Fatima Hamido in Saarbrücken (Foto: Fatima Hamido)

Zwischen zwei Welten: Fatimas Suche nach Heimat

Jason Malter   27.05.2025 | 00:01 Uhr

Fatima lebt seit 2015 in Deutschland. Mit ihrer Familie floh sie aus Syrien, verbrachte einige Zeit in Saudi-Arabien und fand schließlich Zuflucht im Ankerzentrum in Saarbrücken. Heute studiert und arbeitet sie, hat Freundschaften geschlossen und ein stabiles Umfeld aufgebaut – eines, das sie Heimat nennt. Doch was bedeutet Heimat nach einer solchen Erfahrung wirklich für sie?

„Ich hatte Glück und habe hier schnell Leute gefunden. Man braucht Menschen, die einem einen Platz geben wollen“, sagt Fatima über ihr Ankommen in Deutschland.

Einen dieser Plätze fand sie bereits in der Flüchtlingsunterkunft. Fatima hat ein Talent für Sprachen, lernte bereits in der Schule Englisch und war vor Ort eine der wenigen, die fließend Englisch sprach. Sie zeigte Eigeninitiative, brachte sich schnell bei den Mitarbeitern des Flüchtlingsheims ein und wurde bald als Dolmetscherin angestellt. „In der ersten Woche habe ich gefragt, ob sie Hilfe bei der Übersetzung brauchen, weil die angestellten Dolmetscher aus Algerien kamen und nicht gut Arabisch konnten. So konnte ich gute Verbindungen knüpfen und habe meiner Familie und anderen geholfen.“

Aber angekommen fühlte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dazu brauchte es einen kleinen Schubs von außen. Fatima hat gerne in einem kleinen Café in der Innenstadt von Saarbrücken gezeichnet: „Der Laden hat mir das alles beigebracht. Aber durch diese Erfahrung habe ich wirklich eine ganze Freundschaftsgruppe kennengelernt und viele Verbindungen in der Stadt bekommen. Als ich aus dem Laden herausgekommen bin, konnte ich mich überall bewerben und direkt einen Job finden.“

Sie fing in der Küche an und sprach dort zuerst Englisch mit den Angestellten, aber schon bald war ihr Deutsch so gut, dass sie damit begann, Bestellungen aufzunehmen. Mittlerweile arbeitet sie beim Kinderschutzbund als Designerin.

Der Kontakt zu Menschen half Fatima, in Deutschland anzukommen. Dennoch erzählt Fatima nicht nur von positiven Erfahrungen während der Flucht, sondern auch davon, wie sie sich in ihrer alten Heimat Syrien und während der Flucht nach Sicherheit und Freiheit sehnte.

Freiheit und Geschlechterrollen – Heimat in neuer Perspektive

Fatima beschreibt ihre Heimatstadt Latakia als einen Ort voller politischer und sozialer Spannungen – schon vor dem Bürgerkrieg empfand sie Syrien als repressiv und isoliert. „Die Regierung reagierte brutal auf Proteste, verhaftete und folterte Kinder. Das machte die Menschen wütend, sie gingen auf die Straßen, und so wurde das ganze Land auf die Gräueltaten aufmerksam.“

Die wachsende Gewalt unter der Assad-Regierung und die staatliche Kontrolle prägten Fatimas Jugend. Sie fühlte sich von ihrem Land entfremdet. „Ich war in Syrien immer abgefucked. Es war ein geschlossenes Land, wir bekamen kaum etwas von der Außenwelt mit. Erst 2011, mit dem Krieg, hatte ich erstmals Kontakt mit Menschen außerhalb Syriens. Da wusste ich, dass es mehr gibt – und ich wollte es erleben.“

Trotzdem verfolgt sie weiterhin die Nachrichten aus Syrien, auch aus einem Gefühl der Verbundenheit mit ihrem Geburtsland und den Menschen in Syrien. Doch das Heimatgefühl hat sie hinter sich gelassen. Die zunehmende Überwachung und Kontrolle in Syrien machten ihr und ihrer Familie letztlich die Entscheidung zur Flucht unausweichlich.

In ihrer Fluchtgeschichte zeigen sich auch die geschlechtsspezifischen Herausforderungen. Fatima schildert: „In Deutschland kann ich frei Orte erkunden und das Leben genießen. In Syrien war das anders. Meine männlichen Freunde schauen nostalgisch auf Syrien, während ich froh bin, nicht nur für eine große Familie kochen zu müssen.“

Die Sehnsucht nach Syrien – Identität zwischen den Kulturen

Bei all ihrer Kritik an ihrem Herkunftsland verspürt sie eine tiefe Verbindung zu ihrer syrischen Kultur. Die Abwesenheit führte bei ihr sogar dazu, ihre eigene Identität zu hinterfragen: „Und dann plötzlich kam das Gefühl wieder in mir hoch, und ich wollte wieder mehr mit Syrien zu tun haben. Bin ich immer noch eine arabische Frau? Habe ich meine Heimat verloren?“ Sie begann, sich wieder mit arabischen Gruppen zu treffen, reiste nach Berlin, um sich mit Communitys auszutauschen. Doch ihre Sehnsucht war kein Wunsch nach Rückkehr, wie sie sagte, sondern vielmehr der Versuch, das Alte und das Neue zu vereinen.

Fatima steht stellvertretend für viele Migrantinnen und Migranten mit einer hybriden Identität – ihre syrischen Wurzeln bleiben, doch ihr kultureller Horizont erweitert sich in Deutschland. Die Migrationsforscherin Naika Foroutan beschreibt dieses Konzept mit dem Begriff „Heymat“, ein Kunstwort, das die Begriffe Hybridität und Heimat miteinander vereint und somit die Realität von Geflüchteten besser darstellt. Heimat ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch.

Ein neues Heimatverständnis

Fatimas Geschichte zeigt, dass Heimat mehr ist als ein Ort – sie ist ein Gefühl, das von sozialer Akzeptanz, Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und persönlichen Beziehungen geprägt wird. In Deutschland hat sie nicht nur Sicherheit gefunden, sondern auch die Freiheit, ihr Leben selbst zu gestalten. Gleichzeitig bleibt Syrien ein wichtiger Teil ihrer Identität.

Für Fatima ist Heimat letztlich dort, wo sie sich verstanden und akzeptiert fühlt. Aktuell gibt ihr die Stadt Saarbrücken diesen Raum – und gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Vergangenheit und Gegenwart in Einklang zu bringen. Ihre Geschichte verdeutlicht, dass Migration nicht zwangsläufig mit Entwurzelung einhergeht, sondern eine Chance sein kann, Identität zusammen mit neuen Freunden zu definieren.


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