Albrecht Pendt war bis 2012 in Zweibrücken Generalstaatsanwalt für die Pfalz  (Foto: privat/SR)

„Im Interesse der Abschreckung“: saarländische Sondergerichtsurteile gegen „Rundfunkverbrecher“

 

Akten des Sondergerichts, das im Saarbrücker Gebäude des Landgerichts auch über sogenannte Rundfunkverbrecher entschied, sind zum Glück erhalten. Sie befinden sich im Landesarchiv Saarbrücken. Das Gericht verhandelte auch in den Außenstellen Kaiserslautern, Ludwigshafen und Neustadt.

Von Albrecht Pendt*

In längst nicht allen bewahrten Akten geht es um Verfahren gegen „Rundfunkverbrecher“, denn die Sondergerichte waren u. a. auch noch für die Aburteilung von sogenannten „Volksschädlingen“ und für Verfahren wegen „Heimtücke“ oder „Wehrkraftzersetzung“ zuständig.     
Unklar ist, ob die erhaltenen Akten alle Fälle von „Rundfunkverbrechen“ enthalten, über die das Sondergericht verhandelt hat. Wahrscheinlich ist es nur ein Teil. Klar dagegen ist, dass die Akten zu den einzelnen Fällen meist unvollständig sind. Manchmal finden sich mehr oder weniger komplett die Verhandlungsakten, manchmal nur die Vollstreckungs- oder die Gnadenakten. Zudem werden die Akten im Laufe der Jahre immer dünner und nichtssagender.

Einige der Verfahren wegen „Rundfunkverbrechen“ sind hier kurz zusammengefasst beispielhaft wiedergegeben. Die Namen der Angeklagten sind nur mit den Initialen angeführt. 

Vom Untermieter angezeigt

Auf die Anzeige seines Untermieters wurde der 52-jährige pensionierte Bergmann J. K. aus Höcherberg-Frankenholz am 18.01.1940 wegen Verunglimpfung des Staates und Verbrechen nach dem Rundfunkgesetz in Untersuchungshaft genommen und am 8. 5. 1940 zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren verurteilt, wobei seine Mitgliedschaft in der SPD für die Strafhöhe nicht ohne Bedeutung gewesen sein dürfte. Mehrere Gnadengesuche wurden abgelehnt. Das änderte sich erst, als sein Sohn am 19. 3. 1942 in Charkow (heute als Charkiw zweitgrößte ukrainische Stadt) gefallen war (Verfahren: 14 SKLs 13/40; LA Saarbrücken, Bestand Staatsanwaltschaft Nr. 331).

Straßburg und London gehört

Am 24. 4. 1940 wurde der 49-jährige Bergmann J. S. aus Landsweiler-Reden von dem Landgerichtsdirektor Freudenberger und den Landgerichtsräten Woltering und Krotten wegen fortgesetzten Abhörens Straßburger und Londoner Sender zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt (14 SKLs 16/40; LA Nr. 333). Der Verurteilte war von einer Untermieterin angezeigt worden.
Ein Gnadengesuch wurde 16.11.1942 mit Formblatt abgelehnt.

Drei Jahre für dreimal Feindsender hören

Präambel der Verordnung, Sätze drei und vier.

In dem Verfahren 14 SKLs 19/40 (LA Nr. 335) wurde der nicht vorbestrafte 42-jähriger Bergmann O. F. aus Dudweiler am 22. 5. 1940 wegen gerade einmal drei Einzeltaten zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. In den Urteilsgründen zur Strafzumessung heißt es: „Da es aber nicht angeht, dass derartige persönlich vielleicht nicht böswilligen Einzelgänger den Existenzkampf des deutschen Volkes durch ihr verantwortungsloses Handeln gefährden, muss im Interesse der Abschreckung gegen jeden, der sich in dieser Weise zum Werkzeug des Feindes gegen sein eigenes Volk macht, fest durchgegriffen werden.“ Die Strafe wurde voll verbüßt.

Höhere Strafe, weil Familie mithörte

Paragraph 1 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen

Am 7. 4. 1940 wurden von ursprünglich sechs Beschuldigten der Hauptangeklagte F. K. aus Kirkel zu drei Jahren Zuchthaus (wegen fortgesetzter „Rundfunkverbrechen“) und zwei weitere Beschuldigte (wegen „leichter Fälle“) zu fünf bzw. sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Bei dem Hauptangeklagten, einem Ankerwickler, hat das Gericht strafschärfend berücksichtigt, „dass er sich und seine Familie fortgesetzt der seelischen Zermürbung durch das Gift der Feindpropaganda ausgesetzt und dadurch innerlich auf die Seite des Feindes gestellt hat. Er hat aber nicht nur unermesslich Unglück über seine Familie gebracht, sondern auch dritte Personen in dieses Unglück mit hineingezogen und durch sein Abhören vor dritten Personen eine besondere Verantwortungslosigkeit bewiesen, wie er schließlich auch keine Bedenken getragen hat, das Gift der feindlichen Lügenpropaganda auch noch in Kreise seiner Arbeitskollegen weiter zu verbreiten.“
Die Verfahren gegen die übrigen Beschuldigten wurden mangels Nachweisen eingestellt (Verfahren: 15 SKLs 15/40; LA Nr. 356).
K.ʼs Reststrafe wurde ab 22.01.1943 im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt; vermutlich, weil sein Sohn an der Ostfront zwischenzeitlich schwer verwundet worden war.

Früherer Marxist mit zwiespältiger seelischer Haltung

Am 10. 7. 1940 wurde der 37-jährige Schlosser J. M. vor dem Sondergericht in Kaiserslautern auf Antrag von Staatsanwalt Rang von dem Landgerichtsdirektor Freudenberger und den Landgerichtsräten Woltering und Krotten wegen „Rundfunkverbrechen“ zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. In den Entscheidungsgründen heißt es zur Strafzumessung u. a.: „ … nicht aus harmloser Neugierde, sondern aus der zwiespältigen seelischen Haltung des von seiner negativen Einstellung gegenüber der nationalsozialistischen Staats- und Gesellschaftordnung nicht loskommenden früheren Marxisten zum Rundfunkverbrecher geworden ist. (…) Gegen Leute seines Schlages, von denen, wenn sie sich schon trotz des gewaltigen Erlebens der letzten sieben Jahre zu einer inneren Wandlung nicht haben durchringen können, doch unter allen Umständen in politischen Dingen gefordert werden muß, richtet sich vorzugsweise die harte Strafandrohung der gesetzlichen Bestimmungen der Rundfunkverordnung“ (Verfahren: 15 SKLs 8/40; LA Nr. 353).

Zwei Jahre für achtmal Straßburg hören

Am 17. 7. 1940 verhängten die Richter Freudenberg, Woltering und Dr. Esser in Kaiserslautern gegen den 31-jährigen Laboranten K. S. zwei Jahre Zuchthaus. Nach den Urteilsgründen soll er von September bis Dezember acht Mal den Straßburger Sender abgehört haben. Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war Staatsanwalt Rang (Verfahren: 15 SKLs 6/40; LA Nr. 352).

„Volksgenossen“ an der Grenze müssen deutschem Radio glauben

 (Foto: SR)

In dem Verfahren 15 SKLs 89/41(LA Nr. 426) wurde der 45-jährige unbescholtene Werkzeugdreher W. E. aus Saarlautern am 3. 9. 1941 zu fünf Jahren Zuchthaus unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, weil er „seit Anfang 1941 in vielen Fällen“ ausländische Rundfunksendungen abgehört haben soll. Milderungsgründe haben die Richter mit folgender Begründung verneint: „Gerade die deutschen Volksgenossen an der Grenze müssen nach zwei Jahren Kriegsführung erkannt haben, wie wahr unsere eigenen, wenn auch manchmal knappen Berichte und wie verlogen die Berichte des feindlichen Auslandes sind. Wer trotzdem weiterhin ausländische Sender abhört und dazu noch die zersetzenden Nachrichten dieser Sender unter Arbeitskameraden weiterverbreitet, den muss die volle Schärfe des Gesetzes treffen.“ Der Verurteilte war von einem Arbeitskollegen verraten worden.
Dem Gnadengesuch seines Verteidigers knapp 2 Jahre nach der Inhaftnahme wurde mit einer Formularentscheidung nicht statt gegeben.

 (Foto: SR)

Von der eigenen Frau angezeigt

Am 24. 3. 1942 wurden auf Anzeige der eigenen Ehefrau gegen den 35-jährigen Autospengler M. H. und weitere Angeklagte aus Ludwigshafen wegen fortgesetzten Abhörens und Verbreitens von Nachrichten ausländischer Sender eine Zuchthausstrafe von vier Jahren (gegen H.) sowie Gefängnisstrafen von jeweils fünf Monaten gegen die mitangeklagte Ehefrau und einen 44-jährigen Former verhängt. Ein weiterer Angeklagter wurde mangels Beweises freigesprochen. Das Strafmaß gegen den nicht vorbestraften Hauptangeklagten wurde u.a. wie folgt begründet: „Er hat sich jedoch dadurch, dass er fortgesetzt ausländische Rundfunknachrichten und zwar in Gegenwart seiner Frau und des Mitangeklagten H. abgehört hat, als Staatsfeind erwiesen. Es musste daher, auch aus Gründen der allgemeinen Abschreckung eine hohe Zuchthausstrafe gegen ihn verhängt werden.“ Die Verhandlung fand in Ludwigshafen statt (Verfahren: SKLs 17/42; LA Nr. 493).

Feindsender gehört und Nachrichten verbreitet

Der promovierte Oberregierungs- und Landeskulturrat A. B. aus Saarbrücken wurde auf eine Anzeige seiner Haushaltshilfe vom 14. 11. 1942 am 20. 2. 1943 zusammen mit seiner Frau in Untersuchungshaft genommen. Am 3. 5. 1943 wurde Anklage erhoben. Am 28. 5. 1943 erging gegen ihn in dem Verfahren 15 SKLs 41/43 ein Urteil über eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren, davon fünf Jahre wegen fortgesetzten Abhörens und Verbreitens von Nachrichten ausländischer Sender. Tatzeiten: 1941 und 1942. Das Verfahren gegen seine Frau wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit abgetrennt und letztlich eingestellt (LA Nr. 655).

Schweizer Sender „Beromünster“ gehört

Der 24-jährige Ing.-Student W. K. aus Limbach wurde am 10. 4. 1943 nach Hinweisen aus der Nachbarschaft wegen „Radioverbrechen“ in Untersuchungshaft genommen und am 18. 1. 1944 von den Landgerichtsräten Woltering und Dr. Hack zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Er soll den „Beromünster Sender“ aus der Schweiz abgehört haben. Staatsanwalt Lingens hatte zwei Jahre Zuchthaus beantragt.
Auf ein Gnadengesuch des Verteidigers vom 14.02.1944 wurde am 3. 4. 1944 die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Für die Entscheidung war vermutlich von Bedeutung, dass der Verurteilte im Dezember 1939 am Westwall schwer verletzt worden war und seine Forschungsarbeiten für das Reich nützlich sein konnten (Verfahren: 15 SKLs 137/43; LA Nr. 746).

 (Foto: SR)
Ausschnitt aus einem Warnaufdruck auf der Rückseite einer Rundfunk-Gebührenquittung von 1944.

Vom Nachbarn angezeigt

Durch Anzeige eines Nachbarn gerieten der Rangierer K. K., seine Ehefrau und eine Frau L. D. in Ludwigshafen im Juli 1944 in den Verdacht, im Herbst 1943 sechs bis sieben Mal einen englischen Sender abgehört zu haben. Sie wurden in „Schutzhaft“ genommen. Im August 1944 wurden K. K. und Frau D. zu jeweils drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Frau K. wurde mangels Beweises freigesprochen. Die Verhandlung fand in Neustadt unter Beteiligung des (jetzt) Landgerichtsdirektors Krotten und des Amtsgerichtsrats Buchholz statt. Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war Staatsanwalt Beumelburg (Verfahren: 15 SKLs 149/44; LA 895).

*Albrecht Pendt war von 2007 bis 2011 Generalstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft für die Pfalz in Zweibrücken. Er schrieb auch über engagierte Protestanten und deren Verhalten im Nationalsozialismus.

SR-Fundstücke
Wie Radiohörer zu „Rundfunkverbrechern“ wurden
Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Einmarsch in Polen anfing, begann auch eine bis dahin beispiellose Schlacht im Äther. Obwohl die Waffen an der deutschen Westgrenze vorerst weitgehend schwiegen, tobte die „Rundfunkschlacht“ von Anfang an auch über den Reichssender Saarbrücken. Für das benachbarte Frankreich wurden zwischendurch immer wieder deutsche Propaganda-Sendungen in Französisch ausgestrahlt. Gleichzeitig war für die Saarländer, wie für alle Deutschen im „Reich“, das Hören ausländischer „Feindsender“ ein Rundfunkverbrechen.

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