SR-Online
Zeitzeugen Biografien: Günther Puhl

Verantwortlichkeit und Fingerspitzengefühl


Es ist schon in gewisser Weise ein Risiko, einen unerfahrenen Menschen eine gefährliche Arbeit machen zu lassen. Das müssen natürlich unsere Ausbilder sehr wohl abwägen. Es gibt Situationen, wo man einen Jugendlichen da einfach nicht ranlassen darf, was er sich im Prinzip nur mit angucken darf. Das liegt im Fingerspitzengefühl und in der Verantwortlichkeit des zuständigen Ausbilders vor Ort.

Das sind auch Anforderungen, die bei unseren Ausbildern wachsen - sowohl bei unseren hauptamtlichen Ausbildern, die wir in den Lehrwerkstätten haben, als auch bei den Facharbeitern draußen in den Betrieben, die den Jugendlichen an die Hand bekommen. Das sind ja dann - wenn man so will - nebenberufliche Ausbilder im Auftrag der Ausbildungsabteilung. Die machen ja ihren Job als Facharbeiter, haben aber die Verantwortung, möglichst viele Fertigkeiten und Kenntnisse der betrieblichen Seite an den Auszubildenden rüberzubringen. Da spielt natürlich die Arbeitssicherheit ganz entscheidend rein.

Ein typisches Beispiel, als wir unsere Verfahrenstechnikerausbildung in Angriff genommen haben: Die erste Station, die unsere Auszubildenden im Stahlwerk durchlaufen mussten, war die Roheisen-Umfüllstation, wo die Torpedowagen von der Bundesbahn vom Dillinger Hochofen rüberkommen. Sie fahren ins Stahlwerk rein, und dort muss der Torpedo mit 150 Tonnen glühendem Roheisen in eine Roheisen-Pfanne gekippt werden. Die holt der Kran hoch, und dann geht der Produktionsprozess im Stahlwerk weiter.

Die Jugendlichen wurden dorthin geschickt, damit sie den Prozess kennen lernen: Wo kommt eigentlich unser Roheisen her? Wie kommt das dahin? Wie kommt es bei uns an, was hat der Facharbeiter an der Stelle mit dem Roheisen zu machen, umzukippen in die Roheisen-Pfanne rein und an den Roheisen-Kran weiter zu geben?

Die modernen Ausbildungsordnungen lassen da dem Ausbildenden relativ viel Spielraum, an solche Dinge heranzugehen. Wir haben bei solchen kritischen Situationen am Ausbildungsplatz dem Ausbilder entsprechende Anweisungen schriftlich vorgegeben und gesagt: Wenn du das für vertretbar hältst, darfst du den Auszubildenden diesen Vorgang unter Aufsicht machen lassen - wenn du der Meinung bist, der Auszubildende hat das nötige Zeug, die nötige Verantwortungskapazität usw. Bei einem anderen Auszubildenden kann es sein, dass er sagen konnte: Das kann ich beim besten Willen nicht verantworten, das darf ich nicht, bei dem muss es beim Zugucken bleiben. Das Lernziel war aber, dass der Auszubildende vom ersten bis zum letzten Tag in allen Bereichen versuchen soll, selbstständig zu werden, den Ausbildungsprozess zu planen, selber durchzuführen und auch selber das Ergebnis zu bewerten.

scroll up

scroll down