Ein Schild "Covid-19" an dem Eingang zu einer Pflegestation eines Krankenhauses. (Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas)

Große Schwächen bei der Hospitalisierungsinzidenz

  27.11.2021 | 18:26 Uhr

Die Hospitalisierungsinzidenz gilt als der neue, wichtigste Maßstab für Corona-Maßnahmen. Doch seit Monaten gibt es Kritik an der Berechnung. Insbesondere zur tagesaktuellen Einschätzung der Lage ist der Wert komplett ungeeignet.

Mitte November haben sich Bund und Länder auf neue Grenzwerte verständigt, ab der strengere Corona-Maßnahmen ergriffen werden sollen. Im Fokus steht dabei die Hospitalisierungsinzidenz. Sie gibt an, wie viele Menschen pro 100.000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage im Krankenhaus aufgenommen wurden.

Kritik bereits seit dem Sommer

Doch bereits seit der Wert erstmals im Sommer veröffentlicht wurde, gibt es Kritik an der Berechnung. SWR-Recherchen hatten zum Beispiel gezeigt, dass der Wert die Zahl der tatsächlichen Klinikaufnahmen unterschätzt. Spiegel.de und Zeit online waren im September in eigenen Auswertungen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.

Ein Hauptgrund: Der Inzidenzwert richtet sich nach dem Meldedatum des positiven PCR-Ergebnisses und nicht nach dem Aufnahmedatum in die Klinik. Wenn beispielsweise eine Person montags positiv getestet wird, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Krankenhaus eingeliefert wurde, taucht sie zunächst nicht in der Statistik auf. Verschlimmert sich der Zustand der Person aber so sehr, dass sie freitags ins Krankenhaus eingeliefert wird, steigt nicht der Inzidenzwert für Freitag. Vielmehr wird nachträglich der Wert von Montag erhöht.

Manche Fälle werden gar nicht erst erfasst

Wird die Person erst am achten Tag oder noch später krankenhauspflichtig, taucht sie in der Hospitalisierungsinzidenz gar nicht auf. Denn mit dem Indikator werden nur Fälle erfasst, die innerhalb eines Sieben-Tage-Zeitraums positiv getestet und auch innerhalb dieser sieben Tage hospitalisiert werden.

Liegezeiten von Patienten nicht berücksichtigt

"Im Grunde genommen ist das ein Wert, der eher nach hinten schaut als wirklich nach vorne", erklärt die Virologin Sandra Ciesek im NDR-Podcast "Coronavirus-Update". Hinzu komme, dass mit der Hospitalisierungsinzidenz auch nicht erfasst werde, wie lange die Patienten im Krankenhaus bleiben und möglicherweise Behandlungskapazitäten binden. "Wir haben zum Teil Menschen, die da über Wochen oder Monate liegen, gerade jüngere, und das wird gar nicht berücksichtigt."

Wie sehr die Hospitalisierungsinzidenz und die tatsächliche Lage in den Kliniken auseinander driften, zeigt ein Vergleich des vom RKI gemeldeten Wertes mit der tatsächlichen Patientenzahl - hier am Beispiel der letzten beiden Novemberwochen im Saarland.

Um die Werte vergleichbar zu machen, wurde die Patientenzahl auf jeweils 100.000 Personen umgerechnet. Diese "Patientenquote" umfasst nicht nur die Neuaufnahmen, sondern die zum jeweiligen Zeitpunkt zeitgleich behandelte Zahl an Covid-Patienten.

Der vom RKI ausgewiesene Wert für das Saarland schwankte in diesen beiden Wochen stets um einen Wert zwischen 3,46 und 3,96 und suggerierte damit eine gleichbleibende Klinikauslastung. Tatsächlich hat sich der Zahl der Covid-Patienten im gleichen Zeitraum aber mehr als verdoppelt.

Keine Rückschlüsse auf regionale Klinikauslastung

Auf eine weitere Problematik weist das RKI selbst hin: Die Daten werden nach dem Landkreis ausgewiesen, der den Coronafall gemeldet hat - und nicht nach dem Landkreis, in dem die Person hospitalisiert wurde. "Das bedeutet, dass die Daten keinen direkten Rückschluss auf die Krankenhausbelegung im jeweiligen Kreis zulassen", heißt es hierzu beim RKI.

Wenn jetzt zunehmend Patienten in andere Bundesländer verlegt werden müssen, büßt der Inzidenzwert also weiter an Aussagekraft ein.

Die Schwächen sind dem RKI bekannt - deswegen wird zum Beispiel mittels eines Vorhersageverfahrens versucht, den zeitlichen Meldeverzug bei der Inzidenz auszugleichen und die tatsächliche Inzidenz abzuschätzen. Aber auch dieser Wert blickt eher auf den Trend der letzten Wochen.

"Tagesaktuelle Schwankungen spielen eine untergeordnete Rolle", heißt es hierzu im wöchentlichen Bericht des RKI, in dem dieser Wert veröffentlicht wird. Zudem erfolgt diese Berechnung nur bundesweit, entsprechende Werte für die Länder liegen bislang nicht vor.

RKI: Immer mehrere Werte gemeinsam betrachten

Das RKI verweist aber auch darauf, dass zu Einschätzung der aktuellen Lage nicht nur die Hospitalisierungsinzidenz betrachtet werden sollte. "Das RKI hat zur Bewertung der Lage nie nur einen Indikator empfohlen, sondern mehrere", teilte das Institut auf SR-Anfrage mit.

"Die Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz gehört zusammen mit der Sieben-Tage-Inzidenz und dem Anteil der COVID-19-Fälle auf Intensivstationen zu den drei Leitindikatoren, die immer gemeinsam betrachtet werden sollen."

Alle wichtigen Kennwerte zur aktuellen Corona-Entwicklung im Saarland aktualisieren wir täglich in unserem Überblick. Einmal wöchentlich gibt es zudem in einer umfangreichen Datenanalyse einen tieferen Einblick in die Daten.

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