Caroline Uhl und Niklas Resch aus dem SR-Rechercheteam (Foto: SR)

Wie es ist, hinter die Kulissen eines Milliarden-Betrugs zu schauen

  27.05.2023 | 08:28 Uhr

Schaden in Milliardenhöhe, mehrere Gerichtsprozesse, andauernde Ermittlungsverfahren und Täter, die offenbar keine Skrupel haben, ihren Opfern Millionen aus der Tasche zu ziehen. Seit Jahren recherchiert das SR-Rechercheteam zum Cyberbetrug. Was das Besondere an so einer umfangreichen Recherche ist, erzählt Caroline Uhl im SR-Interview.

Der Betrug mit gezinkten Geldanlage-Portalen im Internet ist eine der größten Betrugsmaschen unserer Zeit: Es gibt tausende Betroffene allein in Deutschland. Das SR-Rechercheteam hat sich Einblicke in eine Betrügerbande verschafft und sogar mit einem der Täter gesprochen.

SR.de: Wie kommt man denn an so einen Protagonisten dran?

Caroline Uhl: Da können wir uns natürlich nicht ganz hinter die Kulissen blicken lassen. Aber dadurch, dass wir uns so lange in dem Bereich aufgehalten und dort gearbeitet haben, hatten wir Kontakte in den Kosovo. Man hat uns erzählt, dass diese Arbeit gerade in solchen betrügerischen Callcentern wirklich sehr verbreitet ist und dass im Grunde jeder einen kennt, der einen kennt, der irgendwann schonmal in so einem Callcenter gearbeitet hat. Und über diese Schiene, über Kontaktleute im Kosovo sind wir dann letztendlich auch an die Person gekommen, die bereit war, mit uns sehr ehrlich zu reden.

SR.de: Was waren dann die größten Herausforderungen vor Ort?

Caroline Uhl: Wir waren noch nie im Kosovo und wir sprechen auch kein Albanisch. Das heißt, wir waren auf Leute angewiesen, die uns dort begleitet haben. Zwar reden viele Leute dort deutsch, aber es ist doch besser, wenn jemand in der Landessprache mit dabei ist.

Und das Zweite war natürlich das Interview an sich. Wir hatten ihn [den Protagonisten Adrian, Name geändert] selber ja vorher noch nie gesehen, es gab nur dieses eine Treffen. Und da galt’s dann. Das musste sitzen, eine zweite Chance hat man eher nicht bei sowas.

In dem Gespräch war dann zum einen die Herausforderung, ihn zum Reden zu bringen und bei Laune zu halten, dass er möglichst lange bei der Stange bleibt – er hätte ja jeder Zeit aufstehen und sagen können, das ist ihm zu blöd und er geht jetzt, er hatte ja selbst nichts davon. Gleichzeitig aber war es mir auch wichtig, ihn ein bisschen herauszufordern, also ihn nicht nur auf dicke Hose machen lassen, sondern ihn auch immer wieder mit dem zu konfrontieren, was er eigentlich gemacht hat, nämlich sehr viele Leute um sehr viel Geld zu betrügen – und das macht man einfach nicht. Das war das Spannungsfeld in dem wir wollten, dass dieses Interview stattfindet - und was uns für mein Empfinden auch ganz gut gelungen ist.

SR.de: Was war denn die erschreckendste Erkenntnis, die bei der Recherche herauskam?

Caroline Uhl: Da gibt’s, glaube ich, zwei Ebenen. Einmal die Ebene der Opfer, wie „gut“ diese Masche gestrickt ist, dass so wahnsinnig viele Leute darauf hereinfallen, die wirklich unfassbare Summen, ihre Ersparnisse, alles da rein stecken. Die Kredite aufnehmen, die im buchstäblichen Sinne Haus und Hof verlieren – das ist das Erschreckende auf der einen Seite.

Auf der anderen Seite hat diese Kosovo-Reise sehr nachgewirkt in uns, die war auch sehr beeindruckend. Denn die Leute dort, das hat er [Adrian] uns ja ins Gesicht gesagt, haben die Wahl: Entweder gehen sie für 300 Euro im Monat als Kellner arbeiten oder sie machen sowas und kriegen mitunter 20.000 im Monat. Wofür entscheiden sich dann die jungen Menschen, die nicht viele Perspektiven haben?

Das war für uns sozusagen der Schlüsselmoment, weil das so vieles auf den Punkt bringt. Man muss ja erstmal diese hunderte vorwiegend junge Männer, auch junge Frauen, finden, die bereit sind sich in einen Callcenter zu setzen und montags bis freitags, zehn bis 19.00 Uhr zu betrügen. Da stehen sich dann die Auswegslosigkeit, wenig Perspektive auf der einen Seite und diese wahnsinnigen Summen und Geschenke und Status und alles Mögliche auf der anderen Seite gegenüber.

SR.de: Was ist denn das Besondere an einer so langen und umfangreichen Recherche?

Caroline Uhl: Wir sind viel, viel tiefer drin im Thema. Wir „kennen“ Akteure, die ganzen Verdächtigen. Wir haben so viel Wissen zusammengetragen über das alles. Und irgendwann merkt man, wie es anfängt, dass Informationen auch von selbst zu einem kommen. Dass man dann Bilder bekommt aus dem Täternetzwerk, Videos, einen Täter hat, der mit uns reden will und das ist schon etwas sehr Besonderes für uns gewesen, denn sowas kriegt man nicht über eine Presseanfrage raus.

SR.de: Wie geht’s weiter für euch in dem Thema?

Caroline Uhl: Wir werden das Thema natürlich weiter beobachten. Ein mutmaßlicher ehemaliger Callcenter-Agent wartet noch in U-Haft auf den Prozess, da werden wir noch einen Blick drauf werfen. Zwei mutmaßliche Callcenter-Leiter sind noch unterwegs, nach denen wird gefahndet. Wenn die irgendwann geschnappt sind, wird uns das mit Sicherheit auch beschäftigen.

Und ansonsten blicken wir einfach weiter auf diese Betrugsmaschen, die sind dynamisch und entwickeln sich weiter. Als wir mit der Recherche angefangen haben, wurde das Geld zum Beispiel noch in Euro mit Kreditkarte überwiesen. Jetzt wird es meistens in Cryptowährungen umgetauscht. Da halten wir weiter die Augen offen.

Mehr zu den Hintergründen:

Der Start der Recherche liegt schon einige Jahre zurück. Schon 2019 hat das Rechercheteam von Ermittlungen bei der Polizei erfahren und ist dem Thema nachgegangen. Schnell hat sich herausgestellt, dass es sich nicht nur um ein großes Ermittlungsverfahren handelt, sondern dass dahinter eine ganze umfangreiche Masche steckt und dass es um einen der größten Betrugsfälle jemals geht.

Im vergangenen Jahr gab es dann in Saarbrücken einen ersten Gerichtsprozess gegen einen Leiter des Callcenters. "Das war deutschlandweit der dickste Fisch, der bisher einer Ermittlungsbehörde ins Netz gegangen ist", sagt Caroline Uhl vom SR-Rechercheteam. Er ist zu zwölf Jahren verurteilt worden. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, wäre aber eines der höchsten Strafen jemals in Betrugsfällen in Deutschland.

Mehr über die Täter, die Masche, die Opfer und den Prozess erfahrt ihr im Film von Caroline Uhl und Niklas Resch:

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