Ottweiler Mietshaus  (Foto: Niklas Resch / SR)

Regierung hat keinen Durchblick bei Steuerausfällen

Linda Grotholt, Niklas Resch   04.08.2021 | 11:19 Uhr

Recherchen von SR und Correctiv über Häuser in Ottweiler haben gezeigt, dass Investoren mit allen möglichen Steuertricks arbeiten. Bei der Frage, wie häufig Konzerne mit überhöhten internen Krediten Gewinne ins Ausland verschieben und so Steuern umgehen, tappt die Bundesregierung aber im Dunkeln.

In der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Linken-Anfrage, die dem SR vorliegt, steht es schwarz auf weiß: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.“ Gefragt hatten mehrere Abgeordnete der Linken im Bundestag, unter anderem der finanzpolitische Sprecher Fabio de Masi. Die Oppositionspolitiker wollten nach der Berichterstattung von SR und Correctiv über Steuertricks bei Immobilien, unter anderem in Ottweiler, wissen: Wie häufig kommen solche Fälle in Deutschland vor? Wie oft gibt es überhöhte konzerninterne Zinszahlungen? Wie viele Steuereinnahmen gehen dem Staat dadurch verloren?

Gewinne in Steueroase verschoben

Der Fall von Ottweiler im Rahmen der Bürgerrecherche „Wem gehört das Saarland?“ hatte vor rund einem halben Jahr gezeigt: Die damaligen Investoren nutzten ein komplexes Firmennetzwerk, um die Mietgewinne aus Deutschland bis in eine karibische Steueroase zu verschieben. Die Firmen hatten sich gegenseitig Kredite mit sehr hohen Zinsen gegeben, teils über acht Prozent. Dadurch waren hohe Kreditraten fällig, die Mietgewinne wurden kleingerechnet und über mehrere Briefkastenfirmen in Luxemburg „weitergeschoben“, bis sie letztendlich auf den Britischen Jungferninseln landeten.

Es ging nicht nur um 40 Wohnungen in Ottweiler, sondern um mindestens 2000 Wohnungen bundesweit. Der genaue Schaden ist unklar, nach SR-Berechnungen dürften dem Staat aber allein durch diese Fälle über die Jahre mehrere Millionen Euro an Steuern entgangen sein. Mittlerweile wurden die Wohnungen an andere Eigentümer verkauft.

De Masi: Finanzministerium ignoriert Steuervermeidung

Für den finanzpolitischen Sprecher der Linken im Bundestag, Fabio De Masi, ist klar: Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. „Firmeninterne Kredite sind bei professionellen Immobilieninvestoren beliebt, um deutsche Mieteinnahmen in Steueroasen zu verschieben.“ Das Problem sei schon lange bekannt.

De Masi und seinen Parteikollegen Friedrich Straetmanns ärgert deswegen, dass die Bundesregierung nicht weiß, wie viele Steuern dem deutschen Staat durch solche Konstrukte verloren gehen. Aus Sicht von Straetmanns „tut das Finanzministerium so, als ob es in Deutschland das Problem der Steuervermeidung durch konzerninterne Kreditvergaben nicht gäbe“. Dabei sei diese Methode nach Schätzungen für rund ein Drittel der Gewinnverschiebungen und damit Steuerausfälle verantwortlich.

Finanzministerium verweist auf „wirkungsvolle Instrumente“

Das Bundesfinanzministerium erklärt seine Unkenntnis mit verschiedenen Gründen. Einerseits verweist es darauf, dass beim Vollzug der Steuergesetze die Bundesländer zuständig seien. Es gebe auch keine statistische Erfassung. Andererseits betont das Ministerium, es gebe für konzerninterne Kredite bereits „wirkungsvolle Instrumente, um diese Verschiebung von Gewinnen zu verhindern“, etwa das Fremdvergleichsprinzip von Krediten. Demnach dürfen Zinsen im Firmennetzwerk nicht höher sein, als Kredite von einer Bank. Sind sie es doch, dürfen laut Gesetz nicht alle Ausgaben vom Gewinn abgezogen werden.

Regelungen kaum durchsetzbar

Aus Kreisen von Steuerfahndern ist jedoch zu hören, dass es in der Praxis fast unmöglich sei, bei solch komplizierten Firmenstrukturen, die über mehrere Länder bestehen, tatsächlich überhöhte Zinsen und damit ein Vergehen nachzuweisen. Auch im Fall Ottweiler haben die bestehenden Regelungen offenbar nicht gegriffen. In Deutschland wurden daher kaum Steuern gezahlt – den Recherchen zufolge landeten die Mietgewinne stattdessen mithilfe von konzerninternen Krediten fast steuerfrei in der Karibik.

Kritik an „verwässertem Gesetzentwurf“

Linken-Politiker De Masi kritisiert, dass in Deutschland ein Gesetzentwurf des SPD-geführten Finanzministeriums auf Druck von Union und Lobbyisten verwässert worden sei. Internationale Konzerne müssten jetzt bei internen Krediten doch nicht nachweisen, dass die deutsche Gesellschaft den Kredit benötige, so wie zwischenzeitlich vorgesehen. Damit riskiere die Bundesregierung sogar ein EU-Vertragsverletzungsverfahren, weil so die Mindestanforderungen für die EU-Richtlinie möglicherweise nicht eingehalten würden.

Frankreich als Vorbild?

Besser hat der direkte Nachbar Frankreich die EU-Richtlinie umgesetzt, findet die Linke. Dort sind die Zins-Regelungen für Konzerne, etwa bei der „Zinsschranke“, deutlich strenger als in Deutschland. Es gibt einen bestimmten Korridor, in dem interne Kredite erlaubt sind, zum Beispiel bis 2,5 Prozent. Sind die Kredite höher, müssen die Konzerne aktiv begründen, warum das so ist.

Linke: „Scholz nicht glaubwürdig“

Laut De Masi war ein solcher Passus ursprünglich auch im deutschen Gesetz geplant, wurde aber gestrichen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) habe sich von der Lobby „weichkochen“ lassen. „Scholz schmückt sich mit der globalen Mindeststeuer, mit der Konzerne wie Amazon in Europa jedoch kaum mehr Steuern zahlen werden.“ Gleichzeitig knicke er bei kleineren Vorhaben ein, etwa wenn es wie bei den konzerninternen Krediten um die Umsetzung europäischer Richtlinien gehe. Als Kämpfer für Steuergerechtigkeit sei Scholz daher nicht glaubwürdig. Auch De Masis  Parteikollege Straetmanns betont, der Finanzminister sei durch seine Politik für „Steuerausfälle in schwindelerregender Höhe“ zuständig.

Über dieses Thema hat auch die SR 3-Rundschau am 04.08.2021 berichtet.

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