Ludwig Harig (Foto: R. Oettinger/SR)

Wie für Ludwig Harig „die Zeit des Radios“ begann

  05.02.2019 | 15:20 Uhr

Der damals 84-jährige Schriftsteller und SR-Autor Ludwig Harig lehnte Auftritte vor Mikrofon und Kamera dankend ab. An die Schreibmaschine setzte er sich jedoch gerne, um Erinnerungen an seine Anfangszeit als Radio-Autor aufzuschreiben.

„Seiltanz auf der Narrenschaukel“

Von Ludwig Harig

Wenn ich mich recht erinnere, reichen meine Kontakte zum Rundfunk in die fünfziger Jahre zurück. Noch bevor ich meine ersten Verbindungen zum Radio knüpfte, war es Max Bense, der Stuttgarter Philosoph und Mitbegründer der experimentellen Poesie, der erste Texte von mir in seiner Zeitschrift „augenblick“ veröffentlichte. Er machte mich mit Helmut Heißenbüttel bekannt, der beim Süddeutschen Rundfunk die Literaturabteilung (1) leitete. 1960 sendete der Süddeutsche Rundfunk (2) meinen ersten Radio-Essay „Komödie der Worte – die Stilübungen des Dichters Raymond Queneau“; 1963 produzierten dort Oskar Nitschke und Manfred Esser mein Hörspiel „Das Geräusch“.

Als dann Heinz Hostnig (3) und „Hans“ Kamps (4) 1966 in Gemeinschaftsproduktion des Saarländischen Rundfunks mit dem Südwestfunk „Das Fußballspiel“ inszenierten, begann meine regelmäßige (2) Arbeit für Rundfunk und Fernsehen in Saarbrücken, die redaktionell von Fred Oberhauser (5) betreut wurde.

Die Anregungen zu diesen Rundfunkarbeiten für Stuttgart und Saarbrücken gehen auf Heinz Dieckmann (6) zurück, der damals bei Radio Saarbrücken arbeitete und als Rundfunk- und Fernsehredakteur in seinen mehr als hundert Sendungen und Filmen mit kuriosen Einfällen und witzigen Inszenierungen die Welt geradezu auf den Kopf und wieder auf die Füße gestellt hat. Dieckmann animierte mich, Gedichte und Glossen zu schreiben, die ich in einem Studio des Senders auf Tonband sprach. Er regte mich schließlich zu bizarren poetischen Betrachtungen an; ich vollführte Seiltänze auf der „Narrenschaukel“, wie der Titel eines seiner Bücher heißt.

Dieckmann, mit dem mich eine enge Freundschaft verband, war ein in Sprache und Sprechen sehr kluger und höchst feinfühliger Poet. Seine Bücher, kunstvoll ironische Lexika-Romane, gipfeln in seiner „Narrenschaukel“, einem bizarren Globetrotter-Roman, der heute noch als Paradebeispiel ausgepichter Aufklärungsliteratur gelten kann. Nicht ohne Selbstironie hat er dem Saarländischen Rundfunk eine Spur zu befreiender Denk- und Urteilsweise bereitet. In diesem Sinne vorurteilsfreier Betrachtung möchte ich Heinz Dieckmanns Arbeit für den Saarländischen Rundfunk würdigen. Er hat dem jungen Nachkriegssender die Krone der unangepaßten Ironie aufgesetzt – und mich selbst dabei an ein Medium herangeführt, das für mich einige Jahrzehnte ein unverzichtbarer Spiel- und Arbeitsraum gewesen ist. Für mich begann die Zeit des Radios, die sich von Saarbrücken aus auf die Sender der ARD und schließlich auf den französischen und italienischen Rundfunk ausweitete.


Ergänzende Informationen zu Harigs Erinnerungen:


(ab) Der Schriftsteller Helmut Heißenbüttel (1921 – 1996)  leitete beim SDR (heute: SWR) zwischen 1959 und 1981 die Redaktion „Radio-Essay“ (1). Neben Radio-Essays gehörten literarische Sendungen dazu, auch Hörspiele und Buchbesprechungen.

Was Harig in der Anfangszeit beim Radio veröffentlicht hat, ist wohl noch nicht vollständig erfasst, weil es nach jetzigem Stand nicht überliefert ist. Bert Lemmich hat beim SR die archivarische Dokumentation von Harig-Produktionen (2) jetzt noch einmal überarbeitet. Auf die dabei gewonnenen neuen Erkenntnisse geht ein Interview mit Prof. Dr. Benno Rech genauer ein, das in den Fundstücken 9/2011 veröffentlicht wird.

Der erste Hörspielchef, mit dem Harig beim SR zusammenarbeitete, war Heinz Hostnig (1924 - 1996). Er leitete die SR-Hörspielabteilung von 1963 bis 1970 (3) und war ein Verfechter des Neuen Hörspiels und Vorreiter der Stereo-Produktion. 1971 wurde Hostnig dann NDR-Hörspielchef (bis 1988). Hostnigs Nachfolger beim SR wurde Werner Klippert. Seine Erinnerungen zur Zusammenarbeit mit Ludwig Harig in den "Fundstücken zur SR-Geschichte" 9/2011. 

Johann M. Kamps (4) war beim SR-Hörspiel von 1965 bis 1969 Hörspiel- und Fernsehspieldramaturg, anschließend bis 2000 Dramaturg in der WDR-Hörspielabteilung.

Fred Oberhauser (5) begann im September 1955 bei Radio Saarbrücken als Mitarbeiter in der Chefredaktion und wurde nach dem Ausscheiden von Jean Bernard (Hans Bernhard) Schiff als Literaturchef 1956 kommissarischer Leiter der Literaturabteilung.

Der Journalist und Schriftsteller Heinz Diekmann (1921 bis 2002) arbeitete ab 1950 bei Radio Saarbrücken (zuletzt: SR) in der Literaturabteilung, von 1952 bis 1962 wohl in der Funktion eines Leitenden Redakteurs (6).

Ludwig Harig starb am 5. Mai 2018 im Alter von 90 Jahren in seiner Heimatstadt Sulzbach.


Autor: Axel Buchholz; Mitarbeit: Thomas Braun, Bert Lemmich, Roland Schmitt und Claudia Weber

Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja