Blick auf die Völklinger Hütte um 1950 (Foto: Frank Barbian)

Von der Kaiserzeit bis zum Weltkulturerbe

Jimmy Both   12.05.2023 | 09:58 Uhr

Am Wochenende feiert die Völklinger Hütte ihr 150-jähriges Bestehen. 1873 wurde sie von Julius Buch gegründet. Bis heute hat sie wechselhafte Zeiten überstanden. Ein Blick auf 150 Jahre Geschichte.

„Bevor die Hütte gegründet wurde, war Völklingen nur ein Dorf“, erzählt Michael Röhrig. Der Historiker hat zum Umgang Völklingens mit der industriellen Krise promoviert und leitet das Völklinger Stadtarchiv. 1860 zählte die Stadt nach eigenen Angaben noch gut 4000 Einwohner. Ende des 19. Jahrhunderts wuchs die Einwohnerzahl dann schnell. 1900 wohnten bereits fast 20.000 Menschen in Völklingen.

Video [aktueller bericht, 11.05.2023, Länge: 4:00 Min.]
Das Stahl-StartUp von Julius Buch

Anfänge noch ohne Familie Röchling

Die Völklinger Hütte wurde nicht etwa von der Familie Röchling gegründet, die sie später über viele Jahrzehnte prägte. Julius Buch, der bis dahin die Burbacher Hütte geführt hatte, erhielt 1873 die Baugenehmigung für ein Puddel- und Walzwerk.

Video [aktueller bericht, 10.05.2023, Länge: 3:44 Min.]
Erforscht: Die Hütte und ihr Gründer
Der Kunsthistoriker Hendrik Kersten erforscht die Geschichte der Hütte und betont Buchs Verdienste bei der Entdeckung des einzigartigen Standorts.

Buchs Völklinger Zeit dauerte aber nicht lange. Durch den Wegfall von Einfuhrzöllen wurde schottisches Roheisen wesentlich günstiger. 1879 wurde die noch junge Völklinger Hütte wieder stillgelegt und die wenigen hundert Arbeiter entlassen.

Buch zog weiter und wechselte das Geschäftsfeld. Er erwarb ein Weingut bei Metz, auf dem er Sekt produzierte. Das Unternehmen verkaufte er später an die Firma Louis Roederer.

Die Röchlings übernehmen

Es dauerte nicht lange, bis in Völklingen wieder gearbeitet wurde. 1881 kauften die Gebrüder Röchling unter Führung von Carl Röchling die alten Anlagen. Sie schafften es, die Produktion rentabel zu gestalten. „Bis zum Ersten Weltkrieg wird das Ganze zu einem größeren Hüttenwerk mit den Hochöfen, dem Gebläsehaus und der Kokerei“, erzählt Stadtarchivar Röhrig. „Da wurde die Hütte auch zum größten deutschen Eisenträgerhersteller.“ Vor dem Ersten Weltkrieg arbeiteten etwa 5000 Personen auf der Völklinger Hütte.

„Zu dieser Zeit entwickelt sich Völklingen zu einer Stadt“, berichtet Röhrig. „Erst mit diesem Schub kamen viele Leute hierher aus der weiteren Umgebung, aus Lothringen, aus Westfalen. Es entstanden eine städtische Infrastruktur und neue Wohngebiete.“

150 Jahre Völklinger Hütte - Wie alles begann
Audio [SR 2, Jochen Erdmenger, 11.05.2023, Länge: 03:28 Min.]
150 Jahre Völklinger Hütte - Wie alles begann

Unsichere Zeiten zwischen den Kriegen

Nach dem Ersten Weltkrieg trat Carl Röchlings Sohn Hermann die Mehrheit an der Völklinger Hütte dem französischen Staat ab. Es war Teil eines Deals, um sich der Haft in Frankreich zu entziehen. Hermann Röchling und sein Bruder Robert wurden 1919 als Kriegsverbrecher zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Robert blieb bis 1925 in Haft, Hermann flüchtete nach Deutschland.

1922 erhielten die Röchlings wieder die Kontrolle über ihr Werk. Allerdings gehörte es damals nicht zu Deutschland. Das Saargebiet wurde 1920 vom Reich abgetrennt und vom Völkerbund, einem Vorläufer der Vereinten Nationen, verwaltet.

1935 sollten die Menschen im Saargebiet über ihre Zukunft abstimmen. Hermann Röchling widmete sich intensiv dem Kampf um die Rückkehr zu Deutschland. Röchling erwies sich als glühender Anhänger Adolf Hitlers. 1935 stimmte das Saargebiet mit einer Mehrheit von über 90 Prozent für die Rückgliederung an das Deutsche Reich.

150 Jahre Völklinger Hütte: Ausblick auf das Festwochenende
Audio [SR 3, Jimmy Both, 12.05.2023, Länge: 02:27 Min.]
150 Jahre Völklinger Hütte: Ausblick auf das Festwochenende

Krieg und Zwangsarbeit

Röchling und die Hütte reihten sich in die Rüstungsmaschinerie des Deutschen Reichs ein. Während des Zweiten Weltkriegs setzten die Röchlings mehr als 12.000 Zwangsarbeiter aus den von Deutschland besetzten Gebieten ein. 261 von ihnen starben dabei.

Nach Kriegsende wurde die Hütte wieder unter französische Verwaltung gestellt. Hermann Röchling und weitere Mitglieder der Geschäftsleitung wurden in Rastatt zur Rechenschaft gezogen. Sie alle erhielten Haftstrafen. Aus gesundheitlichen Gründen saß Hermann Röchling nur gut zwei Jahre seiner zehnjährigen Haftstrafe ab. Bedingung seiner Entlassung war aber, dass er das Saarland nie mehr betreten durfte. Röchling starb 1955 in Mannheim.

Rückkehr der Röchlings und Wirtschaftswunder

Das Saarland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg erneut von Deutschland abgetrennt. Politisch autonom war es wirtschaftlich eng an Frankreich gebunden. In einem Referendum lehnten 1955 aber etwa zwei Drittel der Saarländer dieses Saarstatut ab. Das Saarland trat 1957 der Bundesrepublik bei.

Schon 1956 erhielt die Familie Röchling die Völklinger Hütte zurück. Hermanns Neffe Ernst Röchling, ebenfalls verurteilter Kriegsverbrecher, leitete das Unternehmen nun.

In der jungen Bundesrepublik erlebte das Werk seine Blütezeit. Mitte der 1960er-Jahre erreichte die Hütte mit 17.000 Mitarbeitern ihre höchste Beschäftigtenzahl. Auch kamen nun wie überall in der Bundesrepublik „Gastarbeiter“ aus Süd- und Südosteuropa. Viele der „Gäste“ blieben dauerhaft. Sie und ihre Nachkommen prägen die Stadt bis heute.

Von der Kaiserzeit bis zum Weltkulturerbe
Audio [SR 3, Jimmy Both, 12.05.2023, Länge: 03:13 Min.]
Von der Kaiserzeit bis zum Weltkulturerbe

Völklingen die schmutzigste Stadt Europas?

Wenn die Schlote rauchten, ging es Völklingen gut. So sahen viele Arbeiter und Einwohner ihre Stadt in der jungen Bundesrepublik. Gesund war das sicherlich nicht. 1958 machte Völklingen Schlagzeilen als „schmutzigste Stadt Europas“. Ob das so stimmte, lässt sich heute nicht mehr überprüfen. Aber sauber war die Arbeit auf der Hütte sicherlich nicht.

Hans-Günter Lavall arbeitete ab 1959 im Kohlenwertstofflabor der Völklinger Hütte. Er erinnert sich an den Arbeitsalltag: „Gestunken hat es immer. Wir haben auch nicht mit weißen Kitteln gearbeitet, sondern mit grauen. Einen weißen Kittel hätte man gleich wegwerfen können.“

Niedergang und Ende

In den 1970er-Jahren erlebte die Bundesrepublik ihre ersten Wirtschaftskrisen. Stiegen die Produktionszahlen in der Stahlbranche wegen vieler Aufträge bis Mitte des Jahrzehnts noch an, kam dann der Einbruch. Schon 1971 fusionierten die Hütten in Völklingen und Burbach. In den 1980er-Jahren entstand durch weitere Fusionen das neue Unternehmen Saarstahl.

Tausende Arbeitsplätze wurden abgebaut. Das Unternehmen entschied, nur noch an einem Standort im Saarland einen Hochofen zu betreiben. Die Wahl fiel auf Dillingen. Der 4. Juli 1986 war für die Mitarbeiter der Roheisenproduktion der letzte Arbeitstag. Die Hochöfen wurden stillgelegt.

Neuanfang als Weltkulturerbe

Was aus den Überbleibseln der Industrieanlage werden sollte, war zunächst ungewiss. Ein Teil der Anlage wurde recht schnell abgerissen. Dort ist heute der Parkplatz der Hütte. Es gab auch Bestrebungen, das ganze Werk abzureißen und auf seinem Boden neue Industrie- und Gewerbeflächen zu errichten.

1994 - Plötzlich Weltkulturerbe! Die alte Völklinger Hütte steht unter dem Schutz der UNESCO
Video [SR.de, Sven Rech, 18.08.2020, Länge: 03:17 Min.]
1994 - Plötzlich Weltkulturerbe! Die alte Völklinger Hütte steht unter dem Schutz der UNESCO

Doch für die alte Völklinger Hütte wurde ein ganz neuer Weg gewählt. Dabei half auch eine im Nachhinein glückliche Fügung. Die Preise für Schrott waren niedrig, ein Abriss wäre kaum rentabel gewesen. Also sollte aus dem Industriedenkmal ein Weltkulturerbe der UNESCO werden. 1994 wurde die Völklinger Hütte dann tatsächlich zum Welterbe ernannt, als erstes Industriedenkmal überhaupt.

150. Jubiläum wird gefeiert

An diesem Wochenende feiert die Völklinger Hütte ihr großes Jubiläum. Aus der alten Eisenhütte ist ein Ort für Ausstellungen und Kulturveranstaltungen geworden. Von ihren 150 Jahren hat die Hütte mittlerweile fast 30 als Weltkulturerbe verbracht.

Ein Festakt mit geladenen Gästen am Freitagabend läutet das Festwochenende ein. Am Samstag und Sonntag gibt es den ganzen Tag über ein kostenloses Besucherprogramm mit verschiedenen Themenführungen, Kunst-Performances, Bands und Kinderprogramm.

Das ganze Jahr 2023 steht im Zeichen des Geburtstags. Im Herbst soll der neugestaltete Eingangsbereich eröffnet werden. Zudem wird eine neue Dauerausstellung zur Geschichte der Hütte zu sehen sein.

Über dieses Thema hat auch SR 2 KulturRadio am 11.05.2023 berichtet.


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