"Chrieg" - Szenenfoto (Foto: Produktionsfirma)

Chrieg

Drei Herzen - Eine Rezension von Annabell Brockhues  

Nachts führen sie "Chrieg". Tagsüber sollen sie auf einer Alm harte Arbeit und Autorität erfahren. Die orientierungslosen Jugendlichen der Gesellschaft. Eine erbarmungslose Geschichte mit mehr realem Hintergrund, als der Zuschauer sich vielleicht wünscht.

Vorsichtig robbt Matteo (Benjamin Lutzke) nach vorne. Links und rechts geht es 40, 50 Meter in die Tiefe. Zwei Armlängen vor ihm liegt ein Schlüssel auf dem Hochspannungsmast. Ein Schlüssel, der ihn von der schweren Eisenkette um seinen Hals befreien könnte. Seine Chance, sich zu bewiesen. Nichts für schwache Nerven.

Lieblingszitat: "Echte Hunde fressen Scheiße", Ali zu Matteo im Schafstall.

Matteo ist ein wortkarger Teenager. Er lebt in den Tag hinein, hat keine Pläne, was er vom Leben erwartet. Stattdessen dealt er mit Tabletten, trifft sich aus Einsamkeit mit einer Prostituierten. Eines Nachts wird er von zwei Männern abgeholt. Sie bringen ihn auf eine abgelegene Alm. Hier soll er den Sommer verbringen, in einem Erziehungscamp. Auf Wunsch seines Vaters.

Demütigung, Erniedrigung, Hass

Kaum angekommen, machen die anderen Jugendlichen Matteo unmissverständlich klar, dass sie das Sagen haben. Nach endlosen, unmenschlichen Demütigungen nehmen sie ihn in die Clique auf. Zusammen fahren die jungen Männer nachts in die Stadt. Hier führen sie ihren Krieg. Gegen alles und jeden, und vor allem gegen ihre Eltern. Bis die Situation beinahe außer Kontrolle gerät.

Fiktion oder Realität?

Regisseur Simon Jaquemet (Foto: SR)
Regisseur Simon Jaquemet

Ausgangspunkt der Geschichte war ein Traum, den Regisseur Simon Jaquemet als Jugendlicher hatte: Hinter den Bergen gibt es ein Königreich. Ein Lager, in dem die Erwachsenen die Kontrolle verloren haben und die Jugendlichen sich selbst überlassen sind. Aus diesem Grund sind die Darsteller des Films keine Profis, sondern selbst Jugendliche mit extremen Lebensgeschichten, erklärt Jaquemet: "Sie geben meinen fiktiven Figuren ein Leben, das weit über das hinausgeht, was ich mir vorstellen konnte."

Nichts für schwache Nerven

Hass und Aggressionen der Jugendlichen sind unübersehbar. Ihre Gründe dafür liegen auf der Hand. Was unklar ist: Warum steckt der Vater Matteo in das Sommercamp? Keine Spur eines schwer erziehbaren Kindes, kein Zeichen von tiefen Familienzerwürfnissen. Dass ein Jugendlicher in der Pubertät nicht das beste Verhältnis zu seinen Eltern hat, erklärt noch nicht den Aufenthalt in einem Erziehungscamp. Hier hängt die Story am Anfang, schade.

Dass in "Chrieg" so viel Realität drin steckt, macht es für den Zuschauer nicht einfach, diese erbarmungslose Geschichte von orientierungslosen Jugendlichen ohne Halt in der Gesellschaft zu ertragen. Simon Jaquemet schafft es trotzdem durch eine distanzierte Bildsprache beim Zuschauer für die Jugendlichen weder Mitleid noch Antipathie zu wecken.

Regie: Simon Jaquemet
Produktion: Hugofilm Productions GmbH
Darsteller: Benjamin Lutzke, Ste, Ella Rumpf, Sascha Gisler, John Leuppi, u.a.
Schweiz 2014 | DCP | Farbe | 108 Min. | Schweizerdt. mit dt. UT | dt. Erstaufführung 

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