Urwald (Foto: Pixabay/Antranias)

Natur pur in der Nähe der Stadt

Axel Wagner   24.10.2019 | 06:30 Uhr

Nördlich von Saarbrücken, kurz hinter Malstatt, endet die Zivilisation. Seit 1995 gibt es dort den Urwald vor den Toren der Stadt, ein 1011 Hektar großes, unbewirtschaftes Waldgebiet, in dem sich die Natur fast ungestört entfalten kann. Das Konzept hat sich bewährt.

Lange, teils enge Wanderwege durchziehen ihn, den Saarbrücker Urwald. Es geht an steilen Hängen entlang, vorbei an Seen und umgestürzten Bäumen, über Hügel, fast querfeldein. Eins wird dem Neuling sehr schnell klar: Mit einem klassischen Waldspaziergang wie früher hat ein Besuch im Urwald eher wenig zu tun. Es ist viel abwechslungsreicher und faszinierender.

Eigentlich gar kein Urwald

Dabei ist die Bezeichnung „Urwald“ eigentlich irreführend. „Nutzungsfreie Wälder“ nennt Ulrich Heintz, Landesvorsitzender des Nabu Saar, die Gebiete. Urwälder im eigentlichen Sinne seien in Europa kaum noch zu finden. Wer ein größeres Stück eines tatsächlichen Urwaldes besuchen wollte, der müsste in den Osten Polens fahren. Der Wald von Białowieża an der polnisch-weißrussischen Grenze, gut 1200 Kilometer Luftlinie von Saarbrücken entfernt, ist tatsächlich ein Urwald. Bis zu 50 Meter hohe Eichen finden sich dort zum Beispiel noch, dazu über 12.000 Tierarten. Sie konnten sich dort entfalten, weil der Wald über Jahrhunderte nicht bewirtschaftet wurde.

Das ist im Saarland nicht gegeben. Die am längsten ungenutzte Waldfläche des Landes, ein Hangwald an der Saarschleife, ist seit etwas mehr als 150 Jahren der Natur überlassen – aus einem einfachen Grund: Der Hang ist zu steil, um die Bäume dort wirtschaftlich nutzen zu können. Hier finden sich dann auch sogenannte Urwaldreliktarten, also Tier- und Pflanzenarten, die nur in Wäldern älter als 120 Jahre zu finden sind. Das heißt also: Je älter der Urwald, desto größer ist die Artenvielfalt.

Viel mehr Tier- und Pflanzenarten

Der Saarbrücker Urwald startete 1995, zwei Jahre später wurde das Gebiet erweitert. 1011 der 4400 Hektar im Saarkohlenwald sind seither unbewirtschaftet, nur die Wanderwege werden gesichert. Daneben gibt es im Saarland auch die Wälder, die seit 30 Jahren zwar noch wirtschaftlich genutzt werden, das aber möglichst naturgemäß. „Aber im nicht mehr genutzten Wald entstehen einfach Nischen und Arten, die wir in einen genutzten Wald am Ende nicht hin bekommen“, sagt Heintz. Gerade die Nähe zur Stadt sei eine Besonderheit des Saarbrücker Urwaldes. Vergleichbares gebe es nur noch in der Schweiz.

Anders als in den bewirtschafteten Wäldern gibt es im Saarbrücker Urwald keine Baumernte, die Bäume dürfen über eine lange Zeit absterben. In dieser Phase stellen sich zahlreiche Arten ein, die in genutzten Wäldern nicht anzutreffen sind. So sind vor den Toren der Stadt praktisch alle saarländischen Spechtarten wieder zu finden.

Saarland gut aufgestellt

Zehn Prozent des Staatswaldes sind im Saarland inzwischen aus der Nutzung herausgefallen, fünf Prozent der Gesamtwaldfläche. „Und das ist eigentlich auch die Forderung des Naturschutzes für die gesamte Bundesrepublik“, so Heintz: „Als Zielgröße fünf Prozent der Waldflächen aus der Nutzung zu nehmen und möglichst große, zusammenhängende Flächen auszuwählen. Da sind wir im Saarland im Bundesvergleich schon relativ gut aufgestellt.“

Neben dem Saarbrücker Urwald gibt es im Saarland noch 16 kleinere Naturwaldzellen, darunter den Hocksfels bei Schmelz. Die kleinste dieser Flächen ist sieben Hektar groß. Die größte Parzelle, der Bärenfels bei Nohfelden, hat rund 113 Hektar. „Jede Fläche für sich, die aus der Nutzung genommen wird, ist zwar wertvoll“, sagt Heintz. „Aber den richtigen Artenreichtum erreichen wir erst ab einer Mindestgröße von um die 1000 Hektar zusammenhängender Fläche. Da wirkt sozusagen das Beziehungsgefüge von Nischen und Arten, die da so langsam wieder einwandern können.“

Nebeneinander mit bewirtschafteten Wäldern

Ungenutzte und bewirtschaftete Waldgebiete existieren dabei jedoch parallel. Die naturgemäße Waldwirtschaft, wie sie im Saarland seit rund 30 Jahren praktiziert wird, hat nichts mehr mit den anfälligen Monokulturen früherer Zeiten gemein. Auch die Zeiten von Kahlhieben, Baumfällungen nach Altersklassen, sind vorbei. „Es geht nicht um die Frage, ob genutzt wird, sondern wie“, sagt Ulrich Heintz. „Der saarländische Staatswald ist immer noch vorbildlich, was die naturgemäße Nutzung angeht. Das sieht in den anderen Bundesländern ein Stück weit anders aus.“

Neben den ungenutzten und den naturgemäß bewirtschafteten Waldflächen gibt es noch eine Zwischenform: den Prozessschutzwald im Raum Quierschied. Dort, so Heintz, werden gängige forstliche Eingriffe immer mehr zurückgeschraubt, es wird fast nur noch geerntet.

Wanderer sind kein Problem

Der menschliche Einfluss macht dem Saarbrücker Urwald nach Einschätzung von Ulrich Heintz keine Probleme. Es gebe zwar kein Wegegebot wie in anderen Wäldern. Trotzdem nutzten die meisten Wanderer die ausgeschilderten Pfade. Einzig illegale Müllablagerungen seien ein Problem – wie in jedem Wald. Ob sich das Konzept Urwald bewährt hat? Heintz ist sich sicher: „In jedem Fall.“

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