Politik für eine Million (Foto: SR)

An der Impfpflicht scheiden sich die Geister

Nelly Thelen   22.02.2022 | 06:30 Uhr

Eines der wichtigsten bundespolitischen Themen im Moment: Der Zoff um eine allgemeine Impfpflicht. Der Protest auf der Straße ist laut. Der Ruf nach einer allgemeinen Impfpflicht wird leiser. Die zweite Folge „Politik für eine Million“ begleitet die saarländischen Bundestagsabgeordneten Schön und Limbacher im Entscheidungsprozess.

Schon im Dezember spricht der neue saarländische SPD-Bundestagsabgeordnete Esra Limbacher (32) das erste Mal im Plenum, zwei Monate, nachdem er in den Bundestag eingezogen ist. Schon da positioniert er sich klar fürs Impfen: "Wenn alle Menschen sich impfen lassen würden, bräuchten wir diese Debatte heute nicht. Dann hätten wir auch im Einzelhandel genau diese Probleme nicht mehr. Die Krankenhäuser würden entlastet.“

Auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Nadine Schön spricht sich früh für eine allgemeine Impfpflicht aus. Wenige Wochen später kritisieren CDU-Politiker sowohl in den Ländern als auch in ihrer Fraktion in der Oppositionsrolle allerdings schon die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht. 

Limbacher klar für eine allgemeine Impfpflicht

Auch als im Januar der Protest lauter wird, viele Politiker Zweifel an dem Sinn einer allgemeinen Impfpflicht äußern, bleibt Limbacher bei seiner Forderung.

Am 26. Januar diskutieren die Abgeordneten im Bundestag das erste Mal über eine allgemeine Impfpflicht. Eine „Orientierungsdebatte“ nennen sie das. Umfragen zeigen: Ein Großteil der Menschen in Deutschland befürwortet sie. Doch in der Politik herrscht Uneinigkeit. Nicht mal die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FPD kommt in puncto Impfpflicht auf einen Nenner.  

Impfpflicht ist Gewissensentscheidung

Die Entscheidung über eine allgemeine Impfpflicht wird zu einer Gewissensentscheidung. Jeder Abgeordnete soll frei von seiner Fraktion entscheiden, ob er sie für richtig hält. Und das bei lautem Protest auf der Straße. Mit den Menschen auf solch einer Demo gesprochen hat Limbacher noch nicht. Er sagt, er habe aber kein Problem hinzugehen. Warum war er dann noch nicht da?

Auch im Saarland gehen Menschen auf die Straße. „Ich habe von den Demos immer aus der Presse erfahren. Ich habe tatsächlich vorgehabt, wenn in meinem Wahlkreis sowas existiert, auch wirklich hinzugehen.“ Er habe keinerlei Berührungsängste. „Warum sollte man die auch haben? Das sind ganz normale Menschen, die dort sind. Ich will genau diese Personen mitnehmen und erreichen. Deswegen spreche ich sie auch, wenn es möglich ist, immer an!“ 

Opposition kritisiert Uneinigkeit

Auch am Tag der Orientierungsdebatte versammeln sich Impfgegner zum Protest vor dem Bundestag. Auch die CDU-Politikerin Nadine Schön war noch nie auf einer Demo von Impfgegnern um mit ihnen zu diskutieren, ihre Sicht auf die Pflicht zu hören - auch im Saarland nicht. Schön sagt: „Ich wäre bereit für ein Gespräch. Eine Demonstration erscheint mir aber jetzt nicht das Format, bei dem man gut ins Gespräch kommen kann.“

Bundeskanzler Scholz spricht sich für eine Impfpflicht aus. Viele Parlamentarier aus seiner Partei sehen es so. Auch die Grünen sprechen sich Größtenteils für eine allgemeine Impfpflicht aus, doch aus der FDP gibt es Widerstand. Die Union in der Opposition kritisiert die Uneinigkeit scharf und erklärt eine allgemeine Impfpflicht sei nur mit Impfregister möglich.

Limbacher findet, die Politik müsse bei dem Thema mehr zusammenstehen. „Das haben wir die ganzen Monate eben nicht getan. Und mein Wunsch ist einfach, dass man, um die Pandemie endlich zu überwinden, Parteigrenzen vergisst und zusammenarbeitet“, sagt er. 

Schön schließt allgemeine Impfpflicht nicht aus

Doch selbst bei der sogenannten „einrichtungsbezogenen“ Impfpflicht für medizinisches Personal gibt es Zoff, obwohl lange beschlossen. Die Umsetzung sei nicht geklärt, heißt es unter anderem von der Unionsfraktion in der Opposition.

Die saarländische Bundestagsabgeordnete der CDU, Nadine Schön (38) und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion drückt sich mittlerweile etwas zurückhaltender aus, will eine allgemeine Impfpflicht nun nur nicht mehr ausschließen: „weil ich einfach der Meinung bin, dass wir so viele Grundrechtseingriffe alle in Kauf nehmen müssen. Gerade, wenn ich auf die Kleinen gucke, auf die Kinder.

Was die seit zwei Jahren durchmachen müssen, ist wahnsinnig heftig, so dass ich eine Impfpflicht nicht ausschließen würde und es deshalb wichtig finde, dass wir uns jetzt im Bundestag damit intensiv beschäftigen.“

Union für gestuften Impfmechanismus

Die Unionsfraktion aber schlägt einen „gestuften Impfmechanismus“ vor. Der Bundestag soll die Möglichkeit bekommen, eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen durch einen gesonderten Beschluss zu aktivieren.

Der Text sieht auch eine verstärkte Impfkampagne und die Schaffung eines Impfregisters vor. Es ist noch kein fertiger Gesetzesentwurf. Der würde erst ausgearbeitet, wenn der Antrag eine Zustimmung im Bundestag bekäme.

Und so gehts weiter

Eine allgemeine Impfpflicht ab 18 sieht ein Gesetzentwurf von Abgeordneten der drei Ampel-Fraktionen vor. Ein Entwurf einer Gruppe um den FDP-Abgeordneten Ullmann sieht eine verpflichtende ärztliche Beratung für alle ab 18 Jahren vor. Eine Impfpflicht für ab 50-Jährige könne dann später eingeführt werden. Eine Gruppe um den FDP-Vize Kubicki hat einen Antrag gegen eine Impfpflicht vorgelegt. 

Mitte März sollen im Bundestag die Anträge und Gesetzesentwürfe zur Impfpflicht beraten werden, die bislang vorliegen. Eine Entscheidung könnte entweder in der Sitzungswoche ab dem 21. März oder in der ab dem 4. April fallen. Schön und Limbacher haben sich früh im Saarland geäußert, ihre Wählerinnen und Wähler wissen lassen, sie sind für eine allgemeine Impfpflicht.

Sie werden wohl zuhause im Wahlkreis erklären müssen, scheitert das Vorhaben im Bund, vor allem dann, sollten die Stimmen Recht behalten, die sagen, ohne eine allgemeine Impfpflicht laufe man Gefahr im kommenden Herbst, Winter wieder auf Einschränkungen angewiesen zu sein. 


Die Serie

Die Serie "Politik für eine Million" ist eine Langzeitbeobachtung - wir begleiten die beiden saarländischen Bundestagsabgeordneten Nadine Schön (38 Jahre alt) und Esra Limbacher (32 Jahre alt) durch die neue Legislaturperiode.

In dieser Legislatur werden sie Gesetze mit verabschieden oder kritisieren. Parteivorsitzende werden gehen und kommen, Ministerinnen und Minister ernannt, die beiden Politiker werden einen neuen Kanzler mit wählen, durch Höhen und Tiefen ihrer Parteien gehen, Kompromisse werden geschlossen - als Abgeordnete werden sie Erwartungen erfüllen oder enttäuschen.

Dabei wird Nelly Thelen sie zwischendurch treffen und begleiten, in Berlin und im Saarland. Was können sie im Bundestag fürs Saarland erreichen, wo wirklich mit gestalten, was erleben sie und wie erleben sie die aktuellen Zeiten, die Politik. Schön und Limbacher machen Politik für eine Million - fürs kleine Saarland sind sie in Berlin. 

Die erste Folge:

Schön und Limbacher fürs Saarland in Berlin
Video [SR Fernsehen, (c) SR, 07.11.2021, Länge: 13:34 Min.]
Schön und Limbacher fürs Saarland in Berlin
Nadine Schön, CDU, 38 Jahre und Esra Limbacher, SPD, 32 Jahre, vertreten im Bundestag als Abgeordnete aus dem Saarland rund eine Million Menschen. Für Schön ist es ihre vierte Legislaturperiode, für Limbacher die erste. Die beiden Abgeordneten bewegen sich zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Verantwortung, Amt und Karriere.

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