Mehr als zehn Jahre lang war Hans Zender Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken. Als er am 23. Oktober 2019 im Alter von 83 Jahren starb, lag diese Zeit schon 35 Jahre zurück. Aber vergessen hatte er sie nie – diese „fast schönste Zeit“ seines Lebens. Und der SR hat ihn ebenfalls nicht vergessen. Wie könnte er: Zender hatte bewirkt, dass fortan das Saarbrücker Rundfunkorchester international als ein bedeutender Botschafter für Neue Musik wahrgenommen wurde. „Wie bisher kein Zweiter“ habe er es geprägt, schrieb Oliver Schwambach zu seinem Tod in der Saarbrücker Zeitung. Fundstücke-Autor Dr. Friedrich Spangemacher war u. a. als Abteilungsleiter für Ernste Musik ein Wegbegleiter des Dirigenten – und blieb einer seiner Bewunderer.
Von Dr. Friedrich Spangemacher*
Als der Dirigent und Komponist Hans Zender im Jahre 1980 den „Großen Kunstpreis des Saarlandes“ erhielt, konnte er auf ein Jahrzehnt intensiver und erfolgreicher Arbeit mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken zurückblicken. Zender hatte als Chefdirigent das Orchester in diesen Jahren zu einem Klangkörper geformt, der in ganz Europa große Beachtung fand, vor allem durch die exemplarischen Interpretationen von Werken Neuer Musik. Hans Zender meinte rückblickend: „Mein Bestreben war, dieses mir anvertraute Orchester zu einem Höchstmaß an Erfahrung im Umgang mit Neuer Musik hinzuführen – natürlich nicht nur im Umgang mit Neuer Musik, sondern allgemein mit aller uns erreichbaren Musik, aber die Neue Musik war natürlich der zentrale Punkt, den ich arbeiten wollte, weil meiner Überzeugung nach auch die Pflege der Klassik und Romantik nur dann optimal möglich ist, wenn die Verwurzelung eines Klangapparates im 20. Jahrhundert stattfindet.“
Gleich in seinem ersten Konzert mit seinem neuen Orchester am 12. September 1971 stand neben Johannes Brahms' 1. Sinfonie ein Werk von Anton von Webern und das Cellokonzert von Bernd Alois Zimmermann mit Siegfried Palm als Solisten auf dem Programm. Zwei Wochen zuvor hatte Zender offiziell die Nachfolge von Rudolf Michl als Chefdirigent des SR-Orchesters angetreten, das durch die Fusion mit dem Kammerorchester Saarbrücken deutlich verstärkt worden war.
Zender – am 22. 11. 1936 in Wiesbaden geboren – hatte sich schnell in seiner neuen Heimat eingefunden. Und er fühlte sich wohl an der Saar. Bald entwickelt sich eine Freundschaft mit Ludwig Harig, dem „saarländischsten aller saarländischen Schriftsteller“. Harigs Frau Brigitte erinnert sich 2020 noch gut an diese „enge familiäre Freundschaft mit wechselseitigen Einladungen“. Manchmal sei bei diesen Treffen auch der Schriftsteller und literarische Übersetzer Eugen Helmlé dabei gewesen, dem zu Ehren der Saarländische Rundfunk als Mitstifter alljährlich den Eugen-Helmlé-Preis verleiht.
Bei den Verleihungsfeiern für den Saarländischen Kunstpreis (den Zender und Harig bekamen), haben sie sich wechselseitig das Fest bereichert. Hans Zender hat für Ludwig Harig eine Komposition beigetragen und Harig für Zender die Festrede gehalten.
Mit den Orchestermusikern war Zender nach kurzer Zeit eng verbunden. Es gab Teezeremonien bei ihm in St. Ingbert in seinem ganz in Weiß gehaltenen Haus. Und wenn es auf Tourneen ging, liebte Zender es, bei den Mahlzeiten zu allen Musikern zu gehen und von allen Gerichten, die die Kollegen bestellt hatten, zu probieren und seine Kommentare abzugeben. Freundschaften entstanden, die auch nach seiner Zeit beim SR hielten.
Das gegenseitige Vertrauen half bei seinen hohen Anforderungen in der Orchesterarbeit. Mit dem Orchester stellte er Komponisten der zeitgenössischen Musik vor, die damals noch unbekannt waren in Deutschland und ebnete später gefeierten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musik die Wege. Dazu zählen Giacinto Scelsi oder Morton Feldmann, der für das Saarbrücker Orchester und seine Soloflötistin Roswitha Staege ein Flötenkonzert schrieb, das in Saarbrücken uraufgeführt wurde und später bei cpo auf CD erschien.
Mit Zender wehte ein anderer Wind durch das Orchester: Er forderte, arbeitete akribisch und brachte eine fundierte Kenntnis der Stücke und ihrer Hintergründe mit, die auf dem Programm standen. Hans Bünte, Geiger im Orchester zur Zeit Zenders, meinte einmal: „Eine immer wieder überraschende Geduld und Unermüdlichkeit ist es, mit der Zender auch die vertracktesten Partituren Neuer Musik in Klang umsetzt. Einmal geschult, jedes dynamische Zeichen, jede Artikulation und Metronomangabe wörtlich zu nehmen, lernt das Orchester bald, auch in der klassischen und romantischen Literatur jedes Zeichen so ernst zu nehmen, als entziffere man dieses Werk zum ersten Mal.“
Auch bei traditioneller Musik wusste er immer, um was es im Eigentlichen ging, um die ästhetischen und historischen Zusammenhänge. Er schaute sehr genau in die Noten. Visionär waren seine Interpretationsideen oft, und er ließ auch die Nebenstimmen in den Partituren zu ihrem Recht kommen. Zender hat in Saarbrücken Mozart meisterhaft anders als gewohnt interpretiert, manchmal mit äußerster Präzision aus der Struktur gedacht, um dann zum Gesanglichen zu kommen. Er dirigierte die großen Sinfonien Mozarts, die Jupiter-, die Haffner-, die Linzer- oder die g-moll-Sinfonie, das Violinkonzert (mit Edith Peinemann), Arien mit Helen Donath und das gesamte Singspiel „Zaide“(u. a. mit Sylvia Geszty). Auch die Sinfonia Concertante führte er – mit Mitgliedern des eigenen Orchesters – auf.
Seine frühen Mahler-Ausdeutungen waren oft Sternstunden und immer wieder fand er neue Ansätze. Bruckner hat er vor dem Hintergrund der Musik seiner Zeit neu gedeutet. Seine eigene Beschäftigung als Komponist mit fernöstlicher Musik hat andere Sichtweisen eröffnet, die auch in seine Interpretationen einfloss. Immer wieder brachte er Traditionswerke mit neuen Stücken in Verbindung und in Beziehung. Er ließ sogar zeitgenössische Komponisten die Musik der Renaissance bearbeiten.
Auf seinen Tourneen machte Hans Zender das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (RSO) in aller Welt bekannt: Gefeiert wurde es in Australien, in den USA, in Kanada und in der Sowjetunion. Schließlich reiste man – damals noch ungewohnt für einen Klangkörper aus dem Westen – in die DDR, wo das „Neue Deutschland“ (das Zentralorgan der SED) schrieb, das RSO sei ein „ausgeglichen besetztes, hervorragend geschultes Orchester, das feinnervig und zugleich energisch“ ans Werk ginge.
Während seiner Zeit als RSO-Chefdirigent war Hans Zender auch als Komponist unermüdlich. In den Saarbrücker Jahren schrieb er die Oper „Stephen Climax“. Hinzu kamen grundlegende, philosophische Texte zur Musik. Der große Pianist Alfred Brendel bemerkte: „Unter den heutigen Musikern von Rang ist Hans Zender einer der besten Schriftsteller und einer der klarsten Denker.“
Als Hans Zender 1984 das Orchester verließ, lobte er sein Orchester, das seinen Gestaltungen „Emotionelles und Kantabilität (gute Singbarkeit)“ gelehrt habe, wie er in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung äußerte. Die Jahre an der Saar seien „eine wichtige Etappe in meiner Entwicklung als Interpret und Komponist“ gewesen: „… als ich kam, war ich ein Präzisionsfanatiker, ich liebte schnelle Tempi und meine Wiedergaben waren kühl bis zur Härte. Hier sind meinen Gestaltungen Emotionelles und Kantabilität zugewachsen.“
Ich selbst hatte Zender kurz vor meiner Verpflichtung beim SR in einem Konzert kennengelernt, bei dem er – in Anwesenheit von John Cage – Werke von Giacinto Scelsi dirigierte. Es war eine absolute Weltentdeckung für die Musikszene damals. Ich schätzte, wie er diese Musik zwischen Orient und Okzident mit Leben füllte und das Publikum begeisterte.
Beim SR erfuhr ich bald, dass seine Art des Denkens und Philosophierens, seine Aufforderung, immer wieder neu zu hören auch bei den Redakteuren zu einer wichtigen Lektion geworden war. „Happy new Ears“ wurde später ein Motto für ihn. Seine Art des Urteilens, sein immer hoher Anspruch war Leitstern für Programme nicht nur der Neuen Musik. Als viele Jahre später seine Bearbeitung von Schuberts „Winterreise“ beim Festival „Musik im 20. Jahrhundert“ im Saarland vorgestellt wurde, konnte man wieder einmal seine unbedingte Auffassung von Auseinandersetzung auch mit älterer Musik erfahren. Das attestierte ihm das jubelnde Publikum, das seine Zeit mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken nicht vergessen hatte.
*Dr. Friedrich Spangemacher war von 1988 bis 2015 Musikchef von SR 2 KulturRadio (zunächst als Abteilungsleiter E-Musik). Von 1991 bis1999 war er künstlerischer Leiter des SR-Festivals „Musik im 20. Jahrhundert“. Er vertrat die ARD ab Ende der 80er Jahre in der „Music Group“ der Europäischen Rundfunkunion, sechs Jahre als deren Chairman. Mit Kollegen entwickelte Friedrich Spangemacher die computergestützte Musikprogrammgestaltung für SR 2 (das Kulturprogramm des Saarländischen Rundfunks) – die erste in einem Kulturprogramm in der ARD. Seit seiner Pensionierung 2015 arbeitet er als Musikredakteur für die Zeitschrift OPUS. Beim Luxemburger Radio 100komma7 betreut er außerdem eine Sendung mit zeitgenössischer Musik.
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