Daniel Pedersen: "Offenes Wasser"

Roman

Peter Henning   29.04.2025 | 18:40 Uhr

Der schwedische Verleger, Übersetzer und Autor Daniel Pedersen erschüttert mit seinem Debütroman "Offenes Wasser". Peter Henning hat das Buch gelesen.

Ein Mensch verschwindet scheinbar spurlos – und zurück bleiben die ratlosen, vor Kummer paralysierten Angehörigen oder Freunde, die händeringend nach Erklärungen suchen; ein ungezählte Male variierter Klassiker aus den Setzkästen der unterschiedlichsten literarischen Genres. Die Art und Weise aber, wie der schwedische Schriftsteller Daniel Pedersen das Ganze in seinem  offenbar stark autobiografischen Romandebüt „Offenes Wasser“ angeht, nämlich hochemotional und zugleich zutiefst philosophisch, ist ebenso außergewöhnlich wie berührend.

Pedersen wirft die Nachricht vom Freitod des Vaters völlig aus der Bahn. Und als man dessen Leichnam birgt, nachdem eine ausgedehnte Suchaktion in den Tiefen des Auslaufkanals eines nahen Wasserkraftwerks zunächst erfolglos geblieben war, überfallen ihn düstere Visionen.

Am 1. Mai kam der Anruf. 500 Meter stromabwärts, in einer Bucht, in der wir als Kinder badeten , hat man ihn mit einem Boot aus dem Wasser geholt… Manchmal haben mich gewaltsame Fantasien heimgesucht, seine massige, verrottete Leiche konnte in der Küche in der Wiege liegen, sein aufgequollenes, zerfetztes Gesicht, das Gesicht des schlafenden Kindes sein.

Der eigene Vater ein Selbstmörder? Weshalb nur? Wie kann das sein? Diesen und ähnlichen Fragen spürt der Ich-Erzähler in seinen Versuchen, das Unbegreifliche zu durchdringen und zu verstehen, mit selbstquälerischer Radikalität nach. So verdichtet sich seine Erzählung nach und nach zu einer  Ich- und Weltbefragung, in deren Verlauf er seine gesamte Existenz – und auch die der damit verbundenen Personen -  einer geradezu exorzistisch anmutenden Revision unterzieht um zu verstehen, was den Vater zu seiner Tat veranlasste. Begleitet von der bitteren Erkenntnis, den Verstorbenen offenbar nicht wirklich gekannt zu haben.

Ich war eine Art Vampir geworden, der nährenden Schmerz aus meinem Blut saugen wollte, die Zwangsgedanken in Worte verwandeln. Aber alle Versuche, seine Nähe zu extrahieren wie eine Substanz, misslangen...Alle anderen versuchten zu trösten, aber ich hörte nicht zu. Jene, die sagten: ‚Du bist einsam. Du musst deinen Platz in der Welt wieder finden!‘ nehmen mir nicht die Hoffnung, aber doch den Gedanken, ein Recht auf Hoffnung zu haben. Sie hätten mir wohl besser eine Aufgabe geben sollen: ‚Zähle deine Tränen, zähle sie! Sie werden versiegen.

Konterkariert werden die Trauer und Fassungslosigkeit des Ich-Erzählers über die Tat des Vaters durch die Tatsache, dass er just zum Zeitpunkt von dessen Verschwinden selbst Vater einer kleinen Tochter wird.
Wie Pedersen es im Folgenden versteht, dem Tod eines geliebten Menschen die Geburt eines anderen gegenüberzustellen, dem er zunächst mit Befremden und Skepsis begegnet, das ist ebenso ungewöhnlich wie grandios. Denn offenbar kann er das eine nicht ohne das andere denken, ohne es in seiner Wechselwirkung philosophisch-kritisch zu hinterfragen. Auch wenn er zugleich das eigene Schreiben dafür verteufelt, ...

...denn die Worte nehmen dem Verstorbenen seine Ehre und sein Gesicht. Nehmen ihm alles, dabei will ich doch die Erinnerung an ihn bewahren. Aber ich weiß gar nicht, ob das stimmt.

Das Leben ist kein Tauschgeschäft! Diese Erkenntnis wartet am Ende der Geschichte auf Pedersens Ich-Erzähler. Denn das neue Leben in Gestalt seiner Tochter kann das verlorengegangene des Vaters nicht ersetzen. Gleichwohl aber - und daran lassen seine Erkenntnisse am Ende keinen Zweifel - ist das Glück für ihn möglich. Denn eben davon handelt Daniel Pedersens kleines, gerade mal 110 Seiten langes großartiges Trauer- und Trostbuch: von der Gewissheit, dass am Ende des Tunnels - möge er ihm auch bisweilen unendlich erscheinen - das Licht der Erlösung auf seinen Protagonisten wartet: in Gestalt eines neuen schutz- und wärmebedürftigen Lebens, das zu lieben er lernen wird. Auch im Namen seines toten Vaters.


Daniel Pedersen
"Offenes Wasser"
Voland & Quist Verlag

110 Seiten, 18 Euro
ISBN: 978-3-518-78084-8


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 28.04.2025 auf SR kultur.

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