Tour de Kultur 2018: Der Sender Berus-Felsberg ist auch bei Nacht eine Sensation (Foto: Marco Kany)

Jakobsmuschel mit Lizenz zum Senden

Die faszinierende Architektur des Senders Berus-Felsberg

Stefan Miller   16.07.2018 | 12:50 Uhr

Der Sender Europe 1 war einer der ersten Privatsender, die in Frankreich zu hören waren, obwohl privates Radio dort verboten war. Der Trick: Der Sender strahlte vom saarländischen Berus-Felsberg nach Frankreich. Heute sind Langwellensender aus der Mode gekommen, deshalb wartet das faszinierende Industriedenkmal auf eine neue Nutzung.



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Tour de Kultur: Die faszinierende Architektur des Senders Berus-Felsberg
Audio [SR 3, Stefan Miller, 16.07.2018, Länge: 03:19 Min.]
Tour de Kultur: Die faszinierende Architektur des Senders Berus-Felsberg

Bernd Gillo, Bürgermeister von Überherrn, brennt. Wenn man ihn auf den Sender Europe 1 beziehungsweise Berus-Felsberg anspricht, steigt sein Blutdruck und die Augen fangen an zu leuchten. Dieses Gebäude sei weltweit einzigartig, ein Symbol für Europa, technischer Weltrekord und ein Stück Heimat.

Er hat Recht. Als am 1.1.1955 der Langwellensender Europe 1 um 6.30 Uhr auf Sendung ging, war er in gewisser Weise einzigartig. Die Architektur ähnelt mehr einer Kongresshalle als einem Radiosender. Eine riesige Betondecke, ohne Dehnungsfuge in einem Stück gegossen, überspannt mit einer Dicke von nur vier bis sieben Zentimetern (!) den gesamten Sendekomplex.

Architektonischer Weltrekord

Tour de Kultur 2018: Eher eine Kongresshalle als ein Sender (Foto: Wolfgang Birkenbach)
Eher eine Kongresshalle als ein Radio-Sender

Beim ersten Versuch, diese sogenannte einschwingende Decke zu errichten, stürzte das Dach ein. Der Architekt Jean François Guédey sah sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt und nahm sich das Leben. Daraufhin übernahm Marie Eugène Léon Freyssinet, der als Erfinder des Spannbetons gilt, die Bauleitung und schuf eine Konstruktion, von der Statiker und Ingenieure bis heute fasziniert sind. Im Bauprinzip ist sie vergleichbar mit der „schwangeren Auster“ in Berlin, hat aber im Unterschied zu dieser bisher gehalten. Stahltrosse halten mit tonnenstarken Zugkräften die Decke so in Spannung, dass sie steht wie ein Zelt. Ein Zelt von 46 x 86 Metern!

Dieser markante Bau der 1950er Jahre mit seinen imposanten Glasfronten und der alten Radioröhrentechnik war aber nicht nur ein architektonischer Weltrekord. Es war der stärkste Langwellensender weltweit. Denn sein Betreiber, letztlich Radio Monte Carlo, wollte zu einer Zeit privates Radio in Frankreich ausstrahlen, als das dort noch verboten war. Also suchte man sich einen Standort, der nahe an der französischen Grenze lag – 700 Meter entfernt – aber rechtlich auf deutschem Boden. Sehr zum Missfallen der französischen Behörden wurde von hier aus ganz Frankreich mit privat finanziertem Radioprogramm bestrahlt. Ja, sogar in Nordafrika konnte man das Programm von Europe 1 noch empfangen. Einmal wurde sogar ein schon aufgebauter Sendemast in senkrechter Position um 102 Meter verschoben, um die Ausstrahlung zu verbessern. Die Redaktion saß in Paris und war durch eine doppelte Erdleitung mit dem technischen Komplex im Saarland verbunden.

Seit 3 Jahren imposante Technikgeschichte

Tour de Kultur 2018: Der Funkturm auf dem Felsberg (Foto: Wolfgang Birkenbach/SR)
Der Funkturm auf dem Felsberg

Ganz kurz, bis 1957, wurde von diesem Standort aus auch Fernsehen ausgestrahlt. Ein kleiner Fernsehturm aus Beton mit einer wackeligen Treppe zeugt noch davon. Angeblich soll auch einmal der erste saarländische Ministerpräsident, Johannes Hoffmann, von diesem Sender eine Rede für circa 300 Fernsehapparatbesitzer ausgestrahlt haben, aber dafür fehlen Belege.

Die Fernsehära endete, als der bundesdeutsche Postminister, Richard Stücklen, am 16. Juli 1958 das endgültige Aus für das Programm verfügte. Mittlerweile hatte die Bundesrepublik die volle, auch wirtschaftliche Verfügungsgewalt über das Saarland. Stücklen ließ Polizei auf dem Gelände aufmarschieren und das Fernsehsendekabel kappen.

Im Jahre 2015 wurde der Sendebetrieb in diesem Gebäude eingestellt. Was übrig blieb, ist Technikgeschichte. Imposante begehbare Sendetechnik mit alten Röhren, die jederzeit wieder in Betrieb genommen werden könnten. Davor ein riesiges Foyer, das geeignet wäre, einen Präsidenten zu empfangen.

Wären es Möbel, würde man zum 50er Jahre-Charme "Vintage" sagen

Tour de Kultur 2018: Hell, licht und leicht: der Sender Berus-Felsberg (Foto: Wolfgang Birkenbach)
Hell, licht und leicht: der Sender Berus-Felsberg

Die zuletzt 33 Bediensteten dieser Anlage hier wurden vom Chef der Anlage sinnreich beschäftigt, denn häufig hatten sie nur anwesend zu sein, um im Notfall eingreifen zu können. Sie züchteten Schafe auf dem 23 Hektar großen Gelände und legten einen Mosaikfußboden, eine bunte Spirale. Trotz einiger Sanierungsmaßnahmen in den 1980er Jahren strahlt dieser Bau immer noch den Charme der 1950er Jahre aus. In manchen Büros ist noch altes Mobiliar erhalten. Außen sieht man die 16 Zentimeter dicken Stahltrosse, die dem Bau seine Stabilität verleihen. Bei günstigem Licht spiegelt sich die Halle im Teich vor dem Gebäude. Es sieht aus wie eine aufgeklappte Jakobsmuschel.

Warum hat man diese Form gewählt? Als die Gesellschafter und der Programmdirektor des neuen Senders über den Saargau spazierten, fanden sie im Boden eine Kalkmuschel und entschieden, dass der Bau in Muschelform ausgeführt werden sollte.

Warum nicht das EU-Jugendparlament?

Tour de Kultur 2018:  Wie eine Jakobsmuschel - der Sender Berus-Felsberg (Foto: Wolfgang Birkenbach)
Wie eine Jakobsmuschel - der Sender Berus-Felsberg

Heute ist der Sender nur zu bestimmten Terminen für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Gemeinde Überherrn hat ihn gekauft und entwickelt zusammen mit der Unteren Bauaufsicht ein Brandschutzkonzept, dass eine dauerhafte Nutzung möglich macht. Wenn dafür – hoffentlich schneller als beim Berliner Flughafen – eine Lösung gefunden ist, kann sich Bürgermeister Gillo fast jede Form der Nutzung vorstellen, und seine Augen strahlen wieder. Konzerte, Theateraufführungen, kleine Verbrauchermessen, ein Bistro im Fernsehturm, den Sitz eines europäischen Jugendparlaments … die Ideen reißen nicht ab.

Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten werden geschrieben, um die Möglichkeiten dieses Juwels der Industriearchitektur auszuloten. Der Bund hat das Gebäude zum nationalen Projekt erklärt, so dass Zuschüsse für die Erhaltung winken. Die Grenzlage in der Nähe des Europadenkmals an der deutsch-französischen Grenze legt eine grenzüberschreitende Nutzung nahe. Gelände für Parkplätze ist vorhanden. Für den Bürgermeister ist dieser Sender ein Stück Heimat, das er bekannt machen will. Ein Sender, der den Namen Überherrn bis nach Nordafrika transportiert hat. Ein fesselndes Stück Industriekultur auf der grünen Wiese. Wer es gesehen hat, brennt.

Kontakt

Gemeindeverwaltung Überherrn
Rathausstraße 101
66802 Überherrn
Tel.: (06836) 909-0
Fax: (06836) 909-192
E-Mail: rathaus@ueberherrn.de
www.ueberherrn.de

Adresse des Senders, wenn man ihn mal ohne Führung von außen betrachten will:
Ittersdorfer Straße 101
66802 Felsberg-Berus
Überherrn

Öffnungszeiten

Die Besichtigung des Senders Berus-Felsberg ist zurzeit nur im Rahmen einer Führung möglich. Solche Führungen können mit dem Kulturamt der Gemeinde Überherrn vereinbart werden. Am 21. Juli 2018 ist ein Termin dafür vorgesehen.

Eintritt

Der Eintritt ist frei. Die Führungen werden kostenlos angeboten.

Anfahrt

Saarbrücken über A 620 Richtung Saarlouis. Abfahrt Saarlouis-Mitte/ Metz nehmen. Auf der B 405 Richtung Saarlouis Beaumarais/Felsberg/Metz weiterfahren. Vorbei an der „Teufelsburg“ in Ober-Felsberg und an Gabelung links abbiegen Richtung Metz. Der Sender Berus-Felsberg befindet sich auf der linken Seite gut sichtbar mitten im Grünen.



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