Die erste Redakteurin von „Tour de Kultur“: Elisabeth Sossong (Foto: Winfried Goetzinger)

Mit SR 3 Saarlandwelle die Kultur in der Region entdecken

 

Von Elisabeth Sossong

Eigentlich war die kleine Serie mit kulturellen Ausflugstipps nur als Füller für das gefürchtete „Sommerloch“ gedacht. Dass ihre Berichte der Auftakt eines über 30-jährigen Erfolgs sein würden – das hatten sich im Frühjahr 1989 die vier Mitarbeiter der Abteilung Regionale Kultur von SR 3 Saarlandwelle nicht vorstellen können. Aber manchmal jedenfalls stimmt der Slogan der saarländischen Regierung eben doch: „Großes entsteht immer im Kleinen“. Aus den ersten Berichten ist mit der „Tour de Kulturdie längste und erfolgreichste SR-Radioreihe dieser Art geworden.

Michael Lentes, Stefan Miller und Rainer Petto waren von der für regionale Kultur zuständigen Redakteurin Elisabeth Sossong gebeten worden, Vorschläge für eine Reihe unter dem Titel „Versunkene Gärten“ zu machen. Als Oberbegriff war schnell „Tour de Kultur“ gefunden. Wer die Idee für diesen Namen hatte, weiß heute niemand mehr. Nicht ganz auszuschließen ist, dass die SR-Sportredaktion dabei unbewusst mitgeholfen hat: Sie betreute damals (wie heute auch) sehr erfolgreich die „Tour de France“. Auf jeden Fall zündete die Idee.

Michael Lentes. (Foto: Das Bilderwerk)
Rainer Petto (r.) und Verleger Manfred Queiser. (Foto: Reiner Oettinger)
Stefan Miller hält einen Band „Tour de Kultur“ in den Händen. (Foto: Reiner Oettinger)
Sie „erfanden“ die „Tour de Kultur“: Michael Lentes, Rainer Petto (Foto Mitte, rechts) und Stefan Miller.

Schon die erste Ausgabe legte Eckpunkte fest, die noch heute gelten. Es gab Tipps nicht nur für das Saarland, sondern für die ganze Region: Von Anfang an lagen die Ziele der Kultur-Ausflüge auch im benachbarten Rheinland-Pfalz, in Lothringen und im Elsass sowie in Luxemburg. Der Kollege Michael Steinmetz war gerade aus Trier zum SR gekommen. Sein erstes Thema brachte er gleich von dort mit: den „Nells Park“, über den er Interessantes zu erzählen wusste. Auch die Grenzen des damaligen Kulturbegriffs bei Reisen und Ausflügen „sprengte“ die Tour de Kultur: Er wurde über die üblichen Burgen, Kirchen und Museen hinaus weiter gefasst.

So war es damals durchaus mutig, auch Gärten und Parks zum Mittelpunkt zu machen. Heute sind spezielle Gartenreisen populär. Und die Region Saar-Lor-Lux verfügt mit den „Gärten ohne Grenzen“ über bemerkenswerte Beispiele. Aber das war zu Beginn der 90er Jahre noch Zukunftsmusik. Wie sehr die Redaktion eine richtige Idee gehabt hatte, merkte sie schnell an der Reaktion der Hörer: Sofort nach der ersten Sendung gab es Nachfragen nach den Texten.

SR 3-Hörerinnen und -Hörer waren es nämlich gewöhnt, von der Abteilung Unterhaltung mit den Rezepten aus den „Bunten Funkminuten“ versorgt zu werden. Jede Woche verschickten die fleißigen Sekretärinnen (ja, ja damals hatte jede Redaktion oft sogar mehrere Damen) Hunderte von Manuskripten. Diese wurden in der „SR-Vervielfältigung“ auf leuchtend grünem Papier gedruckt. Im Zeitalter vor dem Internet war dieser Hörer-Service eine beliebte und erfolgreiche Art der Hörerbindung.

Rezepte zu verschicken, ist relativ einfach. Mit den Hörfunkbeiträgen war das schwieriger. Denn wichtige Informationen steckten in den „O-Tönen“, also in dem, was die Gesprächspartner im Original-Ton sagten. An der betreffenden Stelle im Text stand dann einfach: „O-Ton“. Was die Gesprächspartner gesagt hatten, war allerdings nicht verschriftet. Deshalb konnten die mit den ersten Drucken beglückten Hörerinnen und Hörer nicht allzu viel damit anfangen. Also war klar: Neben dem eigentlichen Manuskript des Radiobeitrags mussten die Reporter zusätzlich einen speziellen Text zum Nachlesen liefern.

Tour de Kultur, Cover 1994. (Foto: SR)
Tour de Kultur, Cover 1995. (Foto: SR)
Tour de Kultur, Cover 1999 (Foto: SR)
Gesammelte SR 3-„Tour-de-Kultur“-Tipps 1994, 1995 und 1999.

Der sollte aber auch noch einen gewissen Mehrwert bieten. Nämlich zusätzliche Informationen etwa zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen oder Parkmöglichkeiten. Das geschah in den ersten Jahren eher beiläufig und je nach Veranlagung des Mitarbeiters. So findet sich bei der Beschreibung einer kulturhistorischen Wanderung der Vermerk „Der Wald ist durchgehend geöffnet“. Aufschlussreich auch der Hinweis auf eine Kontaktperson bei einer luxemburgischen Sehenswürdigkeit. Die sei leider „nie zu Hause“. Man finde sie aber meistens im benachbarten Café JayJay.

Mit soviel Hemdsärmeligkeit war es dann aber vorbei, als Stefan Miller, inzwischen der verantwortliche Kultur-Redakteur, nach fünf Jahren aus der Lose-Blatt-Sammlung die erste echte Broschüre machte. Ein feines Heft mit künstlerisch gestaltetem Deckblatt und später auch Fotos. Die Reporter bekamen für jeden Beitrag ein ausgefeiltes Arbeitsblatt mit genauen Rückfragen bei den Betreibern der kulturellen Einrichtungen. In einem der erhaltenen Exemplare ist zum Beispiel vom Conseil General die Genehmigung zum Abdruck eines Bildes für 150 Francs akribisch vermerkt. Doch so viel Aufwand lohnte sich.

Heute sind zwar die Beiträge und die dazugehörigen Service-Informationen selbstverständlich auch im Internet zu finden. Dennoch blieben die Broschüren ein „Renner“. Noch immer werden pro Saison 4000 Exemplare verschickt. Und aus den sechs Beiträgen des ersten Jahres sind inzwischen 30 pro Saison geworden, unterteilt in verschiedene Rubriken. Industriekultur, Kirchengeschichten oder feudaler Glanz waren und sind naheliegend – aber Kultur für Kids war in den Neunzigern noch Neuland und fand bei Eltern und Großeltern begeisterten Anklang. Wer je gelangweilte Kinder durch zugige Kirchen geschleppt hat, weiß Tipps wie das Spielzeugauto-Museum in Vianden zu schätzen.

Tour de Kultur - Stefan Miller
Video: Saarlandwellen-Programmchef Stefan Miller über die Ziele, die die Programmmacher von SR 3 mit der „Tour de Kultur“ verfolgen.

Brauerei Wiltz. (Foto: Winfried Goetzinger)
Gegründet im Jahr 2000 ist diese Mikrobrauerei im luxemburgischen Wiltz eine der kleinsten Anlagen des Welt.
Ein Junge steht in einem Laden und probiert Marmelade. (Foto: Winfried Goetzinger)
Auch Ausflugs-Tipps für Kinder gibt es bei der „Tour de Kultur“: hier im Marmeladenmuseum im elsässischen Ranrup.

Und eine Rubrik, die der Region besonders gut ansteht: Denkma(h)lzeiten. Wo gibt es das sonst noch: gutes Essen in kulturhistorisch bedeutsamer Umgebung? Geschichte kann man hier kulinarisch genießen. Etwa im „Coq hardi“ in Verdun, das außer Napoleon III. auch fast alle französischen Präsidenten zu seinen Kunden zählte. Wer es deftig mag, der ist bei „Schadt“ in Blaesheim im Elsass gut aufgehoben. Nicht nur wegen des ausgezeichneten Choucroute garni, das Gourmetbibeln loben. Mit Augenzwinkern verweist SR 3 auf die Kunstsammlung des Patrons, die in erotisch zweideutigen Bildern von Tomi Ungerer gipfelt. Die werden auch bei Bedarf hinter Vorhängen verborgen. So z. B. wenn Einheimische das Lokal für Kommunionsfeiern buchen. Gilt eben nicht als passende „Kultur für Kids“.

Region wurde von Anfang an ziemlich weit gefasst. Faustregel: Man sollte den Ausflug an einem Tag bewältigen können. Geografisch reicht das inzwischen von der Eifel bis ins südliche Elsass und von Nancy bis Metz. Schwerpunkt bleibt aber die engere Heimat, denn gerade hier galt es, verborgene Schönheiten aufzudecken. So wurde etwa die Industriekultur, lange bevor die Völklinger Hütte Weltkulturerbe-Status erreichte, ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt.

Tour de Kultur Band 1, Cover  (Foto: SR)
Tour de Kultur Band 2, Cover  (Foto: SR)
Die Buchbände 1 und 2 der „Tour de Kultur“.

Inzwischen sind über 1000 Beiträge zusammengekommen. Möglich war das nur, weil die Kollegen aus allen möglichen Redaktionen von Hörfunk und Fernsehen immer wieder Ideen und Anregungen mitbrachten, wenn sie unterwegs waren. Diese Kenntnisse machen das Angebot so vielfältig und einmalig. In kaum einem anderen Reiseführer etwa ist St. Barbe in Crusne zu finden. Dabei ist dies die einzige Stahlkirche in Europa. Sie rostete fast unbeachtet in einem kleinen lothringischen Bergarbeiterort vor sich hin. Dass sie heute unter Denkmalschutz steht und unter Architekturfans eine gewisse Bekanntheit hat, verdankt sie sicher auch dem SR 3-Beitrag.

Pionierarbeit leisteten Stefan Miller und sein Team auch, als sie nach zehn Jahren aus den besten Beiträgen einen echten Reiseführer machten. Für die Region gab es damals nichts Vergleichsbares. Im „Reich“ (dem übrigen Deutschland, wie es im Saarland noch manchmal genannt wird) machte man sich keine Vorstellungen von der Vielfältigkeit des kulturellen Angebotes. Der heimische Gollenstein Verlag war da mutiger und konnte sich über eine Auflage von immerhin 11000 Exemplaren freuen. Es folgten noch ein zweiter Band und zwei broschierte Führer. Zum Erfolg trugen maßgeblich auch die schönen Fotos bei, die Winfried Götzinger beisteuerte.

Goetzinger mit Kamera. (Foto: Winfried Goetzinger)
Winfried Götzinger fotografierte viele der Ausflugs-Tipps für die „Tour de Kultur“.

Tour de Kultur 1992
Video: Das Flugzeugmuseum Hermeskeil war 1992 ein Tipp der „Tour de Kultur“ von SR 3 Saarlandwelle. Der „aktuelle bericht“ im SR Fernsehen wies am 20. August in einem Beitrag darauf hin.

Längst ist die „Tour de Kultur“ auch im SR Fernsehen angekommen. Zuerst wurde darüber berichtet, wie z. B. im „aktuellen bericht“ von 1992.
Vor fünfzehn Jahren übernahm der „aktuelle bericht“ in den Sommerferien einige besonders für die bildliche Umsetzung geeignete Beiträge. So konnte man nicht nur, wie die SR 3-Redaktion es so griffig formulierte, „mit den Ohren“ sehen. Seit zwei Jahren hat nun die Reihe eine neue Heimat bei „Wir im Saarland – Grenzenlos“ gefunden. Mit Schwerpunkt Elsass und Lothringen werden die Ausflugstipps das ganze Jahr über angeboten.

Auch an der „Tour de Kultur“ geht allerdings die Coronakrise nicht spurlos vorbei. 2020 wird vermutlich das erste Jahr sein, in dem es keine Broschüre geben wird. Die ständig wechselnden Vorgaben zu Grenzübertritten und Beschränkungen zu Öffnungszeiten etc. haben bislang touristische Fahrten über Grenzen und einen verlässlichen Serviceteil unmöglich gemacht.

Aber im Internet sind die Beiträge mit aktualisierten Infos auf SR3.de abzurufen. So können auch 2020, wo sicherlich viele noch auf Fernreisen verzichten werden, mit den SR 3 Kultur-Tipps neue nahgelegene kulturhistorische Ausflugsziele angesteuert werden. Und für die Hörerinnen und Hörer, die aus Gesundheits- oder Vernunftgründen ganz zu Hause bleiben, ermöglicht SR 3-„Tour de Kultur“ auch in diesem Jahr spannende Entdeckungen beim Zuhören und Lesen.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Eva Röder (Gestaltung/Layout); Sven Müller (Videos, Recherche Fernseh-Archiv), Burkhard Döring (Illustrationen, Recherche SR-Archiv), SR-Multimedia

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