Jo Baier, SR-Moderator Albers, Thomas Krüger bpb, Dr. Gerhard Paul (v.l.n.r) (Foto: A. Brockhues)

Von Wehrmachtsdeserteuren zu freiwilligen IS-Kämpfern

A. Brockhues   20.01.2015 | 22:05 Uhr

Wenn Politiker deutsche Soldaten nach Afghanistan oder in den Irak schicken, stößt das nicht unbedingt auf Zustimmung. In jüngster Zeit zogen einige Deutsche aber sogar freiwillig in den Krieg – für den islamischen Staat. Unter dem Titel „Von Wehrmachtsdeserteuren zum freiwilligen IS-Terroristen“ diskutierten am Dienstag Regisseur Jo Baier, Historiker Dr. Gerhard Paul und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.

1960 brachte der Saarbrücker Regisseur Wolfgang Staudte seinen Film „Kirmes“ heraus. Ein Film über Wehrmachtsdeserteure war ungewöhnlich für diese Zeit. Deserteure galten als Vaterlandsverräter und Feiglinge. Viele wurden zum Tode verurteilt, die Familien gesellschaftlich geächtet. Erst 2002 wurden sie rehabilitiert. Laut Thomas Krüger war damals jedem klar, was mit Deserteuren passieren wird: „In Hitlers Kampf stand es schwarz auf weiß: Soldaten können sterben, Deserteure müssen sterben.“ Auch heute wird Fahnenflucht noch bestraft – mit Freiheitsentzug.

Angriff oder Verteidigung?

Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, ob diese Deserteure als Gegner des Volkes oder als Gegner des Nazi-Regimes zu sehen sind. „Der Zweite Weltkrieg wurde immer als Verteidigungskrieg apostrophiert – deswegen spricht man bei den Deserteuren auch von Feigheit. Sie sind ihrem eigenen Land in den Rücken gefallen“, erklärt Regisseur Jo Baier, der unter anderem für den Film „Stauffenberg“ verantwortlich ist. Die USA verfahre mit ihrem Krieg gegen den Terror ähnlich, so Baier: „Sie sagen, jeder hat das Recht sich gegen Terror mit einem Angriff zu wehren.“ So rechtfertigten sie ihre Kriege im Nahen Osten als Verteidigung.

Die Motive der deutschen IS-Kämpfer

Die Terrorakte vom 11. September 2001 oder der jüngste Anschlag auf das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo sollen ein Schlag gegen die westliche Welt und ihre Werte sein. Immer mehr junge Deutsche zogen in letzter Zeit freiwillig in den Krieg für den Islamischen Staat. Widerstandskämpfer? Vaterlandsverräter? Oder Terroristen? „Die deutschen IS-Kämpfer haben sich nicht gegen Deutschland, sondern für den Islamischen Staat entschieden“, sagt Krüger. Er bezieht sich damit auf eine Studie, in der 378 deutsche IS-Kämpfer zu ihren Motiven befragt wurden. Unter den Rückkehrern gebe es nur eine kleine Gefahrengruppe. Die meisten kämen traumatisiert und desillusioniert zurück nach Deutschland.

Regisseur Baier glaubt: „Die haben einen tiefen Hass auf westliche Länder.“ Damit bezieht er sich auf im Internet kursierende Videos, in denen deutsche IS-Kämpfer davon sprechen, ihr Heimatland zu „überrollen“ und es kaum erwarten können, gegen deutsche Soldaten zu kämpfen. Mit einer Statistik komme man nicht weiter.

„Jetzt muss gesprochen werden“

Krüger spricht bei der Debatte zu Recht von einem Erklärungsversuch. Haben deutsche IS-Kämpfer Ausgrenzung erfahren, und halten uns nun den Spiegel vor, wie Krüger vermutet? Oder sind sie orientierungslos und suchen Halt in einem streng gläubigen Staat, wie Baier meint? „Wichtig ist, dass jetzt gesprochen wird“, ermahnt Historiker Gerhard Paul. Und dabei dürfe man nicht der Pauschalisierung und der Spekulationen der Presse aufsitzen.

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