Tour de Kultur 2018: Liebevoll restaurierte Kutschen im "Village des Vieux Métiers" (Foto: Lisa Huth)

Le village des Vieux Métiers

Wie ein Dorf sich neu erfindet

Lisa Huth   28.06.2018 | 10:59 Uhr

In Azannes ist nichts. Landschaft vielleicht. Viel Landschaft. Und 200 Einwohner. Niemand kommt nach Azannes. Höchstens wegen des Ersten Weltkrieges. Aber da gibt es interessantere Orte. Verdun, 20 Kilometer südlich. Oder Douaumont. In Azannes hatten sich die Deutschen auf einem Hügel verschanzt und Tunnel gegraben. Aber auf Tourismus konnte man nicht wirklich setzen, war doch die ganze Region ein Schlachtfeld gewesen.



Bis vor mehr als 30 Jahren ein paar Leute auf die Idee kamen, einen Pferdestall aus dem 19. Jahrhundert umzubauen. Sie hatten ein bisschen Geld, weil das Mémorial de Grand-Failly, ein Denkmal für 3.000 amerikanische Soldaten und 250 andere Alliierte, die bei der Schlacht von Bastogne 1944 gefallen waren, mehr Spenden- und andere Gelder eingebracht hatte, als gebraucht wurden.

Erst entstand dort ein Ort, um Besucher zu empfangen, später dann wurde aus dem Gedenken ein kleines Volksfest, neue Örtlichkeiten wurden gesucht und schließlich auf dem Gelände vor dem Hügel mit den Tunneln gefunden.

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Mit einem Pferdestall fing es an

Jener besagte alte Pferdestall wurde so umgebaut, dass Gewerke von früher dort Platz finden konnten, zum Beispiel, Holzschuh- und Kutschenmacher. Inzwischen arbeiten Hunderte von Freiwilligen aus der ganzen Umgebung mit. Die einen bauen Häuser, die sonst wo abgerissen werden sollen und in das Dorf passen, hier wieder neu auf.

Tour de Kultur 2018: Im "Village des Vieux Métiers" werden auch Holzschuhe hergestellt (Foto: Lisa Huth)
Im "Village des Vieux Métiers" werden auch Holzschuhe hergestellt, les sabots, für die Lothringen berühmt war

25 Häuser sind es inzwischen. Eine Windmühle thront oben auf dem Hügel, eine Wassermühle unten am Teich sorgt dafür, dass das Bio-Mehl in verschiedenen Typsorten gemahlen wird. Andere Freiwillige betätigen sich als Bäcker, Schäfer oder Weber, es wird auch geklöppelt und Butter selbst gemacht. Insgesamt werden dort 80 Berufe präsentiert, darunter auch Steinmetze, Schreiner, Bauern und Bäuerinnen, die Heu dreschen oder Früchte einmachen. Alles natürlich mit alten Geräten und Maschinen, die mit viel Liebe wieder instand gesetzt wurden.

Die Begeisterung der Freiwilligen steckt an

Tour de Kultur 2018: Le village des Vieux métiers (Foto: Lisa Huth)
Geschirr von Anno Dazumal

Das alles passiert an den vier beziehungsweise fünf Sonntagen im Mai: Da erschallt das Waschhaus von den Rufen der Frauen, das Kirchlein empfängt seine Besucher, die Schule ihre Sonntagsschüler, sofern sie nicht Karussell fahren, die Hutmacherin präsentiert ihre neuesten Werke, und der Barbier hört der Kundschaft zu, während er ihnen gekonnt den Bart schert.

Tour de Kultur 2018: Im "Village des Vieux Métiers" gibt's auch alte Maschinen zu bestaunen (Foto: Lisa Huth/SR)
Im "Village des Vieux Métiers" gibt's auch alte Maschinen zu bestaunen

Bei der Führung im April 2018 haben sich einige dieser Freiwilligen eingefunden. Ihnen ist der Enthusiasmus anzumerken, mit dem sie sich für diese Touristenattraktion einsetzen. Und es hat sich gelohnt: Die Zahl der Besucherinnen und Besucher geht mittlerweile auf die zwei Millionen zu. Darum wird auch an zwei weiteren Sonntagen geöffnet und zwar im Juli.

Überall kann gepicknickt werden

Dann gibt’s Zuckerkuchen, lothringische Gerichte von früher wie pot au feu lorrain und Picknickpakete, die kann aber auch jeder selber mitbringen. Das rustikale Restaurant reicht nicht, um die 30.000 Menschen an diesen sechs beziehungsweise sieben Tagen zu empfangen, darum picknicken viele auf den Wiesen des Dorfes, nachdem sie neben Dampfmaschinen, Kutschen, den Kräutergarten auch das Soldatenheim (auf Deutsch geschrieben) besichtigt haben. Auch die Tunnel der Deutschen können begutachtet werden.

Tour de Kultur 2018: Le village des Vieux métiers (Foto: Lisa Huth)
Die Baracke des "Soldatenheims"

Und so haben es die Menschen auf diesem einsamen Flecken geschafft, die Geschichte der Region lebendig werden zu lassen, nicht nur die traurige kriegerische, sondern alles miteinander zu vereinen und ein Riesenpublikum anzuziehen. Das eingenommene Geld wird wieder weiter investiert. Denn das Dorf der alten Berufe bei Azannes-et-Soumazannes gehört zu denjenigen in Lothringen, die entgegen dem allgemeinen Trend immer weiter wachsen.

Tour de Kultur 2018: Einen Dorfladen mit selbst hergestellten Produkten gibt es auch im "Village des Vieux Métiers" (Foto: Lisa Huth)
Einen Dorfladen mit selbst hergestellten Produkten gibt es auch im "Village des Vieux Métiers"

Kontakt

Le village des Vieux Métiers
Domaine des Roises
F-55150 Azannes
Tel.: (00333) 29 85 60 62
E-Mail: vieuxmetiers@orange.fr
www.vieuxmetiers.com

Öffnungszeiten

An allen Sonntagen im Mai und an zwei Sonntagen im Juli, 10.00 - 18.00 Uhr

Eintritt

Erwachsene: 15,- €
Kinder bis 16 Jahre: gratis
Gruppen: bitte Kontakt aufnehmen, Reservierung notwendig
Gruppentarif ab 30 Personen: 12,- €

Anfahrt

Vom Saarland aus auf die Autobahn A 4 Richtung Metz/Paris. Vor Verdun die Ausfahrt 32 Richtung Etain, der D 65 weiter folgen bis Azannes.



Über dieses Thema wurde auch in der Sendung "Region am Mittag" auf SR 3 Saarlandwelle am 26.06.2018 berichtet.

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