahl an Wellen eine vielgenutzte Brücke in den Westen – nicht zuletzt zum Saarländischen Rundfunk. Im Gespräch teilt Lutz Rathenow persönliche Radio-Erinnerungen und verrät, wie seine Werke die Mauer überwanden und westdeutsche Radioprogramme erreichten. Nicht immer ganz legal…

Das Radio


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Klein und rechteckig und in einer schwarzen Hülle aus künstlichem Leder. Mit Löchern, damit die Töne nicht hängen bleiben. Deshalb bin ich vierzehn geworden, weil es dann ein Fest gab, das Geldgeschenke brachte. Die reichten für mein erstes Radio.

Eine Kofferheule als Behälter, der sich nie leerte. Die Batterien mussten immer wieder ausgewechselt werden, damit die Töne Ausgang hatten. Ich trug es über die Schulter gehängt, vorsichtig und lässig. Ich trug es wie ein Baby im Arm hin und her und suchte in der Wohnung die besten Empfangsmöglichkeiten. Oder auf dem Balkon.

Die Elektrogitarre von Hendrix und bei „My Friend Jack" (The Smoke) musste klar verzerrt zu hören sein. Meine Schwester bewunderte mich und durfte mein Radio anfassen und es einen richtigen Berg hinauf und wieder hinab tragen. Jeder Schritt veränderte die Sender. Es pfiff und rauschte in Varianten.

Der Träger des Gerätes war ständig mit den Knöpfen und dem Richten der Antenne beschäftigt. Ich konnte nicht an die Ostsee in den Urlaub, dort empfing man kaum einen Westsender. Ich würde fünf bis sechs Hitparaden verpassen. In den Schulstunden schrieb ich deren Ergebnisse in Hefte und einige aus der Klasse schrieben ab. Ich schmuggelte eine erfundene Gruppe darunter, deren Titel bald zwei oder drei Freunde gehört zu haben glaubten: „The I“.

Jena war das Senderparadies und brachte den Tönekoffer zum milden Dröhnen. Er hätte energischer vibrieren dürfen. In den achtziger Jahren gaben sie bei der Gehäuseherstellung Kreide zur Verlängerung bei. Mit Erdöl musste gespart werden. Mit Holz auch. So blieb Sperrholz, mit Kunstleder umspannt, für das Äußere. Darüber sah ich hinweg. Über mangelnde Eleganz dachte ich nicht nach. Ich stellte es laut und lauter. Ich spülte den Alltag aus meinem Kopf. Und die Schule setzte mich jeden Tag neu auf Entzug.


Der Text „Das Radio“ stammt aus Lutz Rathenow „Trotzig lächeln und das Weltall streicheln. Mein Leben in Geschichten“, Kanon Verlag, 2022. Wir danken dem Verlag für die Erlaubnis einer Veröffentlichung auf der Homepage des SR.

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