Ein Schüler trägt im Unterricht eine Smartwatch (Foto: IMAGO / Pond5 Images)

Warum Smartwatches für Grundschulkinder nicht immer eine gute Idee sind

Martina Kind   15.10.2023 | 12:10 Uhr

Nützliches Tool, das der Sicherheit dient oder vielmehr Spion am Handgelenk? Über den Nutzen von Smartwatches bei Kindern herrscht Uneinigkeit. Fakt ist: Immer mehr Eltern kaufen ihren Kindern eine solche Uhr. Der Lehrerverband im Saarland zeigt sich besorgt. Zu recht?

Immer häufiger tragen Kinder im Grundschulalter eine Smartwatch am Handgelenk. Das bestätigte der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) dem SR. Demnach sitze inzwischen schätzungsweise die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler ab der dritten Klasse mit einer solchen Uhr im Unterricht.

Mit Smartwatches können Eltern ihre Lieblinge unter anderem über GPS orten ("tracken"), sie anrufen oder ihnen eine Nachricht schicken. Was die einen als ein nützliches technisches Hilfsmittel sehen, ihrer Fürsorgepflicht auch dann nachkommen zu können, wenn das Kind nicht in ihrer Gegenwart ist, empfinden die anderen als übertriebene Vorsicht, die keinerlei Rücksicht auf die kindliche Privatsphäre nimmt.

Smartwatches beschäftigen zunehmend die Schulen

Lehrkräfte sorgen sich aber nicht nur um die Privatsphäre des Kindes – sondern auch um die eigene. "Wir bekommen immer wieder Anfragen von Lehrkräften zum Umgang mit Smartwatches", sagt die Sprecherin des SLLV, Petra Meier-Ziemiak. Dabei gehe es nicht nur darum, dass Kinder während der Schulzeit teilweise regelmäßig mit ihren Eltern telefonierten, um sie auf dem Laufenden zu halten.

"Ein großes Problem für die Lehrkräfte ist auch, dass sie überhaupt nicht wissen, welche Funktionen die Uhr, die ein Kind im Klassenzimmer trägt, hat – ob es beispielsweise auch eine Abhörfunktion besitzt", erklärt Meier-Ziemiak. Solche Uhren hat die Bundesnetzagentur in Deutschland eigentlich seit 2017 verboten, nachdem Ermittlungen gezeigt hätten, dass diese tatsächlich von Eltern zum Abhören von Lehrkräften im Unterricht genutzt wurden.

Verkauft werden Smartwatches mit versteckter Kamera und Mikrofon in Deutschland aber trotzdem. Die Verunsicherung der Lehrkräfte ist also nicht aus der Luft gegriffen. "Zumal sie die Uhren ja nicht einfach dahingehend prüfen dürfen, sondern sich auf den Verstand der Eltern verlassen müssen, Geräte mit einer solchen Funktion nicht zu kaufen, geschweige denn zu nutzen", so Meier-Ziemiak.

Keine landesweite Regelung im Saarland

Grundsätzlich verbieten können Lehrkräfte die Smartwatches in der Schule nicht. Wohl aber festlegen, ob sie während des Unterrichts am Handgelenk getragen werden dürfen oder ob sie ausgeschaltet im Rucksack verstaut werden müssen – das muss zuvor allerdings in der Schulkonferenz der entsprechenden Schule beschlossen und schließlich in der Schulordnung festgelegt worden sein.

"Eine allgemeine landesweite Regelung gibt es im Saarland nicht", teilt ein Sprecher des Bildungsministeriums dem SR mit. Schulen müssten sich demnach selbst Regeln geben, "die einerseits dem Kommunikationsbedürfnis von Schülern und Eltern Rechnung tragen, andererseits eine ordnungsgemäße Erteilung von Unterricht ohne Störungen ermöglichen".

Es handele sich hierbei um ein "sehr kritisches Thema", sagt SLLV-Sprecherin Meier-Ziemiak. Viele Eltern bestünden demnach darauf, dass ihre Kinder die Smartwatch auch im Schulalltag nutzen dürfen – das vermittele ihnen ein Gefühl von Sicherheit. "Dabei ist das gar nicht notwendig. Die Schulen haben eine Aufsichtspflicht, Eltern sollten darauf vertrauen können. Sobald tatsächlich mal etwas passieren sollte, werden sie sofort informiert."

Smartwatches bei Kindern: Schädlich oder nützlich?

Sie selbst steht Smartwatches bei Grundschulkindern generell kritisch gegenüber, insbesondere dann, wenn Eltern ihren Nachwuchs damit tracken. Zum einen bremse es ihren Weg in die Selbstständigkeit, indem es ihnen vermittele, ohne elterliche Begleitung bzw. Überwachung nicht auszukommen – ähnlich sei es, wenn Kinder täglich zur Schule gefahren bzw. abgeholt würden. "Zum anderen verlernen Kinder, Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen, wenn sie beispielweise bei jedem kleinen Streit auf dem Schulhof direkt ihre Mama oder ihren Papa damit anrufen", so Meier-Ziemiak.

Auch der Kinderschutzbund sieht solche GPS-Überwachungsinstrumente kritisch. Diese vermittelten Eltern – wenn überhaupt – nur eine trügerische Sicherheit, so die ehemalige Bundesgeschäftsführerin Cordula Lasner-Tietze. "Viele Eltern haben Sorge vor sexuellen Übergriffen auf ihre Kinder", sagt sie. "Sie glauben, ein solcher Sender könnte helfen." Der allergrößte Teil der sexuellen Übergriffe an Kindern geschehe allerdings im sozialen Nahraum: in der Familie, der Betreuung, im Verein etwa. "Diese Übergriffe verhindert keine App."

Eva Möhler, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum in Homburg, sieht es etwas differenzierter. "In Übergangssituationen können sie beispielweise schon hilfreich sein, etwa wenn Kinder ihren Schulweg zu Fuß oder mit dem Bus erstmals alleine meistern müssen." Gerade eher ängstlichen und unsicheren Kindern könne es zunächst helfen zu wissen, dass ihre Eltern sie mit Hilfe der Tracking-Funktion im Blick haben und notfalls zu erreichen sind.

Tracking nur in Rücksprache mit dem Kind

Allerdings sollte das Tracking nicht zum Standard werden, sondern eher in Ausnahmefällen und auch nur zeitlich begrenzt genutzt werden. Sonst verknüpften die Kinder die Geräte womöglich mit einem Sicherheitsgefühl und fühlten sich ohne ihren digitalen Begleiter draußen in der Welt nur noch unsicherer. "Zudem sollte das Tracking nie ohne Rücksprache mit dem Kind erfolgen", rät Möhler. "Eine heimliche Überwachung kann erhebliche Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Beziehung haben."

Kindliche Entwicklungsaufgabe sei es, eine eigene Identität zu entwickeln – wenn das Kind das Gefühl vermittelt bekomme, keine eigenen Lebensbereiche zu haben, in denen es sich frei ausprobieren und sich ohne elterliche Einflüsse entwickeln kann, leide es massiv, erklärt Möhler. Schließlich könne das Gegenteil von dem eintreten, worauf die Eltern eigentlich abzielen: Das Kind entzieht sich der Kontrolle und distanziert sich von seinen Eltern.

Möglichst keine Spiele auf Smartwatch

Noch kritischer sieht Möhler aber Smartwatches für Kinder, auf denen Spiele installiert sind. "Für die kindliche Gehirnentwicklung ist das höchst schädlich. Wenn Kinder jedes Mal bei Langeweile an der Uhr daddeln, sind sie permanent überreizt." Vielmehr müssten Kinder lernen, mit Langeweile umzugehen. "Tatsächlich fördert Langeweile Kreativität und ist damit eine wichtige Triebfeder der kindlichen Entwicklung."

Wenn eine Smartwatch also unbedingt sein müsse, dann sollten Eltern von Grundschulkindern darauf achten, dass sie nur auf die allernötigsten Funktionen beschränkt sei, so Möhler: "Für mich wären das die Notruffunktion und, wenn das Kinder tatsächlich ein Mitspracherecht hat und auch sein Einverständnis erteilt hat, die Ortungsfunktion. Alles andere muss in diesem Alter noch nicht sein".


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