Psychiatriemuseum in Merzig (Foto: Isabel Sonnabend)

Charme statt Horror

Das Psychiatriemuseum in Merzig

Isabel Sonnabend  

Geschichten verschwundener Patienten - statt Opas Familienalbum. In Merzig kann man in die Vergangenheit eintauchen, konkret in die Geschichte der Psychiatrie. Kein Horrorkabinett mit Zwangsjacken, sondern Fotos, Malereien und Texte erzählen eine Geschichte aus einem anderen Land.

Es ist ein bisschen wie Stöbern auf Opas altem Dachboden. Nur, dass hier die Schätze des Klinikums und seiner Patienten liegen – versteckt im historischen Dachstuhl der Psychiatrieabteilung, im oberen Stock der Klinik Merzig. Runde Deckenlampen erleuchten den 200 Quadratmeter großen Raum, schräge Dachbalken und alte Steinwände geben dem Museum einen verklärten Charme, der zu der liebevollen Machart dieser Ausstellung passt.

Psychiatriemuseum in Merzig (Foto: Isabel Sonnabend)

Diplom-Psychologe Ralf Schmitt arbeitet hier leidenschaftlich, zusammen mit Mitarbeitern der Klinik und Patienten: „Es gibt keine Vitrinen, in denen irgendwelche Gegenstände vor sich hin stauben, und es gibt hier auch keine Zwangsjacken, die an die Wand genagelt sind. Das haben wir bewusst nicht gemacht, wir wollten die Psychiatrie nicht als Horrorkabinett darstellen.“

Fünf verschiedene Bereiche

Statt Opas Familienalbum finden sich in diesem Dachstuhl Geschichten verschwundener Patienten. Statt gerahmter Familienfotos gibt es Kunstwerke und Bilder berühmter Persönlichkeiten mit psychischen Problemen. Und statt verstaubter Möbelstücke hängen alte Kreuze aus dem klinikeigenen Friedhof an der Wand. Insgesamt sind es fünf Bereiche, darunter ein Gedenkraum für ehemalige Patienten, ein Holzlabyrinth und eine Bildinstallation über die Psychiatriegeschichte.

Mediathek

[SR 3, Isabel Sonnabend, 22.07.2016, Länge: 3:00 Min.]
Audio: Tour de Kultur: Psychiatriemuseum in Merzig
[SR 3, Isabel Sonnabend, 22.07.2016, Länge: 3:00 Min.]

Früher war die Anstalt, 1876 gegründet, eine autarke Stadt. Ein riesiges ummauertes Gelände mit eigener Landwirtschaft, Kirche, eigenem Kraftwerk und Friedhof. Sie gehörte zur preußischen Rheinprovinz und dem Regierungsbezirk Trier. Viele Patienten blieben hier nicht nur Wochen oder Monate, sondern jahrelang, bis zu ihrem Tod. Danach wurden sie auf dem Gelände der Psychiatrie beerdigt. Zu Zeiten der NS-Euthanasie wurden 800 Patienten in andere Anstalten verlegt, nur 80 davon kamen zurück.

Lebenswege rekonstruiert

Einige dieser Lebenswege hat Ralf Schmitt zusammen mit Schülern aus Merzig rekonstruiert. Ihnen ist der kleine, abgedunkelte Gedenkraum am Eingang gewidmet. An der Wand hängen Überbleibsel ihrer Grabkreuze, die auf dem alten Friedhof gefunden wurden. Teils abgebrochen oder verblichen sind auf einigen noch die Namen der Verstorbenen erkennbar. Nun hängen ihre Geschichten auf beleuchteten Tafeln: Wer war dieser Patient, woher kam er und wie lange war er dort?

Psychiatriemuseum in Merzig (Foto: Isabel Sonnabend)

Gegenüber im großen Flur schlängeln sich Seile mit Fotos, Malereien und Texten von der Decke – und sie alle erzählen eine Geschichte aus einem anderen Land. Darin ist der kranke Mensch oft ein Weggesperrter, Verstoßener. Ein paar Meter weiter ist er berühmt und erfolgreich. Unter dem Titel Der kompetente Mensch reihen sich im Flur gerahmte Portraits von bekannten Persönlichkeiten mit psychischen Problemen aneinander. Vincent van Gogh ist dabei, außerdem Berühmtheiten wie Winston Churchill, Edgar Ellen Poe, Virginia Woolf oder Edvard Munch. 

Die Geschichte der Psychiatrie

Wer die Angst und das Leiden der Patienten nachfühlen möchte, betritt das kleine Holzlabyrinth am Ende des Ganges. Während der Betrachter durch die engen Gänge wandert, transportieren Abbildungen von Kunstwerken wie Der Schrei von Edvard Munch oder Der Verzweifelte von Gustave Courbet eine beklemmende Atmosphäre. Fotos an den Wänden erzählen von der Geschichte der Psychiatrie: Was haben die Ägypter mit der Schizophrenie gemacht oder die Römer mit der Depression?

Psychiatriemuseum in Merzig (Foto: Isabel Sonnabend)

Die Anspannung des beklemmenden Labyrinths löst sich am Ausgang. Hier baut sich eine offene Ausstellung auf über die Geschichte des Merziger Klinikums. Es geht um die Zeit während des Krieges, um Geschlechtertrennungen, die erste weibliche Ärztin und die Schließung der Klinik. In den neunziger Jahren wurde die Anstalt aufgelöst und wandelte sich in ein Allgemeinkrankenhaus mit psychiatrischer Abteilung, das noch heute existiert.

Und diese Geschichte soll nicht vergessen werden. So verbirgt sich im Dachstuhl des Merziger Klinikums ein sensibles, unkonventionelles Museum, in dem der Besucher die Geschichte der Psychiatrie nicht nur rational verstehen, sondern auch nachempfinden kann.

Isabel Sonnabend


Kontakt:

SHG-Klinik Merzig
Chefsekretariat Dr. Martin Kaiser
Trierer Straße 148
66 663 Merzig
Tel. (0 68 61) 7 05 17 01
Fax: (0 68 61) 7 05 16 90

Öffnungszeiten:

Es gibt keine regulären Öffnungszeiten; nur nach individueller Absprache mit der Klinik oder Dipl.-Psychologe Ralf Schmitt.

Eintritt:

Der Eintritt ist frei.
Spenden sind willkommen: Sparkasse Merzig-Wadern IBAN: DE11 593 510 400 100 721 836 BIC: MERZ DE 55.

Anfahrt:

Auto: Von Saarbrücken und Luxemburg aus über die A 8, Ausfahrt Merzig; dort in die Trierer Straße einfahren; von Mettlach/Saarlouis kommend über die B 51, Ausfahrt in die Trierer Straße. Bahn: Vom Merziger Hauptbahnhof aus bestehen direkte Busverbindungen zur SHG Klinik. Tipps/Anmerkung: Die ehemaligen Friedhöfe der Anstalt und die angeschlossene Einsegnungshalle sind heute zu einem Veranstaltungsort umfunktioniert. Dort finden in unregelmäßigen Abständen kulturelle Veranstaltungen statt.



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