2013 - Die Baumarktkette Praktiker meldet Insolvenz an

Jonathan Janoschka   21.12.2020 | 14:44 Uhr

20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung: Der Werbespruch aus der Reklame dürfte vielen, auch lange nachdem die letzten der blau-gelben Filialen geschlossen haben, in Erinnerung geblieben sein. Die saarländische Baumarktkette Praktiker warb so in Zeitungen, im Radio und im Fernsehen um Kunden – bis sie 2013 Insolvenz anmelden musste. Rund 20.000 Beschäftigte in den zuletzt noch etwa 430 Filialen bangten um ihre Arbeitsplätze.

20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung. Über Jahrzehnte waren die zahlreichen saarländischen Knauber und Heimwerker treue Kunden „ihres“ Baumarktes, schließlich gab es im eigenen Haus oder Garten eigentlich immer ein Projekt, das umgesetzt werden wollte. Von neuen Badezimmern über Heizungsmodernisierungen bis hin zum Anlegen von Teichen: Die Menschen im Saarland greifen lieber selbst zu Hammer, Spachtel und Rohrzange, als Profis zu beauftragen.  Begonnen hatte Praktiker allerdings nicht im Saarland, sondern 1978 im luxemburgischen Foetz, unter dem Namen Bâtiself. Weitere Baumärkte in Strassen und Ingeldorf folgten.

Praktikter expandiert in Deutschland rasant

Hinter den neuen Baumärkten steckte die ASKO Deutsche Kaufhaus AG aus Saarbrücken. Die Aktiengesellschaft ging aus dem genossenschaftlichen Allgemeinen Saarkonsumverein Saarbrücken hervor, der 1946 gegründet worden war. Durch den gemeinschaftlichen Auftritt wollten die in dem Verein organisierten Einzelhändler bei der Gründung zum Beispiel günstigere Preise im Einkauf erzielen oder eigene Produktionsstätten wie Bäckereien betreiben. 1972 wurde aus der Genossenschaft eine AG.

In Deutschland expandierte Praktiker rasant, kaufte die Baumärkte von Wettbewerbern wie BayWa, Wickes oder Real. Bereits in den 1980er Jahren setzte die saarländische Baumarktkette auf Discounter-Preise, später auf die Expansion ins Ausland: Bis heute werden etwa in Griechenland oder in der Ukraine Praktiker-Baumärkte zwar von neuen Besitzern aber unter altem Namen weiterbetrieben.

Wirtschaftskrise wegweisend für Praktiker

1996 fusionierte der Praktiker-Eigentümer ASKO AG mit der Metro AG. Bei Praktiker ging der Expansionskurs auch im Metro-Konzern weiter. 2007 wurde die Baumarktkette Max Bahr mit ihren 77 Filialen und etwa 3.200 Beschäftigten übernommen. Praktiker wollte mit dem Zukauf von Max Bahr auch Kundinnen und Kunden abseits des Discounter-Bereichs ansprechen und gleichzeitig den eigenen Marktanteil in Deutschland ausbauen.

Ab 2009 machte diesen Plänen aber die Wirtschaftskrise ((//die Weltfinanzkrise)) einen Strich durch die Rechnung. Zugleich zog das auf Rabatte und Sonderangebote ausgelegte Preiskonzept nicht mehr genug Käuferinnen und Käufer an. Praktiker beantragte als erstes deutsches Einzelhandelsunternehmen die Genehmigung, Kurzarbeit einführen zu dürfen. Gleichzeitig wurde ein strikter Sparkurs verordnet. Die Aktiendividende wurde reduziert, ein Einstellungsstopp verhängt und die Beschäftigten verzichteten auf Gehaltserhöhungen.

Verluste ab 2009

Es folgten zahlreiche Wechsel im Vorstand und im Aufsichtsrat, verschiedene Versuche, an Geld zu kommen, scheiterten aber. Ein Umzug der Konzernzentrale von Kirkel nach Hamburg wurde beschlossen. Die Maßnahmen zeigten keinen Erfolg. Zwischen 2008 und 2012 sank der Umsatz von Praktiker von rund 3,9 Milliarden auf nur noch rund drei Milliarden Euro.

Statt Gewinn machte das Unternehmen ab 2009 Verluste. Die erreichten 2011 die Summe von 375 Millionen Euro. Der Vorstand sprach vom schlechtesten Geschäftsjahr seit dem Börsengang 2005 und setzte einen Sanierer ein, der das Unternehmen wieder auf Kurs bringen sollte.

Marktschließung kann nicht mehr verhindert werden

Es folgten Änderungen am Konzept, mit dem Ziel, mehr Qualität und Service zu bieten, Marktschließungen und weitere Einschnitte bei den Beschäftigten.

Den Abstieg konnte das aber nicht mehr stoppen. Das Unternehmen kam aus den Verlusten nicht mehr heraus. Anfang 2013 zeigte zwar das „Umflaggen“ der Filialen von Praktiker auf Max Bahr erste Erfolge; der Umsatz des Gesamtunternehmens ging aber weiter zurück. Die saarländische Landesregierung versuchte zu helfen und Jobs im Saarland zu erhalten und kaufte schließlich die Praktiker-Zentrale in Kirkel für fast 10,5 Millionen Euro. Im Gegenzug versprach die Baumarktkette, in der ehemaligen Zentrale weiterhin Arbeitsplätze zu belassen Praktiker rettete all das aber nicht mehr.

Am 12. Juli 2013 stellte der Vorstand der Praktiker AG beim Amtsgericht Saarbrücken den Insolvenzantrag. Bald folgte auch das Tochterunternehmen Max Bahr in die Insolvenz.

Während nach Investoren gesucht wurde, die das Unternehmen noch retten könnten, verlor die Praktiker-Aktie an Wert. Das Warenangebot in den Filialen wurde teils nicht mehr aufgestockt, weil Lieferanten auf ihr Geld warteten. Kreditversicherer kündigten die Zusammenarbeit mit der Baumarktkette auf.

Im August 2013 wurde beschlossen, über 50 Baumärkte zu schließen, etwa 1.500 Menschen verloren ihre Jobs. Als Anfang September die Frist für mögliche Investoren auslief, wurde endgültig klar: Praktiker steht vor dem Aus und wird zerschlagen.

In den etwa 130 Märkten wurden die verbliebenen Waren abverkauft, für die noch über 5.000 Beschäftigten eine Transfergesellschaft eingerichtet. Am 1.Oktober begann das Insolvenzverfahren. Mitte November scheiterte auch die Rettung der verbliebenen 70 Max-Bahr-Märkte durch Globus. Es folgte der Abverkauf einzelner Märkte an ehemalige Konkurrenten wie Hornbach oder Hagebau.

Ende 2013 nahm die saarländische Justiz Ermittlungen gegen acht ehemalige Praktiker-Vorstände auf, nachdem eine Anzeige wegen Insolvenzverschleppung einging. Vier Jahre später wurden die Ermittlungen eingestellt – ohne Prozess. Ein strafrechtliches Verhalten der Beschuldigten konnten die Ermittler nicht feststellen. Lieferanten, Aktionäre und Anleihegläubiger saßen wegen der Insolvenz dagegen auf einem Schaden von rund drei Milliarden Euro – und wären sicherlich froh gewesen, sie hätten zumindest noch 20 Prozent von allem bekommen.

Warum Tiernahrung von den Praktiker-Rabatten aus der Werbung ausgenommen war, ist übrigens leicht erklärt: Als das Unternehmen seinen Werbeslogan startete, gab es auf Tiernahrung noch eine Preisbindung – ähnlich wie bei Büchern. Rabatte auf Hundekekse, Fischmehl und Katzenfutter waren – zumindest damals - noch nicht erlaubt.

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