Victor Lenz - Mundartautor, Schauspieler und Leiter der SR- Mundartbühne - hier mit seinem Sohn Peter (Foto: SR)

Victor Lenz – Leiter der SR-Mundartbühne

„Soeben hat’s zum drittenmal geklingelt ...“

 

Saarländische Mundart hat beim Saarländischen Rundfunk eine lange Tradition. Genau genommen, begann sie schon 1934 – ein Jahr bevor es das Radio an der Saar überhaupt gab. „Reichsweit“ populär wurde sie dann beim Reichssender Saarbrücken, war auch beim französisch beeinflussten Radio Saarbrücken ein wichtiger Teil des Programms und wird heute beim SR in Radio und Fernsehen weiter gepflegt. Über drei Sender-Epochen hinweg ist damit ein Name eng verbunden – der von Victor Lenz.

Von Frank Rainer Huck

Victor Joseph Nicolaus Lenz wurde am 6. Dezember (daher auch sein 3. Vorname) 1899 im saarländischen Lebach-Landsweiler geboren, das damals in der preußischen Rheinprovinz lag. Victor wuchs aber in Neunkirchen auf. Sein Vater war Lehrer, und auch er sollte zunächst Lehrer werden. Wegen seines Zeichentalents besuchte er nach seinem Schulabschluss die Kunstakademie in Kassel und war nach dem Ende seines Studiums von 1927 bis 1930 als Sport- und Zeichenlehrer in Neunkirchen, danach in Saarbrücken-Malstatt tätig. Nach den Erzählungen seines Sohnes Peter Lenz hat Vater Victor in dieser Zeit auch bei Borussia Neunkirchen Fußball gespielt. Und der SR-Toningenieur Ernst Becker erinnert sich noch lebhaft daran, 1935 in der Knabenmittelschule in Malstatt bei Victor Lenz Zeichenunterricht gehabt zu haben.

Schon als 10-Jähriger, als „Besitzer eines Kaperltheaters”, entwickelte Lenz einen Hang zur Schauspielerei, der sich am Schultheater des Realgymnasiums in Neunkirchen fortsetzte und ihn sein Leben lang nicht mehr losließ. 1932 schrieb er seine ersten Stücke in saarländischer Mundart, wie man vielerorts lesen kann. Vermutlich waren dies zunächst Sketche und kurze Szenen für zwei oder drei Sprecher. Anfang der 30er-Jahre lernte Lenz den Schauspieler und Sänger Fritz Weissenbach kennen. Weissenbach war schon seit 1930 mit seiner nach dem Vorbild der „Comedian Harmonists” gegründeten Vokalgruppe „Saar Singer” weit über die Landesgrenzen des damaligen Saargebietes hinaus erfolgreich aufgetreten. In seinem „Fundstück” über Gustav Kneip bestätigt Karl-Heinz Schmieding die schauspielerische Zusammenarbeit der beiden: „Bereits auf der Funkausstellung 1934, von wo ,Propagandasendungen zur Vorbereitung der Saarabstimmung ausgestrahlt wurden‘, hatte Kneip Victor Lenz und Fritz Weissenbach kennengelernt und erlebt, wie die beiden mit Szenen in saarländischer Mundart viel Beifall bekamen.“

Ab 1934 also agierte Victor Lenz neben seiner Tätigkeit als Lehrer auch als Rundfunksprecher. Zusammen mit seinem Bruder Hermann Lenz wurde er von Dr. Adolf Raskin als Dialektsprecher und -autor an den Frankfurter Sender engagiert. Der Nationalsozialist Raskin war von Joseph Goebbels, dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, mit der Leitung der Saarkampfzentrale des Deutschen Rundfunks in Frankfurt/Main beauftragt worden. Victor Lenz trat ein Jahr später in die NSDAP ein. Ebenfalls seit 1935 gehörte er der SA als Sportreferent an, zuletzt im Rang eines Sturmführers. Die „Sturmabteilung“ (SA) war eine paramilitärische nationalsozialistische Hilfsorganisation. Das Propagandaministerium versprach sich aus guten Gründen von der mundartlichen Ansprache der Saarbevölkerung einen positiven Effekt auf die bevorstehende Abstimmung am 13. Januar 1935.

Gardlo, Victor Lenz, Slesina, Hermann Lenz (Foto: Fritz Mittelstädt/Saarbrücker Stadtarchiv)
Heinrich Gardlo (Reichssender Saarbrücken/Verwaltung), Victor Lenz („Hörspieler“ beim Reichssender Saarbrücken), Horst Slesina (Zeitfunkchef beim Reichssender Saarbrücken) und Hermann Lenz. Aufgenommen nach 1935 (v. l.).

Zum 70. Geburtstag von Victor Lenz am 6. Dezember 1969 erinnerte die Saarbrücker Zeitung an diese Anfänge: „Der 2. Mai 1934 sollte zu einem ,historischen Datum‘ werden. An diesem Tag wurde von Frankfurt aus das erste Hörspiel in saarländischer Mundart über alle deutschen Sender ausgestrahlt. ... Victor Lenz: ,Das war die Geburtsstunde unserer Mundartbühne‘.“ (Saarbrücker Zeitung vom 6./7. 12. 1969 mit der Überschrift: „,Erfinder‘ der Mundartbühne. Victor Lenz wird am heutigen Samstag 70 Jahre alt.”)

Wie überwältigend mehrheitlich gewollt, kamen die Saarländer nach der Abstimmung „heim ins Reich“ und erhielten bereits 11 Monate später, am 4. Dezember 1935, ihren ersten eigenen Sender. Gustav Kneip, seit November 1934 als Leiter der Abteilung Unterhaltung beim Reichssender Köln tätig, wurde im Februar 1937 damit beauftragt, beim Reichssender Saarbrücken auch eine Abteilung Unterhaltung aufzubauen. Einzelheiten zu Kneips Rundfunkkarriere lassen sich in dem bereits genannten „Fundstück” von Karl-Heinz Schmieding nachlesen. Kneip jedenfalls holte den als Mundartautor ausgewiesenen Victor Lenz und den Mundartsprecher Fritz Weissenbach zum Saarbrücker Reichssender und machte die beiden „zu den Hauptakteuren einer neuen, auf das Saarland ausgerichteten heiteren Sendung, ähnlich wie der Kölner ,Frohe Samstagnachmittag‘.“ (Schmieding, a. a. O.)

Das Gautheater auf einer alten Postkarte (Foto: SR)
Das Gautheater Saarbrücken – ein Führergeschenk nach der Rückgliederung.
Salondame Margot Schönberger (Foto: Peter Lenz)
Die Schauspielerin Margot Schönberger als Salondame – erst Kollegin, dann Frau von Victor Lenz.

Das war die Geburtsstunde von „Sperlings bunter Bühne“, mit der der Name Victor Lenz nun für immer verknüpft sein sollte. Der ebenfalls für den Kölner Sender tätige Autor Theo Rausch entwarf unter dem Pseudonym Till Wippchen eine Rahmenhandlung für vier Personen, die als Akteure einer Wanderbühne fungieren sollten und Raum ließen für eingestreute Sketche, Musikeinlagen und Auftritte von bekannten Gesangssolisten. Die Rolle des „Direktors August Sperling“ war für Victor Lenz konzipiert, sein Faktotum „Fridolin, der Mann mit den guten An- und Aussichten“ wurde Fritz Weissenbach auf den Leib geschrieben. Es fehlte nun die Besetzung der Rolle der „Frau Direktor Eleonore Sperling, geborene Knürzenich“, wie sie in der ursprünglichen Fassung noch hieß (vermutlich in Anlehnung an die bekannte Kölner Patrizierfamilie Gürzenich und die von ihr gestiftete gleichnamige Festhalle). Für diese Rolle hatte Victor Lenz die Berliner Schauspielerin Margot Schönberger erkoren, die nach diversen Engagements an deutschen Bühnen gerade zum 1938 neu eröffneten „Gautheater Saarpfalz“ nach Saarbrücken verpflichtet worden war.

Es gelang Lenz, die damals 33-jährige Schauspielerin zu überreden, ihr festes Bühnenengagement als „mondäne Salondame“ aufzugeben und stattdessen als freie Rundfunksprecherin „Frau Direktor Sperling“ zu werden. Im Oktober 1940 wurde sie auch im wirklichen Leben seine Frau. Den noch fehlenden „Sohn“ des Direktorenehepaars Sperling fand Lenz in einem seiner Schüler von der Knabenmittelschule in Malstatt, wie sich Ernst Becker erinnert. Er hieß Edmund Lorenz.

Das Ensemble war also beisammen, „Sperlings bunte Bühne“ konnte auftreten, und das geschah erstmals am 23. Juli 1938 in Bad Dürkheim. Der Reichssender Saarbrücken übertrug diese öffentliche Veranstaltung live, allerdings noch unter dem Sendereihentitel „Froher Funk für alt und jung“. Nach den Programmankündigungen der Tageszeitungen blieb dies auch noch so, bis es am 15. Oktober 1938 erstmals hieß: „16.00 [bis 18.00] Uhr aus Völklingen: Froher Funk für alt und jung! Sperlings bunte Bühne mit den Saarbrücker Rundfunkspatzen.“ (Saarbrücker Zeitung, Samstag 15.10.1938).

Rundfunkspatzen, zivil (Foto: Peter Lenz)
Die komplette Radio-Familie „Sperling“ (v. l.): Direktor Sperling (Victor Lenz), Sohn Edmund (Lorenz), Frau Direktor Eleonore Sperling (Margot Schönberger), Fridolin (Fritz Weissenbach).

Im selben Jahr 1938 stellte die SA Lenz „zur besonderen Verwendung“ von seiner Arbeit als Sportreferent frei. Der Grund war laut Viktor Lenz: Er habe sich seit 1938 „zu sehr als Rundfunkkomiker (Sperlings Bunte Bühne) betätigt(e)“.

Von 1938 an war „Sperlings bunte Bühne“ ein fester Begriff im Rundfunkprogramm der Samstagnachmittage, und die „Saarbrücker Rundfunkspatzen“ zwitscherten nicht nur im Saarbrücker Sender sondern auch in allen übrigen Reichssendern, die diese erfolgreiche Veranstaltungsreihe nach und nach übernahmen.

Dass wir heute wieder viel über die diese Sendung wissen, verdanken wir Peter Lenz, dem Sohn von Victor. Er hat die Manuskripte seines Vaters aufbewahrt und 2018 dem SR zur Verfügung gestellt. Ton-Dokumente aus den ersten gut 10 Jahren der Sendungsgeschichte sind nicht überliefert – wenn es sie denn überhaupt gab. Und auch die Texte fanden sich nicht mehr in den Archiven.

Etwa alle drei bis vier Wochen trat „Direktor Sperling“ mit seiner Truppe an unterschiedlichen Orten des Sendegebietes auf. Er bestritt das zweistündige Programm allerdings nicht alleine, sondern immer in Begleitung eines Orchesters und eines oder mehrerer Gesangs- und Instrumentalsolisten. Der Ablauf folgte einem ganz bestimmten Schema. Zunächst spielte das Orchester ein Instrumentalstück, dann folgten ein Tusch und der Auftrittsmarsch der Rundfunkspatzen mit ihrem Gesang:

„Ei, wer kommt denn da? Ei, wer kommt denn da? Trari – Trari – Trara! Die Spatzen kommen da! Die Spatzen kommen da! Und bringen euch zwei Stunden Frohsinn in das Haus, und jagen alle Grillen schnell zum Tor hinaus. Die Spatzen, die sind da! Die Spatzen, die sind da!“ 

Theo Rausch alias Till Wippchen verfasste das Rahmenmanuskript fast immer mit Bezug auf den jeweiligen Auftrittsort. Das war die sogenannte „Spatzenfibel”. Da er allerdings mit der saarländischen Mundart, die die „Spatzen“ bis auf „Frau Direktor Eleonore Sperling“ sprachen, nicht richtig vertraut war, musste Victor Lenz die Manuskripte regelmäßig überarbeiten. Es folgten nun verschiedene heitere Szenen, die damit endeten, die jeweiligen Gastsolisten oder Instrumentalstücke vorzustellen und anzusagen. Diese Sketche schrieb meist Victor Lenz selbst, manchmal waren es aber auch andere Autoren. Zum Ende des Programms spielte „Sperlings bunte Bühne“ dann jeweils zwei oder drei „Theaterstücke“, die in den vorangegangenen Szenen schon reichlich diskutiert und geprobt worden waren und dann immer mit dem weithin bekannten „Klingellied“ eingeleitet wurden:

„Soeben hat’s zum dritten Mal geklingelt, jetzt wird es aber allerhöchste Zeit! Gleich geht es los und du bist abgewimmelt. Dann stehst du da und tust dir selber leid.“

Fritz Weissenbach, der das „Klingellied“ sang, stellte dann das kommende „Theaterstück“ und die auftretenden Personen vor. Die Stücke selbst trugen Titel aus dem klassischen Schauspiel-, Operetten- oder Opernrepertoire, weil „Frau Direktor Sperling, geborene Bitterklee“ (wie sie dann von Beginn an hieß) nicht müde wurde, immer wieder zu betonen, „Sperlings bunte Bühne“ sei ein „seriöses Unternehmen“. Hinter diesen Titeln mit bürgerlichem Bildungsanspruch verbargen sich dann aber handfeste Parodien. So war zum Beispiel „Der Widerspenstigen Zähmung“ ein Stück über die „Befreiung“ eines Mannes aus der Tyrannei seiner Ehefrau, oder aus dem „Freischütz“ wurde eine Fußballplatzreportage. Unter dem späteren Titel „Der Fußballfanatiker“ war das übrigens eine der meistgespielten Rollen von Victor Lenz, wie sich Margot Schönberger in einem Fernsehinterview erinnerte.

Häufig brachte „Direktor Sperling“ auch ganz aktuelle Produktionen auf seine Bühne. So zum Beispiel „Tanz auf dem Vulkan“ in der Vorstellung am 14. Januar 1939 in Zweibrücken, ein Stück, das den gerade aktuellen gleichnamigen Film mit Gustav Gründgens und Theo Lingen parodierte, der am 30. 11. 1938 Premiere hatte. Oder am 15. April 1939 in Kaiserslautern die Szene „Bel ami“ mit Bezug auf den Willi-Forst-Film, der wenige Wochen zuvor in die Kinos gekommen war und im April gerade im Saarbrücker Ufa-Palast gespielt wurde. Ein Sonderfall war die abendliche Ringsendung der Reichssender am 1. April 1939. An diesem Abend hörte man im Radio die Uraufführung „Sechs Bühnen spielen einen Autor! Ein heiter-tragischer Querschnitt durch das Musikschaffen der Schauspielbühnen in der Westmark.“ (Saarbrücker Zeitung, 1. 4. 1939). Der gespielte Autor hieß Curt Goetz, das gespielte Stück „Napoleon ist an allem schuld“, und mit dabei natürlich „Sperlings bunte Bühne“ und ihre mundartliche Version dieser Komödie.

Filmplakat „Bel ami“ (Foto: SR)
Kinoplakat des Spielfilms „Bel ami“ (1938) mit Willi Forst in der Hauptrolle.

Politische Inhalte oder Nazi-Propaganda findet man in den Manuskripten von „Sperlings bunter Bühne“ nicht. Die populäre Unterhaltung sollte Hörer an den Sender binden (und damit auch an die Propaganda-Sendungen) – war selbst aber politikfreie Zone.

Mit ihren heiteren Szenen waren die „Saarbrücker Rundfunkspatzen“ auch beliebte Gäste auf anderen öffentlichen Veranstaltungen. So zum Beispiel als Einlage zu einem „Bunten Abend aus der Wartburg“, der am 8. Oktober 1938 vom Reichssender Saarbrücken übertragen wurde, oder am 14. Januar 1939 bei einer „Erinnerungsfeier der Partei“ an die Saarabstimmung unter dem Titel „Schlag auf Schlag. Große Rundfunkrevue 1938/39.“, ebenfalls live aus der „völlig ausverkauften Wartburg“ übertragen. Die Saarbrücker Zeitung  schrieb damals dem Anlass entsprechend in militärischem Tonfall: „Hans Fahrenburg, Edmund Kasper und ,Direktor Sperling‘ führten ihre Mannschaften zum Erfolge. ... ,Sperlings bunte Bühne‘ fuhr mit kräftigem Geschütz auf und eroberte im Sturm die Stellung.“ (Saarbrücker Zeitung, 15. 1. 1939).

Achteinhalb Monate später fuhren wirklich kräftige Geschütze auf, der Zweite Weltkrieg begann, und der Reichssender Saarbrücken musste seine Sendungen einstellen. Zunächst zum letzten Mal spielte „Sperlings bunte Bühne“ am 12. August 1939 in Saarlautern, wie Saarlouis damals umbenannt worden war. Dann folgte die Evakuierung der saarländischen Bevölkerung, und Victor Lenz wurde, laut seinem eigenen Lebenslauf, am 26. 8. 1939 als Unteroffizier in die Kraftfahr Ersatz Abteilung 12 der Wehrmacht eingezogen. Die Reichs-Propagandazentrale aber konnte auf volkstümliche Unterhaltung im Radio nicht verzichten und wollte die zwangsweise im „Reich“ verteilten Saarländer mit heimatlichen Klängen versöhnen. Victor Lenz bekam Sonderurlaub, um mit „Sperlings bunter Bühne“ am 28. Oktober 1939 im Berliner Rundfunkhaus ein weiteres Mal für eine Ringsendung auftreten zu können. Auch von dieser Sendung ist das Manuskript erhalten. Es trägt in der Handschrift von Victor Lenz die Nummer 23.

Titelseite des Original-Manuskripts von „Sperlings Bunter Bühne“ vom 28. Oktober 1939 aus Berlin. (Zum Vergrößern bitte anklicken)

Das aber war nicht der letzte Auftritt der „Saarbrücker Rundfunkspatzen” während des Krieges. So kündigte die „NSZ Rheinfront“ am Freitag, den 15. März 1940, für den folgenden Samstag einen Bunten Nachmittag „für die Grenzabwanderer aus der geräumten Saarpfalz“ im Saalbau in Frankfurt an. Es wirkten mit „die Saarbrücker Rundfunkspatzen, das große Orchester des Reichssenders Frankfurt unter Leitung des 1. Kapellmeisters des Reichssenders Saarbrücken, Albert Jung, ... Maria Fougner und der Westmarkpreisträger Fritz Neumeyer an zwei Flügeln, die Saarbrücker Rundfunktante Käthe, Ferdi Welter vom Reichssender Saarbrücken und andere mehr.“ (a.a.O.) Ein Aufgebot vieler bekannter Künstler des Saarbrücker Senders also, zur Unterhaltung der „Grenzabwanderer“, wie die zwangsweise evakuierte Saarbevölkerung nun euphemistisch genannt wurde.

Tante Käthe und die Rundfunkkinder (Foto: SR)
Die „Rundfunktante“ Käthe Glaser mit ihren Rundfunkkindern.

Weitere Auftritte von „Sperlings bunter Bühne“ sollten folgen. So brachte die gleiche Zeitung bereits am 14. März 1940 folgende Meldung: „Kassel, 14. März. Wie Sendeleiter Ruster vom Reichssender Saarbrücken gelegentlich des hiesigen Heimatabends am Sonntag bekannt gab, wird ,Sperlings bunte Bühne‘ voraussichtlich Ende April zu einem Gastspiel nach Kassel kommen. Diese Nachricht hat natürlich in der kurhessischen Grenzabwanderer-Gemeinde große Freude ausgelöst. Die Gaubetreuungsbehörde wird nichts unversucht lassen, den beliebten saarländischen Künstlern einen Besuch bei ihren Landsleuten im Bergungsgebiet zu ermöglichen.“ („Sperlings bunte Bühne in Kassel“, NSZ Rheinfront, 14. 3. 1940).

Andere Auftritte der „Rundfunkspatzen“ im „Reich“ sind bislang nicht nachweisbar, wohl aber der „Frohe Nachmittag mit Sperlings Bunter Bühne“, der am 11. August 1940 in der Saarbrücker Wartburg für die „rückgeführte Bevölkerung“ veranstaltet wurde. Tags drauf schrieb die Saarbrücker Zeitung: „Der Spatzenmarsch hüpfte flott über die Instrumente. Ferdi Welter als Ansager schmetterte noch ein ,Sie kumme, sie sinn widder dò‘ den Ankommenden entgegen, da rauschte schon die Frau ,Direktor‘ herauf, ihr nach der unbeschreiblich dumme Fridolin. Da waren sie also, hatten aber die Hälft’ und die Hauptsach’ vergessen, nämlich den ,Babbe‘, der, wie Ferdinand Welter in Vertretung von Victor Lenz sehr versöhnlich auszudrücken wusste, irgendwo als Feldwebel jetzt im Geist bei seiner Sperlingsfamilie weilt, die an diesem Nachmittag nun die ,ganz Sach’ ohne ihn drehe‘ musste.“ (Saarbrücker Zeitung, 12. August 1940).

Victor Lenz indessen wurde am 2. 3. 1941 „UK“ (unabkömmlich) gestellt, also aus der Wehrmacht entlassen. In seinem Lebenslauf nennt er einen Erlass für Teilnehmer des Ersten Weltkriegs als Grund dafür. Er trat „als Humorist dann in verschiedenen deutschen Städten auf und wurde in dieser Eigenschaft auch für die Truppenbetreung eingesetzt“ (Lenz). Mit sechs anderen Berliner Unterhaltungskünstlern wurde er als „Frontbühne Lenz“ zur als „Greif-Division“ bekannten 122. Infanterie-Division an die Front in Estland und Karelien geschickt. Von diesem Einsatz, der vom 12. Juni bis zum 17. Juli 1944 dauerte, existiert ein unglaublich naiver Bericht einer Berliner Journalistin, die als Vortragskünstlerin diesem Ensemble angehörte. Wenn man bedenkt, dass in diesem Sommer die Schlacht um Stalingrad längst verloren war und die Invasion bereits begonnen hatte, dann muten einen die Schilderungen dieser Auftritte, oft nur 20 km von der russischen Front entfernt, begleitet von Geschützdonner und Tieffliegerangriffen, wie Märchen aus einer anderen Welt an. Aber so sollten sie zur Entspannung und Erholung ja wohl auch auf die Soldaten wirken. Am 1. August 1944 wurde Lenz wieder zu seiner Kraftfahrersatzkompanie in Kaiserslautern zurückbeordert. Bei Kriegsende geriet er am 14. 4. 1945 im Elsass im Gebiet des Haguenauer Forstes in amerikanische Kriegsgefangenschaft (bis zum 23. 7. 1945).

Peter Lenz und Frank Rainer Huck (Foto: Frank Rainer Huck)
Fundstück-Autor Frank Rainer Huck im Gespräch mit Peter Lenz.

Nach Kriegsende wohnte Familie Lenz – im September 1941 war Sohn Peter geboren worden – zunächst in Ziegelhausen bei Heidelberg. Als Maler und Bühnenausstatter verdiente er den Lebensunterhalt für seine Familie bis er 1947 wieder eine Auftrittslizenz bekam. Zurück ins Saarland durfte Lenz aber nicht, bevor er dort ein „politisches Säuberungsverfahren“ (der Section Epuration Administrative) durchlaufen hatte. In dem Verfahren erklärte Lenz, „er sei innerlich stets ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen und habe vor 1933 der Deutschen Friedensgesellschaft als Mitglied angehört“ und sei insofern „auch tatsächlich ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen“.

Am 15. September 1949 stufte ihn die 1. Kammer des Obersten Säuberungsrates in Saarbrücken in einem „Sühnebescheid“ als „Mitläufer“ ein. „Sühnemaßnahmen“ gegen ihn wurden nicht verfügt. Er habe „die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nicht mehr als unwesentlich unterstützt“. Damit war für die Familie Lenz im Herbst 1949 der Weg frei zurück nach Saarbrücken.

Mit seinem Sohn Peter hat Victor Lenz über seine NSDAP-Mitgliedschaft nie gesprochen, er habe sie wohl „verdrängt“. Ein Landschaftsgemälde von Neustadt an der Weinstraße, das ihm NS-Gauleiter Joseph Bürckel (1935/1936 „Reichskommissar für die Rückgliederung des Saargebiets“) geschenkt hatte, hing auch nach dem Krieg noch in seiner Wohnung.

Schon am 1. März 1950 konnte Lenz seine alte Tätigkeit beim Saarbrücker Sender wieder fortsetzen, zunächst als Sprecher bei Mundarthörspielen, ab 1954 dann als „Erster Programmgestalter mit besonderen Aufgaben Mundart/Hörspiel“ (Stellenplan von 1959).

Mit diesen Aufgaben betraut ging er daran, bei Radio Saarbrücken regelmäßige Sendungen in saarländischer Mundart einzuführen. Dabei halfen ihm anfangs die alten Manuskripte von „Sperlings bunter Bühne“, aus denen er einzelne Szenen oder Szenenreihen wiederverwendete. Bekannt wurden zu Beginn der 50er Jahre seine Vater-und-Sohn-Geschichten, in denen nun wirklich Vater und Sohn auftraten, nämlich Victor Lenz mit seinem Sohn Peter. Von dieser Sendereihe sind rund 20 Manuskripte erhalten geblieben, und man kann in der pfiffigen Art, mit der Sohn Peter seinen Vater regelmäßig „aufs Kreuz“ legte, durchaus einen Vorläufer der in den 70er Jahren so erfolgreichen Serie „Papa, Charly hat gesagt“ erkennen.

„Vater und Sohn“ sprachen allerdings in Mundart, und dieser Dialog-Reihe sollten bald andere folgen. Eine Variante waren die Gespräche zwischen „Opa und Bub“, und mit den Sketchen um einen Straßenjungen namens „Paulchen Knippel” wurde der damals 11- bis 12-jährige Peter Lenz so bekannt, dass er in der Schule diesen Spitznamen erhielt, wie sich Peter Lenz heute noch erinnert.

Dann gab es die „Sprenzpfeffereien“ (Autor: Emil Schäfer), lustige Gespäche über Alltagsprobleme zwischen „Sprenz“ alias Victor Lenz und „Pfeffer“ alias Fritz Weissenbach. Und da waren die „5 Schwaduddler” mit Victor und Margot Lenz, Gerdi und Fritz Weissenbach sowie Werner Wiedemann zu hören, eine Reihe, von der ebenfalls einige Manuskripte erhalten sind, leider aber keine Tonaufnahmen. Nicht zu vergessen natürlich die zahlreichen Dialekt-Hörspiele, die Victor Lenz entweder selbst verfasste oder als Sprecher darin mitwirkte.

Sein berühmtestes Dialekthörspiel ist zweifellos „Das Scheesewänche”, das Lenz bereits 1936, vermutlich für den Reichssender Frankfurt geschrieben hatte. Es wurde vom Saarländischen Rundfunk zweimal nachproduziert, das erste Mal 1957 unter Mitwirkung und Regie von ihm selbst.

Ebenfalls noch aus den 30er Jahren stammt das als Manuskript überlieferte Hörspiel „Alles wegen ‘nem Kragenknöppche oder Die Tücke des Objekts“.

Irgendwann aber wollte und musste Victor Lenz noch einmal an den Erfolg von „Sperlings bunter Bühne“ anknüpfen. Die Gelegenheit dazu bot sich zum 50-jährigen Großstadtjubiläum von Saarbrücken. Innerhalb der Festwoche im Juni 1959 gratulierte der Saarländische Rundfunk am 25. Juni im großen Festzelt an der Alten Brücke mit „Sperlings bunter Bühne“. Vorangegangen war bereits am 22. Juni „eine Veranstaltung der Saarländischen Mundartbühne unter Leitung von Victor Lenz.“ (Saarländische Landeszeitung, 20./21. 6. 1959).

Höhepunkt der Festwoche aber war laut der Saarbrücker Zeitung der „Sperlings bunte Bühne“-Abend des Saarländischen Rundfunks mit einem absoluten Zuschauerrekord, „denn die 2500 Sitzplätze waren schon so frühzeitig besetzt, dass die Polizei vor 20 Uhr das Zelt sperren musste. ... Und sehr oft wurde im Laufe des Abends der Wunsch laut, dass es nicht bei einer ,Eintagsfliege‘ bleiben möchte.“ (Saarbrücker Zeitung, 27. 6. 1959).

Dieser Wunsch ging in Erfüllung, denn anlässlich der „Deutsch-Französischen Gartenschau“ traten die „Saarbrücker Rundfunkspatzen“ ein Jahr später, am 21. Mai 1960, noch einmal in der Wartburg auf. Von der alten Besetzung mit Victor Lenz, Margot Schönberger und Fritz Weissenbach musste nur der Sohn „Edmund“ Lorenz, der in den letzten Tagen des Krieges gefallen war, durch Michael Rollauer ersetzt werden. Dieser letzte Auftritt von „Sperlings Bunter Bühne“ wurde live übertragen und glücklicherweise auch mitgeschnitten, so dass wir wenigstens e i n klingendes Tondokument aus der 28-jährigen Erfolgsgeschichte der „Sperlinge“ besitzen. (Anmerkung der Redaktion: Die Zeitungen melden unmißverständlich den 21. Mai 1960 als Auftrittsdatum, das Datum auf dem Plakat - siehe Audiobeitrag - ist also falsch. Vermutlich wurde der 23. April 1960 als Auftrittsdatum geplant, dann aber geändert, weil am 23. April die Deutsch-Französische Gartenschau eröffnet wurde, mit vielen offiziellen Reden den ganzen Tag über. Da war das Plakat vermutlich schon gedruckt.)

1964 konnte Victor Lenz mit der Überzeugung in den Ruhestand gehen, sich bleibende Verdienste um die Mundartsendungen im Saarbrücker Sender erworben zu haben. In einem Beitrag des „Saarbrücker Bilderbogens“ vom 4. Dezember 1974 zu seinem 75. Geburtstag verabschiedete sich Victor Lenz von seinen Hörern mit einem Mundartgedicht und seinem vielfach zitierten Wahlspruch: „Das Schönste, was es gibt im Leben / ist, anderen Menschen Freude zu geben!“

Victor Lenz starb am 21. Mai 1979 in Saarbrücken, seine Frau Margot Schönberger-Lenz am 27. August 1991.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Eva Röder (Gestaltung/Layout), Burkhard Döring (Fotos/Recherche); Mitarbeit: Hans-Ulrich Wagner und Sven Müller (Recherche Videos). Die Redaktion bedankt sich sehr bei Peter Lenz für Fotos, Manuskripte und ergänzende Zeitzeugengespräche sowie beim Stadtarchiv Saarbrücken für die Recherchehilfe .

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